Vor 1933 war das Essener Museum Folkwang eines der großen Museen für moderne Kunst. Geschuldet ist dies dem Umstand, dass nach dem frühen Tod des Hagener Mäzens und Sammlers Karl Ernst Osthaus im Jahr 1921 große Teile seiner Kollektion aus erlesenen Gemälden und weiteren Kunstobjekten über eine dafür gebildete Holding aus Industrie, Verbänden und der Stadt Essen erworben werden konnte. Mit den städtischen Sammlungen fusioniert, wurde der grandiose Bestand in einem Neubau präsentiert. 1929 eröffnete der im Bauhausstil von Edmund Körner konzipierte, zwei Gründerzeitvillen an der Bismarckstraße verbindende Trakt. Hier verfolgte der Direktor Ernst Gosebruch ein neues Konzept: Freie und angewandte Kunst, Fernes und Nahes, Altes und Neues fand sich fern jedweder kultureller oder religiöser Unterschiede in enger Korrespondenz zusammen. In den 1920er und 1930er Jahren war diese Kombination klassisch-moderner mit außereuropäischer Kunst weltweit einmalig. Als 1932 Paul Joseph Sachs, einer der Mitbegründer des Museums of Modern Art in New York, das Essener Haus besuchte, war er von der Präsentation und den außerordentlichen Meisterwerken derart begeistert, dass er sich der Überlieferung zufolge spontan zur Äußerung hinreißen ließ: „Das schönste Museum der Welt.“
Dies blieb „Die Halle des Volkes“ – so die Übersetzung des germanischen Worts „Folkwang“ – leider nicht mehr lange: Mit dem erzwungenen Rücktritt von Ernst Gosebruch im Folgejahr endete die produktive Arbeit. Unter der Leitung seines Nachfolgers Klaus Graf von Baudissin, vormals Konservator an der Stuttgarter Staatsgalerie, wurden 1456 Gemälde, Plastiken, grafische Arbeiten und Objekte als „entartet“ beschlagnahmt, geraubt, teils später veräußert oder zerstört. Von den 139 geplünderten, teils epochalen Gemälden konnten nach dem Zweiten Weltkrieg lediglich 20 zurückerworben werden.
Auch heute noch ist das Folkwang im globalen Spiel der Weltliga bedeutender Museen eine herausgehobene, noble Adresse. Die neuen Leiter versuchten nach 1945 die exorbitanten Verluste wieder auszugleichen und erweiterten den immer noch beachtlichen Bestand klassisch moderner Werke bis hin zu gegenwärtigen Kunstströmungen. Nach der Zerstörung des alten Museumshauses konnte an gleicher Stelle im Jahr 1960 ein richtungweisender Neubau eröffnet werden. Das Licht durchflutete Doppelatrium mit klaren Strukturen und Wegeführungen steht mittlerweile unter Denkmalschutz, ergänzt von dem kürzlich eröffneten Erweiterungsbau David Chipperfields.
Die Eröffnung des Neubaus und das Kulturhauptstadtjahr in Essen und den übrigen Ruhrgebietsstädten boten nun gewichtige Argumente für die Rückbesinnung auf die Geschichte. Eine Rekonstruktion des „schönsten Museums der Welt“ war der naheliegende wie ambitionierte Gedanke. Noch einmal sollten die einst wichtigsten Werke der ursprünglichen Sammlung für eine Ausstellung auf Zeit aus aller Welt zurückkehren. Was aus der grandiosen Idee, die derzeitigen Kulturhauptstadtaktivitäten mit einer glanzvollen Schau einzigartiger Gemälde von überragender kunsthistorischer Bedeutung zu bereichern, geworden ist, kann man derzeit in der großen Ausstellungshalle des Chipperfield-Traktes in Augenschein nehmen.
Unter den 353 Exponaten sind 55 Gemälde, von denen 25 weltweit aus namhaften Museen den Weg zurück an die Ruhr fanden. Dies gilt auch für zwei der 15 Plastiken sowie sieben der 26 Papierarbeiten. Um die Schau nicht ausufern zu lassen, konzentrierte man sich auf Gemälde und Plastiken. Den größten Teil allerdings nehmen 257 alte und außereuropäische Objekte ein. Bemerkenswert ist, dass alle Leihanfragen ohne Zögern erfüllt wurden, sofern die Transportfähigkeit der Werke gewährleistet werden konnte. Das 1920 auf einer Tischdecke gemalte Selbstbildnis von Ernst Ludwig Kirchner musste daher leider im Busch-Reisinger Museum in Harvard ebenso verbleiben wie ein Gemälde dreier Frauen aus dem Jahr 1908 von Henri Matisse im Saint Louis Art Museum.
Der Besucher schlängelt sich auf einem 16 Raumeinheiten umfassenden Parcours durch helle und dunkle Zonen. Taghelle große „White Cubes“ enthalten Gemälde und Plastiken. Alte und außereuropäische Objekte sind entgegen der Osthausschen Konzeption nicht in Bezugnahme auf diese, sondern separat in abgedunkelten Segmenten ausgestellt. Begründet wurde diese Vorgehensweise mit der Bevorzugung des heutigen Blicks auf die Exponate unter Würdigung spezifischer künstlerischer Besonderheiten sowie die Verhinderung einer Rekonstruktion aller Präsentationsformen – eine merkwürdige Auffassung im Zeitalter von Crossover und medialen Korrespondenzen.
Erst nach langem Marsch steht der erwartungsfrohe Besucher vor den Highlights. Franz Marcs 1911 geschaffenes grandioses Schlüsselwerk „Weidende Pferde IV (Die roten Pferde)“ hängt zentral im ersten Expressionistensaal. Aus dem Harvard Art Museum angereist war es einst das Aushängeschild des ehemaligen Museums Folkwang. In leuchtenden Farben fügen sich in die hügelige Landschaft die heißblütigen Tiere elegant ein, ein Traum von Bild, eine absolute Hingabe an einen Moment, der allein den Ausstellungsbesuch lohnt. Marc verstand Tiere als die wahren Hüter des Lebens; Menschen waren ihm zu hässlich.
Osthaus und Gosebruch unterstützten auch Ernst Ludwig Kirchner mit zahlreichen Ankäufen, entsprechend groß war auch die Gruppe seiner Arbeiten. Seine heute im Kölner Museum Ludwig beheimateten „Fünf Frauen auf der Straße“ aus dem Jahr 1913 bilden den Anfang einer großformatigen Serie von Straßenszenen als expressive Berichte aus dem modernen Großstadtleben. Die scharfen, schnittigen wie gleichfalls eleganten Strukturen überführte bereits im Jahr zuvor Wassily Kandinsky in die Abstraktion. „Impression 28“, ein Glanzstück aus der entscheidenden Werkphase des Künstlers, offenbart trotz verwirrender schwarzer Linien und kräftiger Farbfelder Zeichen, die auf Figürliches wie Berge, Menschen oder Bauten hinweisen. Das Glanzstück der Kunst des letzten Jahrhunderts wurde vom „brauen Grafen“ Baudissin noch vor der Aktion „Entartete Kunst“ im Jahr 1936 als angeblicher „Fremdkörper“ in die USA verkauft, wo es heute zu den Meisterwerken des Solomon R. Guggenheim Museums in New York gehört.
Der zweite Expressionistensaal hält Emil Noldes von Anbeginn höchst umstrittenen „Christus Altar“ aus den Jahren 1911/12 bereit. Das neunteilige Werk enthält den religiösen Kern der Noldeschen Kunst, die im Folkwang auch wegen der Inspiration des Künstlers von ozeanischer Volkskunst besonders gepflegt wurde. Drei Gemälde von Edvard Munch befanden sich einst im Museumsbestand. 1903 malte er den „Winter in Nordstrand“, eine düster aufgeladene Landschaft, die aus Privatbesitz kommend hier noch einmal zu bewundern ist.
Der Rundgang beginnt mit Porträts von Ferdinand Hodler, Oskar Kokoschka, Paula Modersohn-Becker bis hin zu Giorgio de Chirico, der sich als Verfechter der Malkunst vorstellt. In diesem Kontext nimmt Marc Chagalls Gemälde „Purim“ eine Sonderstellung ein. In seiner zwischen 1916 bis 1918 entstandenen farbenfrohen, traumartigen Dorfszene gehen Kindheitserinnerungen, Elemente jüdischer Religion und russischer Volkserzählungen eine Symbiose ein. Klassiker der Moderne schließen sich an. Neben Werken Edouard Manets, Pierre-Auguste Renoirs und Auguste Rodins ist auch eine Version von Vincent van Goghs kontrastreichem Porträt des Postmeisters Joseph Roulin aus Arles zu bewundern. Werke des Niederländers, die mehrfach in der Ausstellung zu sehen sind, galten übrigens nicht als entartet, da die zeitliche Grenze um 1905 angesetzt worden war, und verblieben daher im Bestand.
Gemälde von Henri Matisse schließen sich an, darunter sein „Stillleben mit Affodillen“, das als erstes Gemälde des Künstlers überhaupt im Entstehungsjahr 1907 für ein Museum erworben wurde. Georges Seurat, Paul Signac, Max Liebermann und Christian Rohlfs leiten in den Nachimpressionismus, bevor Gründerväter der Moderne auftreten, die so dicht im Folkwang vertreten waren wie seinerzeit in keinem anderen deutschen Museum. Paul Cézannes „Steinbruch Bibémus“ aus dem Jahr 1895 wurde zwar 1937 beschlagnahmt, konnte aber 1964 zurück erworben werden. Genial ist das Auffangen von Licht, Raum und Tiefe der Provencelandschaft in einer selbständigen Bildlandschaft. Paul Gauguin verbindet in seinen Gemälden abendländische Malerei, Motive der Südsee und Bildformen anderer Kulturen, etwa des alten Ägypten oder des Buddhismus, zu einem vielschichtigen Symbolismus. Hier ergeben sich die deutlichsten Beziehungen zu den vielen kleinteiligen antiken und außereuropäischen Objekten, die zwischen den Gemäldesälen angeordnet sind.
Japanische Theatermasken, Gaben aus dem Jenseits, koptische Textilien des dritten bis achten Jahrhunderts, Skulpturen, Gefäße, Amulette aus dem Vorderen Orient von 3.500 vor bis 200 nach Christus, ozeanische Zeremonialobjekte, Keramik- und Lackarbeiten aus China, Korea und Japan vom zweiten Jahrtausend vor bis ins 19te Jahrhundert nach Christus und javanischen Schattenfiguren durchziehen die Schau als ein Panorama künstlerisch eindrucksvoller wie kulturell bedeutender Artefakte. Sie alle haben das Folkwang nie verlassen, wurden aber seit Jahrzehnten nicht mehr öffentlich ausgestellt.
Bedauerlich ist allerdings die ausgesprochen schlechte Darbietung in mangelhaft ausgeleuchteten Vitrinen bei harten Schattenbildungen in einer Ausstellungsarchitektur, die die generell schwierigen Proportionen des Chipperfield-Flügels zu stark unterstreicht. Auch stellt sich die Frage, ob eine separate Präsentation der abhanden gekommenen Gemälde und Plastiken nicht instruktiver gewesen wäre als die dargebotene Durchmischung, die ohnehin den Intentionen von Osthaus und Gosebruch nicht entspricht. Zu loben bleibt die hervorragende Aufarbeitung der Sammlungsgeschichte besonders in Hinblick auf informative Publikationen, die diese Schau begleiten. So geht man als Besucher mit der Gewissheit nach Hause, einige der schönsten Kunstwerke der Welt gesehen zu haben und stürzt sich wissbegierig auf die Kataloge.
Die Ausstellung „Das schönste Museum der Welt. Museum Folkwang bis 1933“ ist bis zum 25. Juli zu besichtigen. Das Museum Folkwang hat täglich außer montags von 10 bis 20 Uhr, freitags bis 24 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 10 Euro, samstags sowie an Sonn- und Feiertagen 12 Euro, ermäßigt 7 Euro. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen, der an der Museumskasse 29 Euro kostet, ferner ein Essayband für 12 Euro. |