 |  | Raffael, Selbstportrait, um 1504/06 | |
Alt ist der „größte Maler aller Zeiten“, als der er bis weit ins 19. Jahrhundert hinein galt, nicht geworden. Heute vor 500 Jahren starb in Rom Raffaello Santi, wohl genau an seinem 37. Geburtstag, wenn man seine Geburt für den 6. April 1483 in Urbino annimmt. Ganz gesichert ist das aber nicht. Neben Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarroti gilt er als das größte Talent der Hochrenaissance, von seinen Bewunderern wurde er in fast mystisch-religiöser Verehrung sogar als „Il divino“ – „Der Göttliche“ – tituliert. Speziell seine Bildnisse von Madonnen prägten sein Schaffen. Sie bezaubern bis heute durch ihr verhaltenes Lächeln mit zarten Gesten. Ihre Ausdruckskraft fußt auf einer einzigartigen Erfassung herzlicher unbeschwerter Innigkeit zwischen Mutter und Kind. Zu den prominentesten Gemälden dieser Gruppe gehört die „Sixtinische Madonna“. Das Glanzstück der Dresdner Gemäldegalerie konnte der Sachsen-Herrscher August III. im Jahr 1754 nach langen Verhandlungen für eine Rekordsumme erwerben. Die zu Füßen Marias liegenden Engel sind weltweit zu den bekanntesten Bilddetails aufgestiegen und tummeln sich allerorten als Phänomen der Populärkultur.
Kein anderer Maler gilt bis heute so dezidiert als Verkörperung der Renaissance schlechthin. Nach der Gehilfenzeit in der Werkstatt seines Vaters Giovanni Santi entwickelte Raffael als Schüler Pietro Peruginos in Florenz ab 1504 das Gespür für lichtdurchflutete Räume, idealisierte Figuren und melodisches Kolorit. 1508 ging er nach Rom ins Zentrum politischer und religiöser Macht. Sein Gönner Papst Julius II. beauftragte ihn mit der Ausmalung der päpstlichen Gemächer, der Stanzen. Die Art und Weise, wie Raffael hier die Geschichte des abendländischen Denkens, der Philosophie und der Kunst interpretierte, katapultierte in zum Meister der Vollkommenheit. Gebrochenes Licht, sanft umrissene Konturen, klangvolle Farben, bruchlos ineinander übergehende Nähe und Weite bewirken in ihrer Logik und Ausgewogenheit eine schon fast abnorme Natürlichkeit und Unbeschwertheit. In einer modernen, perspektivisch-atmosphärischen Ansicht aus klar in die Tiefe gestaffelten Ebenen verschmolz er landschaftliche und architektonische Räume.
Es ist vielleicht gerade die sogenannte „sprezzatura“, die Zwanglosigkeit und Natürlichkeit, die Raffaels Kunst so besonders macht. Perfekt und erstaunlich sicher verstand er sich in der Inszenierung komplexer Inhalte, fernab der dramatischen Monumentalität eines Michelangelo oder der filigranen Gedankengängen eines Leonardo, und machte den staunenden Betrachter glauben, er habe etwas höchst Komplexes und Kunstfertiges scheinbar aus dem Ärmel geschüttelt. Bei keinem anderen war der Sinn für die Geschichte der Kunst und das Erbe der Vergangenheit so stark ausgeprägt, wie bei Raffael. Niemand sonst verstand es, dies auf neue und wirkmächtige Art zu verarbeiten und zum Modell zu erheben.
Mit der Zeit steigerte Raffael den Blick der Hauptfiguren auf die Betrachter und band jene so stärker in das Geschehen ein. Auch die Gefühlsausdrücke seiner Figuren gewannen an Empathie und Kraft. Er holte sich Inspiration bei antiken Fresken und frühchristlichen Mosaiken und gestaltete daraus sein großformatiges Personal mit wehenden Gewändern in verfeinerter Palette. Hinzu kam ein spannungsreiches, Helldunkel, mit dem er die Szenerien in eine göttlich gelöste Ruhe überführte.
Raffael kreierte Sujets für jedes Alter, jede Generation, für alle Seelenlagen. Er begriff Kunst als schöpferische Tätigkeit im Geistigen und weniger als mechanisches Handwerk. Treffend macht dies ein Kupferstich Marcantonio Raimondis aus dem Jahr 1520 deutlich. Er zeigt Raffael zwar mit Malutensilien wie Farbtöpfe, Palette und Bildtafel, aber ohne Hände und Pinsel. Für Raimondi und seine Zeitgenossen war der „Bilderdenker“ Raffael wichtiger, als der ausführende Künstler. Bedingt durch eine verschleppte Malariainfektion ereilte ihn nach einem Fieberanfall am Karfreitag, dem 6. April 1520, der Tod. Seine letzte Ruhestätte fand Raffael, den der Maler und Biograf Giorgio Vasari nach Informationen aus erster Hand als tüchtigen, liebenswürdigen, charismatischen, geselligen und erfolgreichen Menschen beschrieb, im Pantheon zu Rom.
Nicht mehr langweilig kann einem in diesen coronobedingten Daheimbleibe-Zeiten mit Raffael werden. Zahlreiche Museen weltweit wollten den Gedenktag ausgiebig mit Ausstellungen, Publikationen, Vortragsreihen, Vermittlungsveranstaltungen oder Festakten feiern. Wegen der Pandemie sind diese Aktivitäten aber zusammengeschrumpft. Dennoch bieten drei der größten Museumseinrichtungen Deutschlands ein umfangreiches digitales Angebot. Tausend Bilder – eigenhändige Zeichnungen des Künstlers, aber auch aktuelle Reproduktionen, Druckgrafiken aus vier Jahrhunderten und Fotografien der letzten rund 150 Jahre – stellt die Hamburger Kunsthalle pünktlich zum Jubiläum heute in einem „Raffael-Album“ online. Sämtliche Objekte sind wissenschaftlich erschlossen und die jeweiligen Provenienzen angegeben. „Mit den Erklärungen und Kommentierungen zahlreicher der 1000 Werke sowie mit ihren hoch qualitativen Abbildungen ist diese Raffael-Datenbank die substantiellste Online-Präsentation eines deutschen Museums zu diesem faszinierenden Meister“, heißt es in der Verlautbarung des Hauses. Die Präsentation soll im Laufe des Jahres kontinuierlich weiterentwickelt werden, bis im Sommer das ganze Konvolut der insgesamt rund 1700 in der Kunsthalle verwahrten Werke zu Raffael wissenschaftlich erschlossen online abrufbar ist. Eine ursprünglich ab Mai vorgesehene Raffael-Ausstellung ist auf nächstes Jahr verschoben.
Vorläufig vom Corona-Virus niedergestreckt wurde auch eine Raffael-Präsentation im Florentiner Saal der Alten Pinakothek in München. Vorgesehen war eine kleine Schau rund um das frühe Hauptwerk, die sogenannte „Heilige Familie Canigiani“ von circa 1507, die schon seit dem späten 17. Jahrhunderts zum Besitz der Wittelsbacher und heute zu den kostbarsten Schätzen der Pinakothek gehört. Beigesellt werden sollten eine malerische Anverwandlung dieses Werks von Friedrich Overbeck sowie Arbeiten von Raffaels künstlerischen Vorläufern Pietro Perugino und Fra Bartolommeo. Einen kleinen Ersatz für die Ausstellung bietet die digitale Ausstellungswebsite www.pinakothek.de/raffael.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin schließlich offeriert ebenfalls auf ihrer Website den kleinen Katalog „Raffael in Berlin“ kostenlos zum Download. Darin treten die fünf in der Gemäldegalerie Berlin aufbewahrten Madonnenbilder und die „Madonna mit den Nelken“ aus der National Gallery in London miteinander in einen Dialog. Außerdem werden die eigenhändigen Zeichnungen des Meisters aus dem Bestand des Kupferstichkabinetts vorgestellt. Die Publikation „Apostel in Preußen. Die Raffael-Tapisserien des Bode-Museums“ stellt erstmals die Geschichte der Bildteppiche Raffaels für die Sixtinischen Kapelle, ihre sammlungs- und kulturhistorische Bedeutung für die Berliner Museen und den Verlust im Zweiten Weltkrieg vor. Sie ist im Sandstein-Verlag erschienen und kostet 24 Euro. Einen komprimierten, von hervorragenden Farbaufnahmen der wichtigsten Arbeiten begleiteten Schaffensüberblick vermittelt der neue Band von Steffano Zuffi: „Rafael. Meisterwerke im Detail“, erschienen im Verlag Bernd Detsch zum Preis von 29,95 Euro. |