 |  | Hubert Gerhard, Merkur, Augsburg 1590/93 | |
Von ihm geht Alles aus: Antonio Susini lernte bei ihm und Carlo di Cesare del Palagio und vor allem Adriaen de Vries, Hubert Gerhard bewegte sich in seinem Umfeld, und von ihm wiederum waren Hans Reichle und Hans Krumpper abhängig – Jean de Boulogne, um 1529 in Douai in der Grafschaft Flandern geboren, als junger Mann nach Italien ausgewandert, wo er noch den alten Michelangelo kennenlernte, sich Giambologna nannte und 1608 als hochangesehener Inhaber einer großen Werkstatt in Florenz gestorben, war eine künstlerische Persönlichkeit von epochalem Rang. Die höfischen Kreise ganz Europas begehrten seine Skulpturen, Künstler aus aller Herren Länder reisten zwecks stilistischer und technischer Weiterbildung zu ihm und kehrten als allseits begehrte Schüler in ihre Heimat zurück. Mit ihm verbindet sich der künstlich-künstlerische Begriff des Manierismus zwischen Renaissance und Barock, aber ein bloßer Übergang ist das nicht, im Gegenteil: Giambologna ist der ruhende Pol, von dem aus die Skulptur in ganz Europa eine neue Richtung einschlagen sollte.
So ist auch in der gegenwärtigen Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums in München Giambologna der Punkt, von dem Alles ausgeht. Rund achtzig Werke großteils aus eigenen Beständen, aber auch aus internationalen Sammlungen privater wie öffentlicher Hand sind in der großartigen Schau versammelt, die ein Panorama über rund fünfzig Jahre skulpturalen Schaffens zwischen 1570 und 1620 gibt. Der Schwerpunkt liegt auf Künstler, die in Süddeutschland als Schüler Giambolognas Furore und den Hof der bayerischen Herzöge in München, aber auch die höfisch anmutenden Patrizierhäuser etwa der Fugger in Augsburg zeitweise zu einem Zentrum der europäischen Kunstproduktion machten. Übereinstimmendes Merkmal war ihre Spezialisierung auf die damals vornehmste bildnerische Technik, das Gießen von Bronzefiguren, mit der auch der Meister selbst die größte Verbreitung fand, wenngleich seine in Stein gehauenen Bildwerke keineswegs geringeren Wert beanspruchen dürfen.
„Bella Figura“ heißt die Schau, und „Bella Figura“ machen auch die in ihr ausgestellten Werke. Denn schöne, junge Menschen mit athletischen Männer- oder grazilen Frauenkörpern standen ganz entschieden im Mittelpunkt des Interesses der Sammler und Auftraggeber des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts, soweit es sich nicht um christliche Motive handelte. Besonders gern gesehen: Götterbote Merkur, ein schlanker Jüngling mit Flügelhelm und -schuhen, ansonsten unbekleidet und meist bartlos, außer einmal bei Hubert Gerhard gegen 1590/93. Das Motiv reizte die Künstler zu ganz unterschiedlichen Lösungen hinsichtlich Figurentyps und Charakterisierung. Giambologna hatte ihn als fast geradlinig nach oben schießenden Pfeil gezeigt, Blick und Zeigefinger erhoben, den linken Fuß nur kurz den Boden angetickt. Johan Gregor van der Schardt dagegen ließ sich wohl vom Apollo von Belvedere inspirieren, als er seinen Götterboten um 1575/76 als klassischen Kontrapost mit seitlich ausgestrecktem Arm, den Kopf leicht geneigt, den Mund geöffnet und den Blick fast resigniert gab.
Tänzerisch-labil dagegen bei Willem van Tetrode um 1560/62, männlich-energisch wiederum, den die Flügelschuhe gürtenden Putto zur Eile mahnend, bei Adriaen de Vries in den späten 1590er Jahren – die Vielfalt der Ergebnisse dokumentiert auch die Emanzipationsfähigkeit, die es den Schüler erlaubte, das Werk ihres Lehrers und Vorbilds Giambologna weiterzuentwickeln. Dass technische Ansprüche kein Hindernis darstellten und auch aufwendigste Gussverfahren nicht gescheut wurden, beweisen insbesondere die mehrfigurigen Kompositionen mit zahlreichen Durchbrüchen und Überschneidungen. Das Hans Krumpper zugeschriebene Duo „Merkur und Psyche“, de Vries’ „Theseus und Antiope“ von circa 1600/01 oder die verschiedenen Versionen des Dreipersonenstücks „Herkules, Nessus und Deianeira“ unter anderem von Hubert Gerhard belegen die souveräne Beherrschung auch größter artistischer Herausforderungen. Auch darin freilich war Giambologna der alles Weitere bestimmende Maßstab.
Doch nicht nur in Objekten von Kunstkammerformat, sondern auch in Großprojekten konnten die Meister immer wieder ihr Können zeigen. Nicht weit entfernt vom Nationalmuseum – etwa in Gestalt von Gerhards heiligem Michael an der Fassade der Michaelskirche, am Gedächtnisgrab für Kaiser Ludwig den Bayern in der Münchner Frauenkirche von Krumpper, Gerhard und Carlo di Cesare oder den Skulpturen an der Residenzfassade wieder von Gerhard und Krumpper – lassen sich diese Arbeiten noch in situ bestaunen. In „Bella Figura“ ausgestellt ist unter anderem ein Kruzifix Giambolognas von 1593/94 ebenfalls aus der Michaelskirche, der Hans Reichle nur gut ein Jahr später die Klagefigur einer knienden Maria Magdalena hinzufügte. Auch einige Stücke vom geplanten, aber in guter alter Tradition großer Grabmalsprojekte der Renaissance – Stichwort: Juliusgrabmal in Rom – nicht vollendeten Stiftergrabmal Herzog Wilhelms V. zeugen von dem Versuch, die Kunst der Bronze mit ihrer Aura ewiger Dauer auch im Monumentalen in Anwendung zu bringen.
Gelungen ist dies jedenfalls in einer gigantischen Brunnenanlage, die der Augsburger Patrizier Hans Fugger gegen 1590 bei Hubert Gerhard für sein neues Schloss in Kirchheim an der Mindel in Auftrag gab und die zu den monumentalsten Bronzeschöpfungen der Spätrenaissance überhaupt in Deutschland gezählt werden darf. Das Zentrum bildet hier eine Dreiergruppe, die man zuvor schon als etwas abgewandelte Miniaturversion bewundern durfte: Mars, Venus und Cupido, in ihrer fast drängenden Liebkosung bemerkenswert freizügig verbildlicht, mehr als zwei Meter hoch, fast ebenso breit, rund vier Tonnen schwer, überlebensgroß und durch einen hohen Marmorsockel fast drohend über den Betrachter erhoben. Als die Erben der Fugger später in prekäre finanzielle Schieflage gerieten, verkauften sie den Brunnen. Fast wäre er eingeschmolzen worden, doch König Max II. erwarb ihn für das Museum, wo er heute einen großen Saal fast ganz alleine ausfüllt. Manchmal scheint den Nachgeborenen die Größe der Meister um 1600 und ihrer Auftraggeber also sogar ein bisschen über den Kopf gewachsen zu sein.
Die Ausstellung „Bella Figura. Europäische Bronzekunst in Süddeutschland um 1600“ läuft bis zum 25. Mai. Geöffnet ist das Bayerische Nationalmuseum täglich von 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Der Eintritt beträgt 9 Euro, ermäßigt 8 Euro. Der opulente Katalog kostet im Museum 44,50 Euro, zusätzlich gibt es für 10 Euro einen handlichen Städteführer zu Bronzen der Spätrenaissance in München und Augsburg. |