 |  | Friedl Dicker-Brandeis, Interrogation I, 1934 | |
Dem Werk und der Lehre der Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis geht eine Ausstellung auf die Spur, die vom Simon Wiesenthal Center in Los Angeles zusammengestellt wurde und unter anderem schon in Paris, Wien und Stockholm zu sehen war. Das Bauhaus-Archiv in Berlin ist Gastgeber der einzigen Station der Schau in Deutschland. Ein besonderer Schwerpunkt liegt hier auf der langjährigen Zusammenarbeit der Künstlerin mit dem Bauhaus-Architekten Franz Singer.
Leben und Werk der Künstlerin werden in der Ausstellung nicht nur durch rund 200 Gemälde und Textilarbeiten sowie Entwürfe, sondern auch anhand persönlicher Dokumente wie Fotografien und Briefen dargestellt. Die Exponate werden in Gruppen gezeigt, die sich an den biografischen Stationen der außergewöhnlichen Frau orientieren. Ihre Kunstwerke sind recht unterschiedlich: Während der Zeit am Bauhaus und der Zusammenarbeit mit dem Architekten Singer herrschen konstruktivistische Ansätze vor, in späteren Zeiten entstanden wieder naturalistische und verspielte Arbeiten. Die in den letzten Jahren in Theresienstadt gemalten Bilder spiegeln Elemente aus allen Schaffensphasen wieder.
Als Friedl Dicker wurde die Künstlerin 1898 in Wien geboren. Ihre Ausbildung begann sie mit einer Lehre als Fotoreprografin und wechselte dann an die Wiener Kunstgewerbeschule, um textiles Gestalten zu studieren. Von 1916 an nahm sie gleichzeitig an den Zeichenkursen von Johannes Itten teil und lernte schon dort Franz Singer kennen, mit dem sie in Zukunft sowohl eine turbulente Beziehung als auch eine langjährige Zusammenarbeit verbinden sollte. Als Itten 1919 seine Lehrtätigkeit am Bauhaus in Weimar aufnahm und den legendären „Vorkurs am Bauhaus“ ins Leben rief, folgten ihm unter anderen sowohl Singer als auch Friedl Dicker. Die Hell-Dunkel Studie mit weißen und schwarzen Kreisflächen stammt aus dem Vorkurs bei Itten. Intensive Beschäftigung mit Kontrasten bildete hier ein wichtiges Element. In der Zeichnung des Tigers, die 1920 entstand, setzte die Künstlerin Erfahrungen aus diesem Kurs um. In der Zeit am Bauhaus studierte Dicker bei Paul Klee, Georg Muche und Lyonel Feininger, verließ die Schule aber im Zuge der internen Auseinandersetzungen um die Umstrukturierung 1923 im Gefolge Ittens.
Gemeinsam mit dem Partner Franz Singer gründete sie in Berlin eine Werkstatt für Bildende Kunst und bot Objektdesign als Dienstleistung an. Parallel dazu eröffnete sie mit Freundinnen ähnliche Ateliers in Wien. 1926 schloss sie die Berliner Werkstatt, um gemeinsam mit Singer ein neues Projekt zu starten: sie eröffneten ein Architekturbüro in Wien und entwarfen in den folgenden fünf Jahren erfolgreich Gebäude, Inneneinrichtungen und Bühnenbilder, unter anderem für Bertolt Brecht. In dieser Zeit entstand auch die Einrichtung eines Kindergartens, die im gemeinsamen Büro entworfen wurde. Zu erkennen ist die klare und funktionelle Formensprache, die durch die Farbgebung noch betont wird. Von 1931 an arbeitete Friedl Dicker wieder in einem eigenen Atelier.
Das Bild „Interrogation I“ aus dem Jahr 1934 mag einen Eindruck der Festnahme wiedergeben, die sie wegen ihres antifaschistischen Engagements in Wien erlebte. Daraufhin emigrierte sie in die Tschechoslowakei und setzte dort ihr politische Aktivität fort. Der Stil ihrer Arbeiten veränderte sich nach dem Umzug stark. Sie fertigte naturalistische Studien der Stadt an, malte Portraits und Blumenstilleben. Das Fensterbild von 1936 zeichnet ein idyllische Bild einer sicherlich unruhigen Zeit. Dicker nahm aber auch die Zusammenarbeit mit Singer wieder auf und entwarf Möbel und Inneneinrichtungen. 1936 heiratete sie ihren Cousin Pavel Brandeis. Nach der Besatzung der Tschechoslowakei durch die Deutschen geriet das jüdische Ehepaar auch in Prag in Bedrängnis, die beiden lehnten eine mögliche Flucht nach Palästina aber ab. Stattdessen zogen sie in die tschechische Kleinstadt Hrnov und fanden Arbeit in einer Textilfabrik. Ende 1942 wurden sie in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert.
Während der folgenden knappen zwei Jahre arbeitete Friedl Brandeisova, wie sie sich seit ihrer Heirat nannte, mit den internierten Kindern. Sie gab Zeichenunterricht, organisierte Theaterstücke und gestaltete die Wohnräume neu. Ein Teil der Ausstellung widmet sich den im Lager entstandenen Kinderzeichnungen. Es waren über 600, die in dieser Zeit die Zeichenkurse besuchten und dort lernten, in den Zeichnungen die traumatisierende Situation zu verarbeiten und Kraft zu schöpfen. Friedl Brandeisova bezog sich in diesen wie in früheren Kursen auf die kunstpädagogischen Theorien ihres Lehrers Itten. Auch in ihren eigenen Arbeiten tauchen neben den klassischen wieder moderne, abstraktere Elemente auf. Ein unbetiteltes Bild vermittelt die bedrückende Situation, die die Menschen im Konzentrationslager erleben mussten.
Im September 1944 wurde Pavel Brandeis nach Auschwitz verlegt. Seine Frau meldete sich daraufhin freiwillig für den nächsten Transport im Oktober. Drei Tage nach ihrer Ankunft dort wurde sie ermordet.
Ein Katalog dokumentiert ihr Leben und die künstlerische und historische Bedeutung ihres Wirkens. Die deutsche Ausgabe ist in der Ausstellung für 95 Mark erhältlich, die englische Version kostet 71 Mark. Die Ausstellung bleibt bis zum 15. Oktober im Bauhaus –Archiv in Weimar. Die Öffnungszeiten sind täglich von 10 bis 17 Uhr, dienstags geschlossen. Der Eintritt kostet 7,80 Mark (4 Euro), ermäßigt 3,90 Mark (2 Euro). |