 |  | Ernst Barlach, Der Rächer, 1914 | |
Ernst Barlach ist gegenwärtig in aller Munde. Die Deutsche Post ehrt den norddeutschen Bildhauer, Grafiker und Dramatiker mit einer Sondermarke. Der Suhrkamp Verlag bringt eine 3.000 Seiten starke, vierbändige Ausgabe mit bisher zum Teil unveröffentlichten Briefen heraus. Und der Schauspieler Charly Hübner begibt sich gemeinsam mit dem Schriftsteller Ingo Schulze in den nächsten Monaten auf eine kleine Tournee quer durch Deutschland, in deren Rahmen sie aus den zahlreichen Briefen Barlachs lesen werden. Den Auftakt machte jetzt eine restlos ausverkaufte Veranstaltung anlässlich der Eröffnung der Jubiläumsausstellung in Hamburger Ernst Barlach Haus, das ebenfalls seinen Namensgeber zu dessen 150. Geburtstag ehrt.
Nach einer viermonatigen Renovierung zeigt das am Rande des Jenischparks gelegene, Anfang der 1960er Jahre von dem Architekten Werner Kallmorgen errichtete Ausstellungshaus jetzt die Schau „Werden, das ist die Losung! Szenen zum 150. Geburtstag von Ernst Barlach“. Im Zentrum der Präsentation steht die Frage: Was interessiert die jüngere Generation an Ernst Barlach? „Dieses Museum ist kein Haus, um ein endgültiges Resümee über das Leben und Werk von Ernst Barlach zu ziehen“, sagt Direktor Karsten Müller. Für die Auftaktschau zum Jubiläumsjahr hat er mit der Kunsthistorikerin Petra Lange-Berndt von der Universität Hamburg zusammengearbeitet, die sich gemeinsam mit zwölf Studierenden zwei Semester lang dem Phänomen Ernst Barlach genähert hat. „Diese Ausstellung sollte keine Retrospektive von der Wiege bis zur Bahre werden sondern eher eine Art Standortbestimmung“, ordnet Karsten Müller das experimentelle Projekt ein.
Die abwechslungsreiche Schau untersucht in zwölf aufeinanderfolgenden „Szenen“ unterschiedliche Facetten im zwischen Realismus und Expressionismus mäandrierenden Werk Ernst Barlachs. Die Studierenden haben die gesamte Bandbreite seines Œuvres als Bildhauer, Zeichner, Grafiker, aber gerade auch als Dramatiker erforscht. Dabei gingen die jungen Ausstellungsmacher von den acht, teils heute noch aufgeführten Dramen aus, die der Kleist-Preisträger Barlach geschrieben hat. Sie sind von karnevalesken und grotesken Szenen sowie einem schrägen schwarzen Humor geprägt. Vor diesem Hintergrund betrachtet, könnte man – so die nachvollziehbare These des Kuratorenteams – die expressionistischen Skulpturen des Künstlers auch als prototypische Schauspieler oder Bühnenfiguren verstehen. Zumal überliefert ist, dass sich bekannte Darsteller der Weimarer Republik von den Skulpturen Barlachs für ihr Spiel inspirieren ließen.
Als Leihgabe aus dem Theaterfigurenmuseum Lübeck konnten die Ausstellungsmacher etliche historische Handspielpuppen gewinnen, mit denen sie ihre These anschaulich illustrieren. Im Ernst Barlach Haus sind jetzt vom Kaspar über das Krokodil, den Teufel, den Polizisten und die Prinzessin alle klassischen Puppenspielfiguren versammelt. Denn auch in den verworrenen Dramen Barlachs spielt die Figur des Puppenspielers eine zentrale Rolle. Er selbst bezeichnete seine Figuren gar liebevoll als „Püppchen“. So versammelt die Schau Lithografien, Zeichnungen, Holzschnitte, Theaterplakate, alte Programmhefte und Szenenfotos und dazwischen immer wieder Skulpturen, die existenzielle Themen wie Armut, Tod, Angst oder Verfolgung symbolisieren.
Das blinde Wüten der Kriegsmaschinerie und die massenhafte Auslöschung von Menschenleben begegneten dem 1938 verstorbenen Ernst Barlach gleich zwei Mal. Diese Themen übersetzte er in so ikonische Werke wie die Skulptur „Der Rächer“ von 1914. Als „entarteter“ Künstler gebrandmarkt, hielt er sich weitgehend vom Nationalsozialismus fern. Dennoch unterzeichnete er 1934 zusammen mit 36 anderen Künstlern, darunter etwa auch Ludwig Mies van der Rohe, das von Joseph Goebbels formulierte Manifest „Aufruf der Kulturschaffenden“. Weitere Beweise für eine ideologische Nähe zum NS-Regime gibt es jedoch nicht. Seit 1910 lebte Ernst Barlach relativ isoliert im mecklenburgischen Städtchen Güstrow, von wo aus er allerdings eine weitverzweigte Korrespondenz pflegte. 1938 starb er nach schwerer Krankheit in Rostock. Seine Grabstätte befindet sich im schleswig-holsteinischen Ratzeburg.
Aus einer pazifistischen Grundhaltung heraus entwickelte Barlach eine vom christlichen Glauben inspirierte Formensprache, die bei der Rezeption seines Werkes bis heute im Vordergrund steht. Doch wie die Hamburger Ausstellung zeigt, hat er sich parallel dazu immer auch für heidnische Bräuche wie den Hexenkult und Märchenwesen interessiert. Daneben war er aber auch offen für fernöstliche Einflüsse. In seinem teils widersprüchlichen Werk spiegelt sich eine Auseinandersetzung mit den zentralen Menschheitskonflikten.
„Barlachs Versuch, den Kosmos von Fragen in eine klare Form zu bannen, das ist das, was die Ausstellung hier leistet“, resümiert Karsten Müller. Zeitgenössisch aufgemischt wird die Schau zudem von dem in Berlin lebenden Künstler Marten Schech, Jahrgang 1983, der im Atrium des Museums eine Intervention mit bemalten Naturhölzern realisiert hat, aber auch einige gewichtige Werke Barlachs mit minimalen Interventionen humorvoll kommentiert. Ernst Barlach im Licht einer jungen Generation betrachtet – die Auseinandersetzung mit dem in verschiedenen Sparten tätigen Künstler lohnt sich gerade auch vor dem Hintergrund heutiger Zeitfragen.
Die Ausstellung „Werden, das ist die Losung! Szenen zum 150. Geburtstag von Ernst Barlach“ läuft bis zum 22. März. Das Ernst Barlach Haus hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 7 Euro, ermäßigt 5 Euro, für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren ist er frei. Zur Ausstellung erscheint ein kostenloses Begleitheft.
Weitere aktuelle Publikationen zu Ernst Barlach sind:
Ernst Barlach: Die Hölzer. Woodwork, Verlag Kettler, 352 S., 49 Euro
Ernst Barlach: Die Briefe. Kritische Ausgabe in vier Bänden, Suhrkamp Verlag, 2986 S., 79 Euro (bis Ende Januar 2020), 98 Euro (ab Anfang Februar 2020) |