 |  | Johann Wilhelm Schirmer, Das Wetterhorn, 1837/38 | |
„So kam es, dass ich anfing aus der Natur selbst Bilder zu nehmen“. Dieser Ausspruch des Landschaftsmalers Johann Wilhelm Schirmer beleuchtet die Quintessenz seines umfangreichen Schaffens, bleibt dabei aber ebenso poetisch gefühlvoll wie sein künstlerisches Werk. Dieses gilt es nun in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu entdecken, die dem 1807 in Jülich geborenen Künstler eine umfassende Retrospektive widmet. Erstmals sind damit alle Gattungen aus allen Schaffensphasen Schirmers ausgestellt.
Den Auftakt machen in Düsseldorf entstandene Arbeiten, in deren unmittelbarer Naturnähe sich der Student der Düsseldorfer Akademie ganz offensichtlich an Werken von Turner, Constable und Bonington orientierte, deren Abkehr von der klassischen Ideallandschaft die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts revolutionierte. Unter diesem Eindruck entstanden Schirmers frühe Naturstudien, mit denen er sich ganz dem unmittelbaren Naturerleben verschrieben hat. So scheinen die feinen Bleistiftzeichnungen aus den 1820er Jahren zu atmen, die Motive werden lebendig. Diese Lebendigkeit der „toten“ Zeichnung ist ein wesentliches Merkmal der wahrscheinlich 1827/28 entstandenen „Schilfstudie“, in der Schirmer die sich unter scharfem Seitenwind beugenden Gewächse meisterhaft porträtierte, gleichzeitig aber aus den sich überlappenden Halmen ein abstraktes grafisches Linienspiel entwarf.
1827/30 malte Schirmer, den sein Lehrer an der Akademie Wilhelm von Schadow seinen „aufkeimenden Ruisdael“ nannte, die sattgrüne „Bachschleuse“ in der es ihm gelang, die Feuchtigkeit und Frische dieser Idylle spürbar zu machen. Nicht zuletzt solche Arbeiten waren es, die Schadow dazu veranlassten, seinen Schüler 1831 damit zu beauftragen, die neugegründete Landschaftsklasse als Hilfslehrer zu betreuen. 1839 konnte er durchsetzen, dass der Hilfslehrer zum Professor ernannt wurde. Bereits im Winter 1827 hatten Schirmer und Carl Friedrich Lessing, in Ermangelung eines Landschaftsfachs an der Düsseldorfer Akademie, den „Landschaftlichen Komponierverein“ gegründet. Zusammen mit einer ganzen Reihe von Akademikern streiften sie fortan durch die Düsseldorfer Umgebung, immer auf der Suche nach dem perfekten Motiv für ihre Naturstudien. Dabei wurden diese eher beschaulichen Wanderungen durchaus unter Stress unternommen, denn die Statuten des Vereins legten rigoros fest, dass „alle 14 Tage eine Komposition in Zeichnung vorzulegen“ sei. Dieser „Stressfaktor“ schien die Qualität der Arbeitein Schirmers noch zu verbessern. Hier wurde der Grundstein für die enge Wechselbeziehung zwischen Naturbeobachtung und Komposition gelegt, die charakteristisch für das gesamte Werk Schirmers werden sollte. Bravouröses Zeugnis dieser Arbeitsweise ist das 1828 auf der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in Berlin ausgestellte Ölgemälde „Eine Waldgegend“, in der er in einem Gesamtbild vereint, was er auf seinen zahllosen Streifzügen durch die Natur skizziert hatte.
Mit dem Jahr 1835 begann Schirmer, seinen geografischen Horizont durch ausgiebige Reisen zu erweitern. Zunächst zog es ihn in die Schweiz, in die er noch zweimal zurückkehren sollte. Bereits im darauffolgenden Jahr reiste Schirmer in die Normandie. Zeugnisse dieses Aufenthalts sind spektakuläre Meeresstudien, in denen das Wasser des Atlantischen Ozeans ein Eigenleben zu entwickeln beginnt. 1839 bis 1840 unternahm Schirmer die obligatorische Italienreise und wanderte auch hier rastlos umher, um mit Bleistift und Pinsel die Schönheiten der italienischen Landschaften festzuhalten. Ungewöhnlich für den Landschaftsmaler sind die aquarellierten Zeichnungen, in denen er Bauern oder Hirten in ihrer typischen Tracht festhielt. Solche Zeichnungen, wie etwa die einer italienischen Bäuerin, dienten dem Künstler als Staffage für seine Landschaftsgemälde. Er tat sich jedoch zeitlebens schwer damit, diese Staffagen harmonisch zu integrieren.
Ein Beispiel für das Gelingen einer solchen Figurensszene ist das um 1850/51 entstandene Gemälde „Landschaft mit Wasserfall und einem Angler“. Dabei ist mit „Gelingen“ allerdings gemeint, dass die winzig erscheinende Anglerfigur in ihrer Farbigkeit so der Landschaft angepasst ist, dass sie förmlich in ihr untergeht, zum „Suchbild“ wird. Spannend ist dieses Gemälde vor allem, weil es eine wesentliche Wende im Schaffen Schirmers veranschaulicht. Hatte er noch während seiner Italienreise Zypressen gemalt und sich dabei ganz dem unmittelbaren Naturerleben hingegeben, ist die spätere Arbeit ein durch und durch komponiertes klassisches Landschaftsgemälde in dessen Mittelpunkt das touristische Naturschauspiel eines Wasserfalls steht.
1856, zwei Jahre nachdem Schirmer als erster Direktor an die neugegründete Akademie in Karlsruhe berufen wurde, entstand eine seiner wichtigsten Arbeiten, der biblische Landschaftszyklus „Die Tageszeiten“. Hier haben es sich die Ausstellungsmacher zur Aufgabe gemacht, Entstehung, Vorbilder und Nachfolger aufzuspüren und vorzustellen. So wird von den ersten Kohleskizzen bis hin zum fertigen Gemälde jede Stufe des Entstehungsprozesses dokumentiert. Zum Vergleich werden thematisch oder künstlerisch ähnliche Arbeiten von Künstlern wie Alfred Rethel, Karl Lehmann oder Heinrich Reinhold herangezogen.
Auch darüber hinaus werden in der Ausstellung vielfach Werke anderer Künstler präsentiert. Schließlich entstand die Landschaftsmalerei des 1863 verstorbenen Schirmer nicht im luftleeren Raum, sondern wurde durch Vorläufer und Zeitgenossen beeinflusst. Neben Arbeiten von Wegbegleitern und Schülern wie Carl Friedrich Lessing, Andreas Achenbach oder Caspar Scheuren wurden in die Schau, die aus rund 140 Gemälden und fast 100 Aquarellen und Zeichnungen besteht, auch die „Malerrivalen“ Friedrich Preller d. Ä. und Carl Blechen miteinbezogen. Ebenfalls vertreten sind französische und englische Freilichtmaler wie Richard Parkes Bonington und Camille Corot.
Die Ausstellung läuft bis zum 14. Juli und ist dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr sowie am Wochenende von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Anschließend geht die Schau vom 24. August bis zum 17. November in das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen.
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