Das Thema der Liebe spielt eine große Rolle in der französischen Kultur- und Alltagsgeschichte. Sei es die viel beanspreuchte romantische Zweisamkeit, die höfische Liebe, die von mittelalterlichen Troubadouren besungenen Lobpreisungen der Liebe, Flauberts Jahrhundertroman „L’Éducation sentimentale“ – zu deutsch: „Die Erziehung der Gefühle“ – oder auch die strategisch eingesetzten Amouren und Affären in der Politik und bei anderen Machtspielen. Ob Dominique Strauss-Kahn, Nicolas Sarkozy oder François Hollande: Auch das Liebesleben der Politiker spielt in der französischen Öffentlichkeit eine weitaus größere Rolle als in Deutschland überhaupt vorstellbar.
In einer sehenswerten Doppelausstellung im südwest-französischen Albi beschäftigen sich jetzt zwei in Brüssel lebende Künstler auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema Liebe. Das Centre d’art Le LAIT (Laboratoire Artistique International du Tarn) präsentiert auf den zwei Etagen der am Fluss Tarn gelegenen ehemaligen Wassermühle Moulins Albigeois die Ausstellung „Promenade avec l’amour et la mort“ des 1970 in Paris geborenen Franzosen Hervé Ic sowie im Untergeschoss die Schau „Fin’Amor“ des spanischstämmigen Angel Vergara, Jahrgang 1958. Beide Ausstellungen wurden von Jackie-Ruth Meyer, der künstlerischen Leiterin des Hauses, kuratiert.
„Dies ist keine Malereiausstellung“, sagt Hervé Ic. „Dies ist eine Ausstellung über das Licht“. Betritt er den zentralen, abgedunkelten Raum seiner Schau, benötigt der Besucher einige Minuten Geduld, bis sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt haben. Ähnlich wie bei den Arbeiten James Turrells, stellen sich die Augen erst nach einer Weile auf die Dunkelheit ein und erkennen Ics Bilder mit zielscheibenähnlichen, geometrischen Mustern. Hervé Ic vergleicht den Raum mit einem Ambulatorium, dem in romanischen Pilgerkirchen meist abgedunkelten Chorumgang. Seine Bilder tragen die Namen von Avantgarde-Komponisten der Neuen Musik wie „György Ligeti“ oder „Karlheinz Stockhausen“ als Titel. „Man tritt in eine Konversation mit der Musik“, so Hervé Ic. „Mit dem modernen elektrischen Licht haben wir normalerweise kaum Gelegenheit dazu.“
Die vier Außenwände der Black Box sind mit Gemälden und Papierarbeiten des Malers bestückt. Da ist zum Beispiel das wandfüllende Gemälde „Highlander“ mit vielen Zitaten aus der Kunstgeschichte. Besonders die klassischen Seestücke des 17. Jahrhunderts standen hier Pate mit zerberstenden Segelschiffen, Ertrinkenden, Leuchttürmen und Schiffsbrüchigen. Spotlights und Sternenbilder vom Hubbel-Teleskop rhythmisieren das narrative Gemälde und stellen Bezüge zu aktuellen Wissenschaftsdiskursen her.
Gleich um die Ecke erzählen dann 20 Papierarbeiten die „Balade avec l’amour et la mort“ – die „Ballade von der Liebe und dem Tod“. Zu sehen sind Liebespaare im Stil von Fotoromanen oder Ansichtskarten der 1970er Jahre, Windmühlen, Palmen, Angler und Boote, aber auch bedrohliche Szenen wie ein Schwarm schwarzer Vögel, ein Mann am Galgen oder Gräber nach Motiven des Pariser Friedhofs Père Lachaise. Die Ambivalenz dieser in Öl auf Pigment entstandenen Papierserie ist charakteristisch für Hervé Ic.
Autobiografische Züge trägt dann das Gemälde „Contre-jour“, das eine Gruppe junger Freunde aus den 1970er Jahren zeigt: mit der Gitarre, am Telefon, vor einer Farm in den Bergen. Das scheinbar romantische Klischee der Aussteigergesellschaft, der freien Liebe und des ungezwungenen Lebens wird hier von Hervé Ic ironisch hinterfragt. Angereichert mit Erinnerungen an die eigene Elterngeneration, bildet es so etwas wie ein leicht wehmütiges Genrebild der französischen 68er-Bewegung. Schließlich endet die Schau mit 28 Zeichnungen, auf denen Blumenmotive in Buntstift auf Pigment ausgeführt sind.
Zur zweiten Ausstellung führt der Weg hinaus ins Freie und die Treppe hinunter in den unteren Teil der Moulins Albigeois: Hier wird der Besucher von einem Kiosk mit Musikbeschallung empfangen. Zu hören sind Liebeslieder in allen Sprachen aus allen Kulturen von Jacques Brel und Frank Sinatra bis zum algerischen Popsänger Cheb Khaled mit seinem ohrwurmartigen Song „Aïscha“. Angel Vergara arbeitet als Künstler in vielen Medien, unter anderem auch als Performer im Stadtraum; so hat er vor einigen Jahren in Aachen eine Performance als mobiler Eisverkäufer realisiert.
In dem grün angestrichenen Straßenkiosk von Albi sind einige Erotik-Magazine zum Durchblättern aufgebaut. Vor allem aber verteilt eine Kioskfrau als Give-Away ein vom Künstler konzipiertes Magazin mit dem Titel „Fin’Amor“. Zusammencollagiert ist das Heft aus Anzeigenmotiven verschiedener Modemagazine, Abbildungen aus Kunstbänden, Biologiebüchern und Bildern aus dem Internet. Angel Vergara liefert mit dem Magazin den ästhetischen und inhaltlichen Überbau seiner Ausstellung: Liebe in guten und schlechten Zeiten, höfische Liebe, Sexualität in den verschiedensten Spielarten, Troubadour-Gesänge und Zitate aus dem Buch „Fragmente einer Sprache der Liebe“, in dem der französische Philosoph Roland Barthes anhand von 80 alphabethisch aneinandergereihten Begriffen alle Höhen und Tiefen des Liebeslebens zwischen Abhängigkeit und Zärtlichkeit ergründet, treffen hier aufeinander.
Als Vertreter Belgiens auf der Biennale Venedig im Jahr 2011 ist Angel Vergara auch einem größeren Publikum bekannt geworden. Er bespielte den von Luc Tuymans kuratierten belgischen Pavillon unter dem Titel „Feuilleton“. Angel Vergara hat in den letzten Jahren immer wieder die Rolle des sogenannten „Straatman“ angenommen. Er mischt sich fast unsichtbar ins Straßenleben und interveniert mit Performances und subtilen Eingriffen.
Durchschreitet man, begrüßt von der Wandzeichnung eines Lyra spielenden Hasen als Troubadour, den Parcours in Albi, trifft man in jedem Raum auf Videoarbeiten, die charakteristisch für Vergara sind. Er bearbeitet den Medien entnommene oder selbst arrangierte Motive, indem er mit dem Pinsel in einer Art Hinterglasmalerei quasi live für die Kamera Farbe aufträgt und teilweise auch wieder verwischt. Man sieht im Vordergrund eine Glassscheibe, im Hintergrund ein bewegtes Videobild und dazwischen immer wieder den bewegten Pinsel in der Hand des Künstlers. So agiert er etwa vor einer Vase mit verwelkenden Blumen oder vor sechs übereinandergestapelten Monitoren mit Liebesszenen aus TV-Serien, Werbeclips und Filmen. Eine versonnen schreibende Frau in Analogie zu einem Gemälde Edouard Manets wird ebenso mit Farbe bearbeitet.
Entgegen der Tradition des klassischen Tafelbildes, präsentiert uns Vergara keine fertigen, kunstmarktkompatiblen Resultate auf Leinwand. Innerhalb von Sekunden wird gekleckst, gesprenkelt, großflächig mit dem Pinsel agiert oder alles wieder mit dem Schwamm eliminiert. Er lässt den Betrachter am Malakt selbst mit all seinen spontanen Entscheidungen, quälend langen Pausen, Revisionen und Verwerfungen teilnehmen. Auf den ersten Blick ähnlich wie Gerhard Richters „Übermalte Fotografien“, transformieren auch Vergaras Übermalungen oft triviale Alltagsbilder in etwas Abstraktes, das sich mal kritisch, mal konzeptuell, mal poetisch mit seinem Ausgangsmaterial auseinandersetzt. Bei Vergara kommt aber noch das Moment des Aktionistischen hinzu: Der Malakt findet nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit im stillen Kämmerlein statt sondern im Hier und Jetzt des Videobildes.
Im abgedunkelten, letzten, hallenartigen Raum, der unmittelbar an den Fluss Tarn grenzt und von Wasserbecken im Boden geprägt ist, empfängt den Besucher ein Soundteppich, der an ein Urwaldgewitter erinnert. Es mischen sich reale Wassergeräusche mit dem eigens für die Ausstellung komponierten Soundtrack des belgischen Avantgarde-Musikers Stephan Dunkelman. Für die Gesamtinstallation hat Angel Vergara kleine und große Screens aufgebaut. Zu sehen sind Tiere, teils beim Liebesspiel, teils dabei, sich gegenseitig zu verzehren, aber auch abstrakte Motive. Wiederum addiert und subtrahiert Vergaras Pinsel die Farbe und gibt dem Ganzen so eine kommentierende, subjektive Note. „Es ist eine Welt vor der Idealvorstellung der Harmonie“, kommentiert Angel Vergara seine auf den Ort zugeschnittene Installation.
Die beiden Sommerausstellungen in Albi stellen auf unterschiedliche Art und Weise den Bezug zu Liebesmotiven her. Bei Hervé Ic werden Verbindungen zwischen altmeisterlicher Malerei, Populärkultur, Romantik und dem Computerzeitalter virtuos auf Leinwand und Papier miteinander konfrontiert. Angel Vergara hingegen entführt den Besucher in eine von partizipatorischen Elementen, bewegten Videobildern, Sound- und Raumerlebnissen geprägte Parallelwelt voller Entdeckungen, gibt ihm aber auch Gelegenheiten zu Rückzug, innerer Einkehr und Kontemplation.
Die Ausstellung „Hervé Ic: Promenade avec l’amour et la mort“ und „Angel Vergara: Fin’Amor“ sind noch bis zum 31. Oktober zu sehen. Das Centre d’art Le LAIT hat mittwochs bis sonntags von 14 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 4,5 Euro, ermäßigt 2,5 Euro. Die Zeitschrift „Fin’Amor“ von Angel Vergara ist kostenlos erhältlich. |