Das Bild ist grau. Subtil abgestuft, in allen Schattierungen moduliert. In der oberen Hälfte bündelt sich Licht. Helle Punkte verteilen sich gleichmäßig über die Bildoberfläche, bilden ein zartes All-over, das der Betrachter, auch über die Bildgrenzen hinaus, als kosmischen Tiefe imaginiert. Oder so: Tamara Grcic hat den verwaschenen Pullover am Körper einer fülligen Person fotografiert; das Kleidungsstück ist voller Knötchen.
Die Banalität alltäglicher Dinge liegt im Auge des Betrachters. Tamara Grcic jedenfalls entdeckt im Alltäglichen Schönheit und Sinn. Die Künstlerin studiert das Beiläufige, findet Strukturen im Unbewussten und hält sie fest. Ihre Inszenierungen sind multisensuelle Erlebnisse: ob 1994 im Portikus, wo Grcic für zwölf Stunden 700 Honigmelonen auf Tischen arrangierte und der stetig zunehmende Fruchtgeruch den optischen Eindruck zum Gesamtwerk komplettierte, oder zwei Jahre später in der Galerie von Monika Reitz, wo sie rote Kleidungsstücke auf elf Feldbetten präsentierte – eine Arbeit, die ihre assoziative Potenz nicht aus dem Kunstkontext schöpfte, sondern aus dem Unterbewusstsein: malerische Stoffhügel in allen nur denkbaren Erscheinungsformen von Rot. Wie hingeworfen im Scheinwerferlicht, nachlässig lasziv, brutal. Weiche Stoffe und robuste, glatte und kratzige, fließende, steife. Jeder Haufen ein Konglomerat aus sanft geschwungenen Linien, jedes Bündel ein Klumpen Organ. Der muffige Kellerklamottengeruch, das warme Rotlicht, das der Stoff an die Wände abstrahlte und das je nach Tageslicht variierte, die abwesenden Körper, die die Kleider einst umhüllten – ein Gesamtbild, auratisch, dramatisch, erotisch, in jedem Fall: suggestiv.
Das Beiläufige in diesen Arrangements ist Ergebnis penibler Konstruktion, eine Art „Körpereinsatz“, der immer auch eine Grundvoraussetzung zur Entstehung von Tamara Grcics Kunst ist. Zwar studierte die gebürtige Münchnerin (Jahrgang 1964) zunächst einige Jahre lang Kunstgeschichte und Kulturanthropologie in Wien und Frankfurt, bewarb sich dann aber erfolgreich mit 8-mm-Filmen an der Städelschule bei Peter Kubelka, „um meiner eigenen Wahrnehmung nachzugehen.“
Melonen auf Tischen und Kleidung auf Pritschen – zwei Beispiele, die den thematischen Wandel in Tamara Grcics Arbeiten sinnlich veranschaulichen: Von der Beschäftigung mit Früchten und Blumen, die im kunsthistorischen Kontext von je her als Vanitassymbole, heute darüber hinaus noch als Sinnbilder kultivierter Natur dienen, hin zum menschlichen Körper und seinen Hüllen. Zwischen 1991 und 93 legte sie 246 Birnen auf ebenso viele Tageszeitungen. Während diese bereits einen Tag nach Erscheinen veralten, eignet den Birnen ein anderes Zeitmaß. Grcics dokumentarische Fotos nehmen das Endergebnis vorweg: Zeitung und Birne werden eins, irgendwann.
Mit den „Blumenbildern“, zwölf Kartonpaletten mit, zunächst frischen, Gerberas, kommentierte die Künstlerin 1992 die bisweilen groteske Aneignung von Pflanzen durch menschliche Züchtung, gab den im Frischestadium weitgehend identisch aussehenden „Kunst-„Blumen ein Stückchen (morbider) Individualität, indem sie deren Verfall ausstellte. Wie üblich reagierte Grcic mit ihrer Arbeit auf den Ort der Präsentation: eine Versicherung, in der sich solche und ähnliche Pflanzen in der Regel als tote Dekorationsstücke im Empfangsbereich finden.