 |  | Gürtelschließe, Kirchgaessner & Kraft, Pforzheim um 1902/05 | |
Die Kunst an der Wende vom 19ten zum 20sten Jahrhundert war bereits mehrmals Thema von Ausstellungen des Leopold Museums: Werke von Adolf Hölzel, Koloman Moser, Joseph Maria Olbrich und der wenig bekannte Secessionskünstler Josef Maria Auchentaller wurden hier in wichtigen Personalausstellungen gezeigt. In Fortführung dieses Schwerpunktes präsentiert die Wiener Institution noch bis Ende Juli eine bemerkenswert schöne Präsentation zum Thema „Jugendstilschmuck“, die ob des Zuspruchs des Publikums bereits zum zweiten Male verlängert wurde.
Die von Patricia Spiegelfeld kuratierte und in enger Zusammenarbeit mit dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt entstandene Schau bietet einen repräsentativen Querschnitt durch die wichtigsten Zentren der europäischen Schmuckerzeugung. Insgesamt 150 Exponate, darunter Ringe, Halsketten, Broschen, Gürtelschnallen und Diademe, belegen das breite Spektrum und den Ideenreichtum der Juwelierskunst um 1900. Etwa die Hälfte der Leihgaben stammt aus den Sammlungen des Darmstädter Landesmuseums, das die profunde Kollektion des Amsterdamer Juweliers Karel A. Citroen sein Eigen nennt. Ergänzt wird diese Auswahl durch Exponate aus dem eigenen Haus und aus Privatbesitz sowie durch Leihgaben aus dem Wien Museum und dem Österreichischen Museum für angewandte Kunst, die vor allem die österreichische Produktion vorstellen.
René Lalique hatte gegen Ende des 19ten Jahrhunderts mit seinen exquisiten Schmuckkreationen eine Revolution des Schmuckdesigns in Gang gesetzt. Er war der mit Abstand erfolgreichste französische Schmuckentwerfer um 1900, der das Kunsthandwerk des Fin de siècle weit über die Grenzen Frankreichs hinaus beeinflusste. Nicht nur seine Motive waren neu. Lalique setzte sich auch über geltende Regeln der Juwelierkunst hinweg, kombinierte farbiges Email mit Edelsteinen und Edelsteine mit preiswerten Materialien, wie zum Beispiel Horn, bei einem eleganten Schmuckkamm aus Horn mit symmetrisch angeordneten Pfauen von 1904/05. Dabei war er immer auf der Suche nach dem künstlerischen Wert eines Schmuckstücks, der nicht mit dessen Materialwert identisch sein musste. Große Ähnlichkeit mit Laliques Entwürfen weisen die Arbeiten von Lucien Gaillard (1861-1942) auf. Aus seiner Hand stammt ein außergewöhnlicher Halsschmuck mit einem auf Silber montierten vielfarbig emaillierten Hirschkäfer, zwischen dessen Geweih ein grüner Peridot gefasst ist.
Deutschlands Beitrag zur Schmuckkunst um 1900 ist vielfältig, einerseits durch zahlreiche selbstständige Juweliere und kleinere Werkstätten, andererseits durch die enorme Breitenwirkung der hier ansässigen Schmuckindustrie. Das stilistische Spektrum reicht von an Frankreich orientierten, floral gestalteten oder erzählend-symbolistischen Schmuckstücken bis hin zu abstrakt-ornamental beeinflussten Entwürfen, etwa der Darmstädter Künstlerkolonie. Der an der Kunstgewerbeschule Pforzheim unterrichtende Maler und Schmuckentwerfer Emil Riester griff ab 1880 fernöstliche Elemente auf und ließ sie in seine Entwürfe einfließen. Ein besonders schönes Exponat stammt aus dem Haus der Pforzheimer Firma Kirchgaessner & Kraft: eine silberfarbene, aus Alpacca gefertigte Gürtelschnalle, auf der ein maskenartiges Gesicht mit spitzen Zähnen im weit aufgerissenen Maul ein ovales orangefarbenes Glasstück hält. Ebenfalls in Pforzheim ansässig war die Firma Wild & Cie, von der ein mit Diamanten, Perlen und Rubinen besetzter Emailanhänger mit Mistelblättern stammt. Künstler wie Hermann Hirzel, der in Berlin und Weimar arbeitende Belgier Henry van de Velde oder Hans Christiansen gestalteten Schmuck, den sie von Juwelieren ausführen ließen. Bereits ab 1900, der allgemeinen Suche nach einem eigenständigen Stil folgend, entstehen aber auch abstrakte, geometrisierende Arbeiten, die sich ab 1902 immer stärker durchsetzen.
In Russland nehmen Jugendstilerzeugnisse einen kleinen Raum ein. Was in diesem Bereich produziert wurde, lehnt sich an den französischen floralen Art Nouveau an, wie ein emaillierter Anhänger mit zwei Störchen aus dem Hause Carl Fabergé exemplarisch zeigt. Aus den Ateliers des Hoflieferanten kamen nicht nur die berühmten Ostereier für die Zarenfamilie. Hier wurde auch kostbarer Edelstein- und Brillantschmuck hergestellt. Stilistisch bewegten sich diese Erzeugnisse allerdings noch im Historismus mit einer Vorliebe für Rokoko- und Empireelemente.
Relativ unabhängig von französischen Einflüssen blieb die Schmuckproduktion in Dänemark, die sich hauptsächlich durch Silberarbeiten auszeichnete. Am bekanntesten unter den dänischen Schmuckkünstlern ist der Gold- und Silberschmied Georg Jensen (1866-1935). Von ihm stammt ein silberner Kamm mit stilisierten Naturmotiven, die symmetrisch angeordnet sind. Das mit blauen Opalen besetzte Schmuckstück ist ein besonders auffallendes Exponat aus nordischer Produktion. Schmuck aus Großbritannien, dem Land der Arts & Crafts-Bewegung, ist ebenfalls im Leopold Museum zu sehen. Besonders hervorzuheben ist eine von William Hair Haseler (1864-1949) geschaffene Gürtelschließe für Liberty & Co. und ein Anhänger aus der Hand des britischen Architekten und Goldschmieds Henry Wilson (1864-1934), dessen Schmuckstück Renaissance-Elemente neu interpretiert.
Die österreichischen Juweliere, die neue Einflüsse bereitwillig aufgriffen, orientierten sich zunächst an Paris. Im Bereich des großen Juwelenschmucks sind es vor allem die Firmen Rozet & Fischmeister und A.D. Hauptmann, die im „Genre Lalique“ kostbare Colliers, Armbänder, Haarkämme, Broschen und Ringe herstellten. Gustav Fischmeister, der in Paris als Schüler und Mitarbeiter Laliques arbeitete, schuf eine goldene, mit Diamanten und Rubinen besetzte und in Fensteremailtechnik gefasste Schmetterlingsbrosche. Abweichend von ihren französischen Kollegen, welche die edlen Metalle häufig mit organischen Materialien wie Horn, Elfenbein und Perlmut kombinierten, bevorzugten die Österreicher Edel- und Schmucksteine für ihre Kompositionen.
Wesentlichen Einfluss auf die österreichische Schmuckkunst um 1900 hatte auch die englische Arts & Crafts-Bewegung. Obwohl es in der österreichisch-ungarischen Monarchie keine England entsprechende Massenproduktion und in der Folge auch keine vergleichbare Verelendung der Arbeiterschaft gab, sahen einige österreichischen Künstler in der englischen Bewegung eine Möglichkeit, den Historismus zu überwinden. Zu ihnen gehörten vor allem Künstler der Secession. Die international eigenständigste und unverwechselbare Formensprache der österreichischen Schmuckproduktion hinterließ die Wiener Werkstätte, die bereits ab 1903 Schmuck nach den Entwürfen von Josef Hoffmann und Koloman Moser herstellte. Auf bemerkenswerte Weise gelang es den Künstlern, Anregungen ausländischer Kollegen aufzunehmen und daraus autonome Objekte entstehen zu lassen. Sie folgten Laliques Forderung, den künstlerischen Entwurf vor den materiellen Wert eines Gegenstands zu stellen. Von der englischen Arts & Crafts Bewegung übernahmen sie die Vorliebe, ungeschliffene Edel- und Schmucksteine in Metallarbeiten einzusetzen.
Dominierten bei den ersten Entwürfen von Moser und Hoffmann noch geschwungene Linien und stilisierte gegenständliche Motive, so änderte sich dies ab 1904/05. Wie die übrigen Erzeugnisse der Wiener Werkstätte wurde auch der Schmuck geometrischen Kriterien unterworfen. Ein von Hoffmann immer wieder angewandtes Gestaltungsprinzip basiert auf einem die Binnenmotive einschließenden Rahmen. Die silberne, quadratische Brosche mit in Opakemail gestaltetem Schachbrettmotiv von 1910/11, ist ein typisches Beispiel für dessen streng symmetrisches Gestaltungsprinzip. Im Gegensatz zu Hoffmanns architektonisch gedachten Arbeiten wirken diejenigen von Koloman Moser organischer, wie etwa ein ausnehmend schöner Anhänger aus gehämmerten Silber, dessen ungleichförmige, mit Opaken besetze Kugeln sich zu einem abstrakten Konglomerat fügen. Auch dieses Stück, das sich heute im Besitz der Neuen Galerie in New York befindet, wurde für die Wiener Werkstätte produziert.
Präsentiert wird die Wiener Ausstellung in einem Ausstellungsraum, den das Architekturbüro Sonderformat in eine Black Box mit kleinen Separées umgestaltet hat. Erfreulich schlicht, mit asymmetrisch angeordneten Vitrinen, wurde hier ein passender Rahmen für die kostbaren, kleinteiligen Objekte geschaffen, die in großer Vielfalt das Schmuckschaffen an der Wende zum 20sten Jahrhundert und darüber hinaus dokumentieren.
Die Ausstellung „Glanz einer Epoche – Jugendstil-Schmuck aus Europa“ ist bis zum 25. Juli zu sehen. Das Leopold Museum hat täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr geöffnet. Das Ticket von 11 Euro, ermäßigt 8 Euro oder 7 Euro, gilt als Eintrittskarte für das gesamte Museum. Der Katalog kostet 49,90 Euro. |