 |  | Franken, Kurfürsten-Humpen, 1670 | |
Im September 1979 war es soweit: Der Auktionator Jürgen Fischer veranstaltete seine erste Spezialauktion, die sich rein um das Thema Glas drehte. Seitdem führt das Heilbronner Unternehmen jährlich drei spezielle Glasauktionen durch und hat sich dadurch zum Spezialisten auf diesem Sammelgebiet und zu einem der wichtigsten Umschlagorte für den internationalen Glashandel entwickelt. Nach vierzig Jahren stehen die Auktionstermine bei Museen und Sammler aus der ganzen Welt fest im Kalender. Auch diesmal sind Fischer zahlreiche Einlieferungen aus 2000 Jahren Glasproduktion geglückt, die die beiden Kataloge auf rund 1150 Positionen anwachsen lassen. Im ersten Teil mit europäischer Ware des 16. bis 19. Jahrhunderts sticht eine kleine, aber bedeutende norddeutsche Privatsammlung mit 30 hochwertigen Gläsern hervor. Sie geht die etwa mit einem venezianischen Fadenglaspokal aus dem 17. Jahrhundert in zarter Netzoptik für 3.000 bis 4.000 Euro oder einem böhmischen Henkelkrug von 1599 mit einer Hirschjagd in bunter Emailmalerei für 1.800 bis 2.500 Euro an den Start.
Höhepunkte unter den gut sortierten Emailarbeiten sind mehrere Hofkellerei-Gläser, etwa ein Becher mit dem Allianzwappen des Landgrafen Wilhelm VI. zu Hessen und seiner Gemahlin Hedwig Sophie, Markgräfin zu Brandenburg, aus der Glashütte zu Veckerhagen oder der Glashütte Immenhausen, den der Maler Adam Götz auf das Jahr 1677 datiert hat (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR), oder ein Humpen um 1720 mit Sächsisch-Polnischem Wappen. Nach Sachsen weisen zudem eine Rechteckflasche aus der Hofapotheke Augusts des Starken und ein Hofkellereihumpen mit prächtigem Wappen von 1691 (Taxe je 2.500 bis 3.500 EUR). Auch für einen auf das Jahr 1714 datierten Ochsenkopfhumpen aus dem Fichtelgebirge (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR), für verschiedene Pokale mit Schnitt- und Schliffverzierung, meist aus Böhmen und Schlesien, darunter einen sechsfach facettierter Fußbecher aus Warmbrunn mit Muskantenzug neben einem Schloss aus der Hand Christian Gottfried Schneiders um 1730/40 (Taxe 3.500 bis 4.000 EUR), begeisterte sich die norddeutsche Sammelleidenschaft.
Bunter Zug der Kurfürsten
Etwa zeitgleich entstand ebenfalls in Schlesien ein Deckelpokal mit einem Tiefschnitt spielender Kinder (Taxe 4.500 bis 5.500 EUR), etwas jünger ist der Zechliner Deckelpokal mit einem geschnittenen und vergoldeten Bildnis von Friedrich dem Großen um 1740/50 (Taxe 2.500 bis 3.000 EUR). Mit Anton Kothgassers Ranftbecher samt pittoresk gemalter Ansicht von Karlsbad um 1820 (Taxe 3.500 bis 3.800 EUR) und einem Pokal mit einer geschnittenen Bärenjagd von Dominik Biemann um 1830 endet zeitlich das Interesse der norddeutschen Sammlung (Taxe 2.500 bis 2.800 EUR). Den Spitzenpreis nimmt hier ein 25,5 Zentimeter hoher fränkischer Kurfürstenhumpen von 1670 ein. Der Humpen, der zwei ähnliche Kollegen im Kestner-Museum in Hannover hat, zeigt über zwei Reihen in feiner Emailmalerei die sieben Kurfürsten und den Kaiser zu Pferd, gerahmt von Säulen und Lorbeerranken, und soll 8.000 bis 12.000 Euro erwirtschaften.
Eine zweite Sammlung aus Tirol konzentrierte sich auf heimatliche Waren des 17. und 18. Jahrhunderts. Sie legte sich etwa eine Warzenflasche mit tropfenförmigem Korpus (Taxe 10.000 bis 12.000 EUR) oder eine ebenfalls braune Schnapsflasche mit zwölfpassiger Wandung und diagonalem Rippenmuster zu (Taxe 12.000 bis 15.000 EUR). In noch dunklerem Braun schimmert eine kleine Kugelflasche mit Wabenstruktur (Taxe 7.000 bis 10.000 EUR), während mit einer fassförmigen blauen Flasche samt spiralförmiger gekerbter Fadenauflage für 4.000 bis 6.000 Euro oder mit einer wässrig hellgrünen Flasche mit Netzmuster für 3.500 bis 5.000 Euro auch andere Farben zum Zug kommen. Neben mehreren Schnapshunden für bis zu 1.800 Euro macht hier noch eine seltene Form auf sich aufmerksam. Die grüne deutsche Vierkantflasche um 1700 mit zwei Ausgüssen, wobei der größere einen eingeblasenen tropfenförmigen Behälter ohne Öffnung zum Flascheninneren bedient, fand wohl in der Pharmazie Verwendung (Taxe 4.000 bis 6.000 EUR).
Man treibt lustige Spiele
Heute auch nicht mehr gebräuchlich ist der Kuttrolf mit zwiebelförmigem Bauch, einem bis zu fünf Röhren bestehenden Hals und einer meist schalenartig gebildeten Öffnung, der das Trinken erschweren sollte. Ein deutsches, im 17. Jahrhundert gefertigtes Exemplar dieses Scherzgefäßes aus rauchfarbenem Glas listet der Katalog für 7.500 bis 7.800 Euro. Schöne Stücke beim alten Glas sind zudem noch ein fränkischer Becher von 1724 mit der bunten Darstellung eines Büttners bei der Arbeit (Taxe 2.200 bis 2.500 EUR), ein Zwischengoldpokal aus dem Riesengebirge um 1730 mit einer Hirschjagd (Taxe 1.500 bis 1.800 EUR), mehrere Ranftbecher Anton Kothgassers aus dem frühen 19. Jahrhundert mit Stadtansichten, Landschaften, Allegorien und religiösen Themen für bis zu 3.500 Euro oder ein ebenfalls in polychromem Transparentemail gestalteter Becher mit dem Tell-Sprung von Franz Anton Siebel um 1820 (Taxe 2.000 bis 2.400 EUR). Friedrich Egermann experimentierte in dieser Zeit mit Steingläser, die in ihrer satten, das Glas vollständig trübenden Farbigkeit Naturhalbedelsteinen oder Marmorierungen ähneln. Zwei dieser Lithyalinbecher sind im Katalog für 2.500 bis 3.000 Euro und 2.800 bis 3.500 Euro verzeichnet. Aber auch für Becher mit durchscheinenden Malereien, etwa mit Chinoiserien für 600 bis 800 Euro oder mit Jägern für 900 bis 1.200 Euro, ist Egermann verantwortlich.
Mit einem kobaltblauen Stangenpokal, in den Karl Pfohl um 1860 eine Kellerszene mit Zechern in frühbarocker Tracht schnitt (Taxe 2.500 bis 2.800 EUR), oder einem rubinroten Humpen mit einem Bacchantenzug unter Weinlaub in Radiertechnik, der mit „Fec. C. Ant: Günther Steinscönau Böhmen 1862“ signiert ist, kommt der Historismus an die Reihe (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR). Der macht sich auch bei einem Paar Prunkdeckelhumpen mit Jagdszenen auf grünem Glas von Henrik Giergl aus Budapest um 1870 (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR) und bei seinem Kollegen mit mehreren Allianzwappen europäischer König- und Fürstentümer von Anton Ambros Egermann von 1863 bemerkbar (Taxe 2.000 bis 3.000 EUR). Während sich Richard von Kraliks großer Zierpokal aus der Serie „Minnesänger“ um 1888 mit einem Fries aus Musikanten und Tänzern eindeutig am Mittelalter orientiert (Taxe 800 bis 1.500 EUR), greift eine Vase aus der Gräflich Harrachschen Glasfabrik, die um 1880 mit ihrer mehrfarbigen Krösel- und fein gerissenen Silberfolieneinschmelzung einen Stein imitiert, schon modernere Züge an. Lediglich das goldene Ornament mit stilisiert floralen Anklängen weist sie als zeittypisches Produkt aus (Taxe 1.800 bis 2.500 EUR).
Vorliebe für Blumen
Der zweite Katalog beginnt mit dem Jugendstil und dem Art Déco. Hier stehen die französischen Erzeuger im Vordergrund, und die großen Namen geben sich die Klinke in die Hand, etwa Burgun, Schverer & Co. mit ihren violett-grünen Blättern und Blüten des Tränenden Herzens auf einer Vase samt silbernen Henkeln um 1895/1900 (Taxe 5.500 bis 6.500 EUR) oder Désiré Christian mit einem seltenen Stängelglas samt Weintrauben auf der Kuppa (Taxe 2.000 bis 2.500 EUR). Die Daum Frères steuern unter anderem eine orange-grüne Tischlampe um 1900 mit Schmetterligen und Libellen bei, die sich an Blüten gütlich halten (Taxe 13.000 bis 18.000 EUR), Georges Despret eine rosa-grüne Pâte de verre-Vase mit Unterwasserdekor aus Seesternen, Algen und Seepferdchen (Taxe 2.300 bis 2.800 EUR) und Legras & Cie. eine hellviolette Vase mit Mohnblüten und Ähren (Taxe 1.500 bis 1.800 EUR).
Umfangreich ist die Auswahl an Gläser aus der Manufaktur Emile Gallés. Sie beginnt mit zwei um 1880 erstellten Bechervasen mit einem zarten Blumendekor aus blauen Vergissmeinnicht beziehungsweise braun-roten Blättern und Beeren (Taxe je 300 bis 400 EUR) und geht bis zu einer Soufflé-Vase mit Kirschzweigen aus den 1920er Jahren (Taxe 2.700 bis 3.000 EUR). Höhepunkt ist eine Zierhenkelvase in aufwändiger Marquerterie-Technik um 1897/98 mit einer violetten Krokusblüte für 10.000 bis 15.000 Euro. Die Muller Frères beteiligen sich mit einer Vase aus den 1920er Jahren samt Flusslandschaft in geätztem und bunt emailliertem Dekor (Taxe 1.600 bis 1.800 EUR), die Cristalleries de Saint-Louis mit einer gleichaltrigen gelben Balustervase samt blauen Blättern und Blüten der Iris (Taxe 800 bis 1.000 EUR) und die Verreries Schneider mit der gelbbraunen Henkelvase „Halbrans“, auf der stilisierte Wildenten über einer Schilflandschaft fliegen (Taxe 700 bis 900 EUR).
Großproduzent auf böhmisch-österreichischen Gebiet war um 1900 die Firma Johann Lötz Witwe in Klostermühle, die vor allem mit ihren metallisch irisierenden Farbgläsern international Achtung errang. Dazu gehören auch eine kleine Vase mit opalblauem Unterfang und zungenförmig verzogenen Silbergelbkröseln in hohem Metallfuß, deren Entwurf um 1902 Josef Hoffmann zugeschrieben wird (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR), oder die Vase mit dem Dekor „Neurot Cytisus“ und einer ornamentalen Silberauflage (Taxe 4.500 bis 5.500 EUR). Carl Witzmann zeichnet für eine geometrisch angelegte weiße Schale mit einem schwarzvioletten Rapport aus vertikalen Streifen und kleinen Rauten von 1913 verantwortlich (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR). Allein auf die Farbe Blau konzentrierte sich Lötz Witwe bei der Vase „Melusin schief gedreht“ und stellte sie um 1906 in eine Messingmontierung mit drei stilisierten Lorbeerbäumen (Taxe 2.100 bis 2.500 EUR). Louis Comfort Tiffany war der amerikanische Gegenpart, wenn es um irisierende Farbgläser ging. Das macht etwa seine silbergelb gebeizte Vase mit blattförmigen Einschmelzungen in Hellgrün und weißen blütenförmigen Murrinen deutlich, die eine frei abstrahierte Blumenform ausbilden (Taxe 1.000 bis 1.500 EUR).
Opulenz und Zurückhaltung
Nach Europa geht es dann wieder mit einer rubinrot und grüngolden glänzenden Vase Karl Schmoll von Eisenwerths um 1900, auf der Federn aufschimmern (Taxe 2.500 bis 3.000 EUR), mit einer ausladenden Schale, die in der Vetreria d’Arte Fontana um 1925/30 mit Szenen aus der südostasiatischen Mythologie fein bemalt wurde (Taxe 800 bis 1.000 EUR), oder mit der abstrakten purpurvioletten Vase „Alexandrit“, die Marianne Rath um 1929 für Ludwig Moser & Söhne in Karlsbad mit einem unregelmäßigen Rillenschliff versah (Taxe 1.000 bis 1.200 EUR). Die stilistische Bandbreite des europäischen Glases zu Beginn der 20. Jahrhunderts reicht von opulenten Gestaltungen, wie Georg Carl von Reichenbachs Dose aus der Luxusserie „Byzantinische Gläser“ um 1906 (Taxe 1.300 bis 1.500 EUR), über naturinspirierte Motive, wie Josef Emil Schneckendorfs orangegoldene Vase mit Heckenrose (Taxe 2.000 bis 2.500 EUR) oder Gunnar Gunnarson Wennerbergs ebenfalls zart angelegte Vase mit Stiefmütterchen (Taxe 2.800 bis 3.300 EUR), bis zu reduzierten Formen, wie Peter Behrens’ schlichtes farbloses Weinglas für die Rheinische Glashütten-Actien-Gesellschaft von 1900/01 (Taxe 3.500 bis 4.000 EUR).
Es schließen sich die Produkte aus Murano an, die zunächst mit einer Zierhenkelvase aus manganstichigem Glas mit weißen vertikalen Fadeneinschmelzungen von Guido Balsamo Stella um 1926/28 (Taxe 7.500 bis 9.000 EUR) und dem wenige Jahre jüngeren weiblichen Akt mit Gazelle und Delphinen von Flavio Poli überzeugen (Taxe 6.500 bis 7.500 EUR). Mit Murano verbindet man hauptsächlich Entwürfe der 1940er bis 1960er Jahre, etwa Ercole Baroviers bauchige Vase „Oriente“ aus mehrfarbigen, dunkel konturierten Bandstäben (Taxe 4.000 bis 5.000 EUR), Archimede Segusos Exemplar „Merletto“ mit schwarzvioletten Punkten auf weißem Netzdekor (Taxe 5.000 bis 6.000 EUR) oder die aus bunten Murrinen zusammengesetzten Vasen Ermanno Tosos für bis zu 6.000 Euro. In den skulpturalen Sektor geht es mit James Coignards Frauenbüste „La main noire“ mit fliegenden Haaren und rotem Ohrring (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR) und Robert Zeppel-Sperls lustigem „Fußvogel“ von 1995 (Taxe 2.400 bis 2.800 EUR).
Auch beim Studioglas steht die Nutzfunktion der Objekte oft nicht im Vordergrund. Das machen William Morris’ „Artifacts Still Life“ von 1993 mit Totenkopf, Knochen und Hörnern (Taxe 28.000 bis 33.000 EUR) oder Erwin Eischs humorvolles Telefon mit dem Titel „… Die Natur ist dem Gold gewachsen“ von 1997 deutlich (Taxe 1.200 bis 1.500 EUR). Mehr zur Bildenden Kunst tendiert auch Bodo Sperlings Kristallbild „519 M Blau“ von 2019, der schon in der Frühjahrsauktion bei Fischer mit einer vergleichbaren, aber größeren Arbeit bei 40.000 Euro reüssierte. Jetzt stehen 18.000 bis 25.000 Euro auf dem Preisschild. Als Deckeldose lässt sich Kyohei Fujitas kubische bunte Schöpfung mit gesprengter Gold- und Silberfolie um 1980 gebrauchen (Taxe 6.000 bis 7.500 EUR), wohl als Vase Richard Marquis’ „Shard Form“ von 1987 aus farbenfrohen Glasscherben, Murrinen, Zanfirico-Glasstäben und Emailmalerei (Taxe 4.000 bis 4.500 EUR). Rund 30 Objekte stammen von dem 1947 in Zwiesel geborenen Künstler Theodor G. Sellner, dessen Schaffen sich durch verschiedene Techniken und Materialien auszeichnet. So entstehen malerische Vasen, aber auch Pâte de verre-Objekte oder großformatige Skulpturen, von denen sich eine Privatsammlung nun trennt. Dazu gehören Skulpturen aus den Serien „Wegzeichen“ und „Friedenswächter“ für bis zu 1.500 Euro, aber auch Vasen mit menschlichen Gestalten, Gesichtern oder freien Farbformen, die im dreistelligen Euro-Bereich angesiedelt sind.
Die Auktion beginnt am 19. Oktober um 10 Uhr. Die Besichtigung ist bis zum 17. Oktober von 10 bis 17 Uhr, am 18. Oktober von 9 bis 16 Uhr möglich. Der Internetkatalog listet die Objekte unter www.auctions-fischer.de. |