Die Premiere des neuen Münchner Ausstellungs- und Veranstaltungsformats „Various Others“ im Herbst 2018 war offenbar ein voller Erfolg. Nicht anders ist zu erklären, dass die Veranstalter, ein Zusammenschluss von rund 20 Galerien, Off-Räumen, Privatsammlern, aber auch den großen Münchner Institutionen wie dem Haus der Kunst, dem Lenbachhaus, dem Museum Brandhorst, der Pinakothek der Moderne oder dem Museum Villa Stuck, sich in diesem Jahr noch mehr ins Zeug gelegt haben, um „Various Others“ dauerhaft als attraktives Auftaktformat zum Münchner Kunstherbst zu etablieren. Durchaus auch im Wettbewerb mit Berlin, denn die Berlin Art Week und die Messe Art Berlin fanden parallel zum Münchner Eröffnungswochenende statt. „Wir wollen die Stärke Münchens nach außen tragen. Wir wollen zeigen, dass München ein internationaler Standort mit internationaler Strahlkraft ist“, sagt die Mitinitiatorin Sarah Haugeneder, Vorstandsmitglied von „Various Others“. „Nur durch Kollaborationen können wir wachsen.“
Verlegenheitslösung im Haus der Kunst
Den Auftakt der zahlreichen Eröffnungen, Performances, Panel-Diskussionen, Vorträge und Screenings während des Opening Weekends Mitte September bildete die Ausstellung „Markus Lüpertz. About the Art of Pictures“ im Haus der Kunst. Nach dem Tod des langjährigen, international ausgerichteten Direktors Okwui Enwezor, hat das Haus verschiedene, von Enwezor noch geplante, wesentlich ambitioniertere Projekte, so zum Beispiel die monografischen Schauen zum Werk der beiden US-Künstlerinnen Joan Jonas und Adrian Piper, nicht zuletzt aus Geldmangel abgesagt und sich damit nicht nur Freunde gemacht. Mit Lüpertz wird jetzt einem hierzulande häufig ausgestellten Künstler ein Forum geboten. Immerhin hat die amerikanische Gastkuratorin Pamela Kort einen neuen Blick auf das Werk gerichtet, indem sie es auf seine Nähe zum Film und den kinematografischen Blick hin untersucht.
Wesentlich mutiger agiert da das Lenbachhaus. Direktor Matthias Mühling und die Kuratorinnen Stephanie Weber und Anna Straetmans präsentieren mit der 1943 geborenen US-amerikanischen Künstlerin Senga Nengudi eine der wichtigsten Pionierinnen feministischer und zugleich eine der bedeutendsten Repräsentantinnen afroamerikanischer Kunst. Ihre Ausstellung „Topologien“ versammelt zahlreiche Arbeiten, die zwischen den Polen Bildhauerei, Performance und Tanz changieren. Viele ihrer Objekte, beispielsweise die aus Nylonstrumpfhosen bestehenden Arbeiten der Serie „R.S.V.P.“ sind dazu gedacht, in choreographierten Performances aktiviert zu werden. Doch auch so verändern die häufig mit Sand oder mit kleinen Fundstücken aus dem Alltag gefüllten Objekte langsam ihre Form. Assoziationen an sexuell konnotierte Ausstülpungen sowohl weiblicher als auch männlicher Körper sind durchaus beabsichtigt. Nengudi geht es mehr um den Augenblick, in dem Kunst und Betrachter miteinander agieren, als um das Objekt an sich. Da ihre Kunst nicht primär auf Dauerhaftigkeit ausgelegt ist, wurden beispielsweise die Arbeiten ihrer Werkgruppe „Water Compositions“ neu für das Lenbachhaus gefertigt. Auch diese mit gefärbtem Wasser gefüllten Bodenskulpturen aus transparentem Kunststoff zeichnen sich durch ihre formale Instabilität aus. Angesprochen auf die Strahlkraft von „Various Others“ resümiert Matthias Mühling: „Wir können hier in München mit wenigen Mitteln eine Maximierung erreichen.“
Italien in der Sammlung Goetz
Einen weiteren Höhepunkt im Münchner Kunstherbst stellt die Schau „Tutto. Perspektiven italienischer Kunst“ in der Sammlung Goetz dar. Sie wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Museion Bozen entwickelt und konzentriert sich auf italienische Kunst aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist bereits die dritte Kooperation zwischen den beiden Häusern. Der Titel „Tutto“ ist von dem gleichnamigen Werk Alighiero Boettis inspiriert, einer Stickerei auf Stoff, die wie ein Gemälde im Keilrahmen dargeboten wird. Unzählige Motive aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen vereint Boetti hier zu einem Allover aus Menschen, Tieren, Pflanzen, mythischen Figuren, antiken Formen, Buchstaben und High-Tech-Erzeugnissen. Von der Amphore bis zum Düsenjet ist alles dabei.
Die instruktive Ausstellung wartet zudem mit Arbeiten etwa von Lucio Fontana, Giulio Paolini, Maurizio Nannucci, Giuseppe Penone oder Michelangelo Pistoletto sowie italienischen Designklassiker aus den Beständen der Neuen Sammlung München auf. Das Kuratorenkollektiv hat aber auch spannende Filmdokumente integriert, etwa den von der Musik der Beatles untermalten Experimentalfilm „Buongiorno Michelangelo“ von Ugo Nespolo aus den Jahren 1968/69. Mit der Kamera schaut Nespolo zwei Männern dabei zu, wie sie eine große, aus Zeitungspapier bestehende Kugel mit dem Cabrio durch Turin fahren und unter den staunenden Blicken der Passanten durch die Stadt rollen. Die Aktion fand 1968 im Rahmen einer Performance mit dem Titel „Scultura da passeggio“ statt.
Aus der Distanz: Bilder zur DDR in der Villa Stuck
Die Villa Stuck wiederum versammelte in der leider schon zu Ende gegangenen sehenswerten Schau „Von Ferne. Bilder zur DDR“ fotografische Bilder aus der und über die DDR. Die beiden Kuratoren Sabine Schmid und Michael Buhrs hatten insbesondere Künstler*innen eingeladen, die sich auf appropriierende Art und Weise mit gefundenen Bildern auseinandersetzen, die aus privaten oder staatlichen Konvoluten stammen. So hat etwa Jens Klein für seine Serie „Balloons“ Schwarzweiß-Fotografien aus dem Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde ausgewählt, die westliche „Hetzschriftenballons“ an diversen Fundorten in Städten, aber auch auf Feldern oder Waldwegen zeigen. Während des Kalten Krieges war es offenbar üblich, dass die NATO-Staaten über der DDR mit Flugblättern bestückte Heliumballons niedergehen ließen. Die Stasi wiederum dokumentierte jede Landung mit der ihr eigenen Akribie und generierte so unfreiwillig Aufnahmen von eigenwilliger Schönheit. In einen Kunstkontext gestellt, erinnern die Bilder der langgestreckten Flugkörper aus semitransparenter Plastikfolie fast an die „Luftskulpturen“ des ZERO-Künstlers Otto Piene.
Der Berliner Künstler Sven Johne wiederum greift auf privates Material des Mediziners Alfred Kleistner zurück. Dieser hinterließ bei seinem Freitod 1999 ein Konvolut an 358 Amateuraufnahmen von der Ostseeküste. Die sehr sachlich gehaltenen, allesamt menschenleeren Fotos entstanden sowohl vor als auch nach der Wende. 1976 war es Kleistner in einer spektakulären Aktion gelungen, schwimmend in den Westen zu gelangen. Für seine Arbeit „Kleistners Archiv“ hat Johne jetzt jeweils 120 Schwarzweiß- und 120 Farbaufnahmen in großen Rahmen ausgewählt. Sie zeigen auf geradezu beruhigende Art und Weise, dass der ewige Kreislauf von Ebbe und Flut, Sonnenauf- und -untergängen, Tages- und Jahreszeiten vollkommen unabhängig vom jeweils herrschenden politischen System ist. Ob Kleistners Biografie und seine Bilderwelt aber nicht nur eine Fiktion des Künstlers sind, lässt Sven Johne gerne offen. Jedenfalls hat er damit eine Fluchtgeschichte destilliert, wie sie zu tausenden tatsächlich geschehen ist.
Mit von der Partie waren etwa noch Tina Baras intime Aufnahmen von Freunden und Freundinnen aus dem oppositionellen Milieu der DDR-Friedensbewegung vom Anfang der 1980er Jahre, die durchaus an gleichzeitig entstandene Bilder der US-Amerikanerin Nan Goldin erinnern, oder Katrin Mayers Neu-Kontextualisierung von Bildern aus der Arbeitswelt, die sie im Nachlass des 2012 verstorbenen Leipziger Fotografen Reinhard Mende gefunden hat. Simon Menner stützt sich auf die hektisch aufgelösten Stasi-Archive und hat aus unzähligen Papierschnipseln puzzleartig deren Überwachungsbilder wieder zusammengeklebt. „Sortieren, ordnen, gruppieren, auswählen“, zählt Sabine Schmid in ihrem Katalogessay die Methoden der beteiligten Künstler*innen auf. Und genau darum ging es in dieser Ausstellung, die Vergangenes mit dem Blick von heute in neue, für den Betrachter spannende Kontexte stellte.
Akzente von außen
„Wenn wir die Stadt verändern wollen, so dass es langfristig funktioniert, müssen wir ein überregionales Publikum anziehen“, sagt Johannes Sperling, zusammen mit Sarah Haugeneder und Tim Geißler einer der Initiatoren des Projekts „Various Others“. Die Münchner Galerien haben sich daher jeweils mit einer Partnergalerie zusammengetan, um im internationalen Austausch neue Akzente zu setzen. Sperling selbst kooperiert mit der Londoner Galerie Emalin. In Sperlings Räumen am Regerplatz hat der 28 Jahre alte litauische Künstler Augustas Serapinas, der in diesem Jahr der jüngste Teilnehmer der Biennale Venedig ist, unter anderem eine Installation aufgebaut. Aus seiner Heimatstadt Vilnius hat Serapinas ein weitgehend zerfallenes Gewächshaus mitgebracht, das er in den Ausstellungskontext überführt. Diese Arbeit ist typisch für den gesellschaftskritischen Ansatz des Künstlers, weist sie doch auf die auch in seiner Heimat nicht aufzuhaltende Überformung gegebener Verhältnisse durch Gentrifizierung und Immobilienspekulation hin. Das Haus, zu dem das Gewächshaus einst gehörte, wurde an Investoren verkauft.
In der Doppelschau mit dem Berliner Künstler Malte Zenses präsentiert Serapinas erstmals auch ein selbst hergestelltes Objekt in Form einer Glasscheibe, gefasst von einem Fensterrahmen. Diese hat er gemeinsam mit gefundenen Pflanzenteilen in einem Brennofen so lange erhitzt, bis sich ein besonderes Amalgam aus Farben, Lufteinschlüssen und Asche bildete. Insofern korrespondiert die Arbeit perfekt mit den Gemälden, des 1987 in Solingen geborenen Berliner Künstlers Malte Zenses, die ebenfalls von eher ephemeren Spuren und Erscheinungen geprägt sind.
Die Galerie Rüdiger Schöttle in der Amalienstraße konzentriert sich in der Personale „Rim Light“ auf den chinesischen Maler Ding Yi in Kooperation mit der chinesischen ShanghART Gallery. Ding Yis auf Lindenholz in unterschiedlichen Formaten aufgebrachte Gemälde entstehen stets durch die Überlagerung mehrerer Farbschichten. Mit dem Stichel arbeitet der Künstler dann in großer Präzision durch Freilegung von Farbschichten Kreuzmotive heraus, die sich zu Strukturen verdichten und unter anderem an Luftaufnahmen nächtlicher Großstädte erinnern. „Wir wollen mit dem Projekt ‚Various Others‘ größere Aufmerksamkeit in die Galerien reinholen“, sagt Ingrid Lohaus von der Galerie Rüdiger Schöttle. „Es ist gut für uns, auch neue Sammler kennenzulernen, die von außen kommen und München aus einer anderen Perspektive erleben.“
Tierisches Allerlei
Die Galerie Klüser kompiliert an ihren zwei Standorten in der Georgenstraße und in der Türkenstraße für die Ausstellung „Il Mondo Animale“ Arbeiten von 17 Künstlern, darunter Stephan Balkenhol, Julian Rosefeldt, Cindy Sherman, Joseph Beuys oder William Wegman. Allen Künstlern gemeinsam ist ihre Annäherung an das Motiv Tier. Beeindruckend ist Julian Rosefeldts Videoarbeit „Das Wort ist immer die Avantgarde der Handlung“ von 2018, in deren Mittelpunkt vier reiterlose Pferde stehen. Sie galoppieren durch Rom mit Decken, auf denen Auszüge der italienischen Verfassung abgedruckt sind. Die Arbeit ist voller kunsthistorischer und politischer Referenzen. So bezieht sich Rosefeldt einerseits auf ein Happening mit vier Pferden, das Jannis Kounellis vor rund 50 Jahren in der römischen Fondazione Memmo veranstaltet hat. Andererseits rekurriert die Arbeit auch auf die vom Erstarken des Rechtspopulismus geprägte politische Situation im Italien der Gegenwart.
Die Galerie Jo van de Loo hat sich für „Various Others“ mit der 1979 gegründeten Produzentengalerie Hamburg zusammengetan, die mit neuen Arbeiten der in Berlin lebenden, 1982 in Falkenau bei Eger geborenen Malerin Monika Michalko angereist ist. Inspiriert von den Folkloretraditionen und der Ornamentik ihrer tschechischen Heimat, aber auch von Formen und Farben, Pflanzen und Tieren, die ihr auf ihren zahlreichen Auslandsreisen, so zuletzt nach Sri Lanka, begegnet sind, kreiert die Norbert Schwontkowski-Schülerin eigenständige, mitunter surrealistisch anmutende Bildwelten. Passend dazu präsentiert der 1970 in Ingolstadt geborene Lorenz Straßl an Altare, Tabernakel oder Wunderkammervitrinen erinnernde, ironisch anmutende Ensembles aus gesammelten Fundstücken und Alltagsgegenständen.
Fest in Frauenhand
Die Galerie Barbara Gross bot unter anderem den großdimensionierten Holzschnitten der Berliner Künstlerin Andrea Büttner ein Podium. In einem gut besuchten Künstlergespräch während des Auftaktwochenendes erläuterte Büttner, die lange Zeit in London gelebt hat, die Bedeutung des Holzschnitts für ihr Gesamtwerk. Dabei geht es um Anspielungen auf das Arts and Crafts Movement, auf den modernistischen Holzschnitt bei HAP Grieshaber, aber auch um Reminiszenzen, die auf ihre Erziehung in einer Klosterschule hinweisen. Einen Höhepunkt des Auftaktwochenendes stellte die Live-Performance des in München lehrenden Berliner Künstlers Gregor Hildebrandt in der Musikabteilung des Kaufhauses Ludwig Beck in der Innenstadt dar. Begleitet von der Indie-Band „Paar“, ließ der Künstler das Publikum an der Entstehung eines neuen großformatigen Bildes aus Magnetbändern teilhaben.
„In München findet ein Diskurs über zeitgenössische Kunst statt“, sagt Patrizia Dander vom Museum Brandhorst. Hier moderierte sie auch eine Podiumsdiskussion, bei der die drei Teilnehmerinnen neue Vermittlungskonzepte in Schweden, dem Schweizer Engadin und in Bangladesch vorstellten. Unter dem Titel „Various Other Models“ diskutierten Tessa Praun, Direktorin und Chefintendantin der Stockholmer Kunsthalle Magasin III, Mareike Dittmers vom erst im Winter eröffneten privaten Muzeum Susch im schweizerischen Engadin sowie Diana Campbell Betancourt vom international präsenten Dhaka Art Summit „hybride Ansätze, die klassische Museumskonzepte herausfordern“, so Patrizia Dander. Nach dem Erfolg auch der diesjährigen Auflage können sich die Münchner Kunstprotagonisten entspannt zurücklehnen und Ideen für die nächste Ausgabe im Jahr 2020 sammeln. „Various Others“ ist ein Format, um das einige andere deutsche Städte, deren Kunstszene eine Frischzellenkur ebenfalls sehr gut täte, München nur beneiden können.
Laufzeiten
Haus der Kunst: Markus Lüpertz. Über die Kunst zum Bild, bis 26. Januar 2020
Lenbachhaus: Senga Nengudi. Topologien, bis 19. Januar 2020
Sammlung Goetz: Tutto. Perspektiven italienischer Kunst, bis 29. Februar 2020
Galerie Sperling: Augustas Serapinas und Malte Zenses, bis 26. Oktober 2019
Galerie Ruediger Schöttle: Ding Yi. Rim Light, bis 16. November 2019
Galerie Klüser: Il Mondo Animale; die Ausstellung in der Türkenstraße ist beendet, in der Georgenstraße ist sie noch bis 9. November zu sehen
Galerie Jo van de Loo: Monika Michalko und Lorenz Straßl, bis 26. Oktober 2019
Galerie Barbara Gross: Andrea Büttner, bis 31. Oktober 2019
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