 |  | Lovis Corinth, Bildnis Wolfgang Gurlitt, 1917 | |
Versunken blickt die junge Dame in ihr eigenes Spiegelbild. In einem bauschigen lavendelblauen Abendkleid sitzt sie vom Betrachter abgewendet vor einem großen Spiegel. Den rechten Arm auf der Lehne des Stuhles aufgestützt, fasst sie sich mit ihren grazilen Fingern hinter das Ohr, als überprüfe sie ihre Frisur. Die Haare sind fein säuberlich zu einem Turm drapiert, verzierte Haarnadeln sichern ihn ab. Über dem schulterfreien und breit ausgeschnittenen Kleid trägt sie eine üppige Perlenkette. Auf einem kleinen Tisch im Hintergrund sind noch weitere Schmuckstücke zu sehen, die bei der Anprobe wohl nicht überzeugen konnten. Am rechten Bildrand steht auf einer Kommode eine steinerne Amor-Figur. Ähnlich wie der Betrachter scheint er als stiller Zeuge, das Geschehen zu beobachten. Auf seinen Bogen gestützt, liegt ein süffisantes Lächeln auf seinen Lippen. 1834 malte Ferdinand von Lütgendorff-Leinburg dieses biedermeierliche Idyll. Als ein in Würzburg geborener Maler war sein Werk von besonderem Interesse für die 1941 gegründete Städtische Galerie Würzburg. Heiner Dikreiter, erster Direktor des Hauses, erwarb das großformatige Gemälde bereits ein Jahr später in der Galerie des Berliner Kunsthändlers Wolfgang Gurlitt. Ein nicht ganz unproblematisches Geschäft, denn Gurlitt war auch in den Handel mit beschlagnahmten jüdischen Kulturgut verstickt. Bis heute konnte nicht geklärt werden, ob Lütgendorff-Leinburgs Damenporträt rechtmäßig in die beschauliche Stadt am Main gelangte.
Seitdem 2013 Teile der Sammlung von Hildebrand Gurlitt im sogenannten „Schwabinger Kunstfund“ entdeckt wurden, ist der Name Gurlitt vor allem mit NS-Raubkunst verbunden. Sein Cousin, der Kunsthändler Wolfgang Gurlitt, stand lange Zeit weniger im Interesse der Öffentlichkeit. Das Museum im Kulturspeicher Würzburg und das Lentos Kunstmuseum in Linz haben nun in einer gemeinsamen Ausstellung das Leben und Wirken von Wolfgang Gurlitt erforscht. Die Kuratorinnen Henrike Holsing und Elisabeth Nowak-Thaller wollen das Porträt eines umtriebigen Händlers nachzeichnen, in dessen Leben Licht- und Schattenseiten oft eng nebeneinander lagen. Die Verbindung zwischen Würzburg und Linz mag auf den ersten Blick verwundern. Tatsächlich aber verlagerte Gurlitt seinen Wohnsitz in den späten Kriegsjahren nach Würzburg, wo sein Freund Dikreiter gerade die Städtische Galerie aufbaute. Nach dem Krieg zog es ihn dann nach Linz. Dort übernahm er ehrenamtlich die Direktion der Neuen Galerie und verkaufte 1952/53 einen Großteil seiner privaten Sammlung an die Stadt, die damit ihr neues Museum gründete und zunächst nach ihm benannte.
Ein Förderer und Profiteur
Wolfgang Gurlitt wurde 1888 in Berlin geboren. Die Leidenschaft für die Kunst war im quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater Fritz Gurlitt, ein bekannter Berliner Galerist, organisierte die erste Impressionismus-Ausstellung in Deutschland. Sein Großvater war der heute etwas in Vergessenheit geratene Landschaftsmaler Louis Gurlitt, dessen italienische Landschaft mit den „Aequer Bergen“ von 1856 die Würzburger Schau eröffnet. Vor einem wolkenlosen Himmel blickt der Betrachter auf ein zerklüftetes und spärlich bewaldetes Tal. Das Bild wirkt gefällig und ganz dem bürgerlichen Geschmack des 19. Jahrhunderts verpflichtet. Weniger gesittet war der Lebenswandel seines Sohnes Fritz. Der Förderer von Max Liebermann und Lesser Ury starb 1893 mit nur 38 Jahren an den Folgen einer Syphiliserkrankung.
Ab Dezember 1912 führt Wolfgang Gurlitt die etwas dahindämmernde Kunsthandlung seines Vaters weiter und kann sofort an dessen Erfolge anknüpfen. So sorgt er noch 1912 mit der der ersten Schau der expressionistischen Malervereinigung „Brücke“ in Berlin für mediale Aufmerksamkeit. Junge aufstrebende Künstler und Künstlerinnen, wie Jeanne Mammen, Lotte Laserstein, Egon Schiele, Lovis Corinth, Edvard Munch, Alfred Kubin oder Oskar Kokoschka, nimmt er mit sicherem Gespür für die Qualität ihrer Kunst in sein Programm auf. Gurlitt gelingt es außerdem, Hermann Max Pechstein mit einem Exklusivvertrag an seine Galerie zu binden. Als dieser 1914 mit seiner Ehefrau zu einer Südsee-Reise aufbricht, finanziert der Kunsthändler das Unternehmen. Auch als die beiden nach dem Ausbruch des Weltkrieges von japanischen Truppen interniert werden, sorgt Gurlitt für ihre Rückreise.
Trotz dieser Schwierigkeiten malt Pechstein zahlreiche Bilder mit südländischen Motiven, etwa die „Zwei Eingeborenen“ von 1917. Wenige kraftvolle Pinselstriche umreisen zwei dunkelhäutige Männer vor einem knallroten Hintergrund; einer von ihnen hält seine Hand als Sonnenschutz vor seine Stirn. Exotische Darstellungen wie diese dokumentieren das ungebrochene Interesse der Avantgarde nach dem von der Zivilisation unberührten „primitiven“ Leben. 1922 kommt es zum Zerwürfnis der beiden Männer. Pechstein fordert die Rückgabe seiner Bilder, die Gurlitt wie selbstverständlich in seinem Keller hortet. Vor Gericht kommt es schließlich zu einer Einigung. Der Galerist darf nur vierzehn Gemälde behalten, der Rest geht an Pechstein zurück.
Stilvolle Extravaganz
Noch während des Ersten Weltkriegs lässt sich Wolfgang Gurlitt sowohl seine Galerie, als auch seine Privatwohnung vom Innenarchitekten Walter Würzbach sowie den Künstlern Rudolf Belling, César Klein und Pechstein umgestalten. Es entsteht ein „Neuschwanstein des Expressionismus“, wie die Presse 1921 titelt. Von den Räumen und ihrer Einrichtung hat der Krieg nichts verschont. Glücklicherweise sorgt das PR-Genie Gurlitt dafür, dass für das Modemagazin „Die Dame“ seine Zimmer fotografiert werden. Diese Aufnahmen vermitteln im Kulturspeicher einen Eindruck vom goldenen Berlin jener ausschweifenden Jahre. Gurlitt macht sich nicht zuletzt durch seinen extravaganten Lebensstil einen Namen in der Metropole. Der Kunstkritiker Paul Westheim schreibt über ihn: „Hier war ein Mann, der seinem Luxus Stil zu geben wusste.“ Zugleich bescheren ihm die pompösen Umbaumaßnahmen seinen ersten Konkurs. Weitere sollen noch folgen. 1932 muss er einen Offenbarungseid leisten. Aber wie so oft in seinem Leben, fällt der geschäftssinnige und bestens vernetzte Gurlitt immer wieder auf die eigenen Füße.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird Wolfgang Gurlitt als „unzuverlässiger Vierteljude“ eingestuft. Dennoch profitiert er von Hitlers Gewaltherrschaft. Gurlitts Verbindungen zur Berliner Landesleitung der Reichkammer der bildenden Künste sorgen dafür, dass er weitgehend ungestört seine berufliche Laufbahn fortsetzten kann. Er beteiligt sich am Handel mit Raubkunst und übernimmt Gemälde aus jüdischen Zwangsverkäufen. Seine Geliebte und Mitarbeiterin Lilly Agoston überredet er zu einer Scheinehe mit einem dänischen Staatsbürger, wodurch sie in Gurlitts Auftrag im internationalen Kunsthandel tätig werden kann. Immer wieder bemüht er sich auch darum, Werke an das geplante Führermuseum in Linz zu verkaufen. Im Gegensatz zu seinem Cousin Hildebrand Gurlitt, der einer der Haupteinkäufer für den „Sonderauftrag Linz“ ist, gelingt es ihm aber nicht, im großen Stil in den profitablen Handel einzusteigen.
In den Kriegsjahren kauft der Würzburger Galerieleiter Heiner Dikreiter regelmäßig bei Gurlitt ein. 18 Gemälde, 50 Druckgrafiken und 30 Zeichnungen kommen über ihn in die Städtische Galerie Würzburg. Als 1943 Gurlitts Wohn- und Galerieräume in Berlin ausgebombt werden, schlägt Dikreiter ihm vor, sich im vermeintlich bombensicheren Würzburg niederzulassen. Ein Jahr später stellt die Stadtregierung dem Berliner Kunsthändler eine Wohnung im Neiderthaus in der Maxstraße zur Verfügung. Und auch nach 1945 bleibt der inzwischen in Linz und München ansässige Gurlitt in Kontakt mit Dikreiter. 1957 verkauft er dem Museumsmann drei Gemälde Wilhelm Leibls. Zwei von ihnen stellen sich später als nicht authentische Werke des großen Münchner Malerfürsten heraus. In Würzburg kann sich der Betrachter selbst ein Bild von Gurlitts Ware machen und die „Leibls“ in direkter Nachbarschaft miteinander vergleichen. Für das „Bildnis eines Mädchens mit heller Bluse“ und das „Bildnis eines Mädchens mit dunkler Bluse“ verlangt Gurlitt 5.000 Mark. Für den Ankauf kann Dikreiter den Oberbürgermeister nur gewinnen, weil er davon überzeugt ist, dass Gurlitt „keinen Gewinn bei diesem Handel erzielen möchte“ – eine Großzügigkeit, die heute kaum glaubhaft erscheint. Der umtriebige und schlitzohrige Kunsthändler bleibt eben Zeit seines Lebens ein gewiefter Geschäftsmann.
Die Ausstellung „Wolfgang Gurlitt – Zauberprinz“ ist bis zum 3. Mai zu sehen. Das Museum im Kulturspeicher hat dienstags von 13 bis 18 Uhr, mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr und donnerstags zusätzlich bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 4,50 Euro, ermäßigt 2,50 Euro. Jeden ersten Sonntag im Monat ist er frei. Ein Katalog ist für 29 Euro an der Museumskasse erhältlich. |