Maler der Nazi-Grauen: Vittore Bocchetta gestorben  |  | Vittore Bocchetta, Ohne Namen, 2007 | |
Der italienische Maler, Bildhauer und Literaturwissenschaftler Vittore Bocchetta ist tot. Er starb gestern in Verona im Alter von 102 Jahren. Der 1918 in Sassari auf Sardinien geborene Künstler setzte sich in seinen Werken und Texten mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten auseinander. Er selbst wurde als Widerstandskämpfer 1944 von den Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Flossenbürg, später in das Außenlager Hersbruck deportiert. Auf dem Todesmarsch Richtung Dachau im April 1945 konnte er zusammen mit einem französischen Mithäftling fliehen. Zu seinem Glück fiel er in die Hände von britischen Armeeangehörigen und wurde von ihnen vor dem Erschöpfungstod gerettet. Nach Kriegsende kehrte Bocchetta nach Verona zurück und wanderte über Argentinien und Venezuela 1958 in die USA aus. Erst im Herbst 1992 kehrte er endgültig nach Italien zurück. Seit 2001 bereiste er Deutschland und besuchte 2004/05 erstmals wieder die Konzentrationslager, in denen er als Gefangener eingesessen hatte.
Nach seinem Abitur 1938 in Cagliari und dem Studium an der Universität Florenz arbeitete Vittore Bocchetta als Privatlehrer und Dozent für Geisteswissenschaften. Aufgrund seines Engagements für die politische Freiheit wurde er 1941 den italienischen Behörden gemeldet. Bald darauf war er in antifaschistische Untergrundaktivitäten involviert und Mitglied der italienischen Resistenza. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte es sich Bocchetta zur Aufgabe, an den Widerstand gegen den Faschismus mit Reden, Begegnungen in Schulen, Artikeln in Zeitungen und Magazinen zu erinnern. Da Italien in der Nachkriegszeit wenig Interesse an der eigenen Vergangenheit zeigte, ging Bocchetta in die USA und lehrte dort unter anderem an der Universität in Chicago und der dortigen Roosevelt University. 1972 gab er die Lehrtätigkeit auf, um sich ganz der Malerei und Bildhauerei zu widmen.
In seiner Kunst thematisierte Vittore Bocchetta oft seine Erlebnisse „jener fünf verdammten Jahre“ zwischen 1940 und 1945. So präsentierte er etwa in einer schwarzweißen Grafik zwei KZ-Häftlinge, die einen verstorbenen Mitgefangenen einäschern müssen. In dem bedrückenden Gemälde „Le Docce“, Die Duschen, zeigte er, wie brutale Männern mit Knüppeln auf verängstigte nackte Gefangene einschlagen. In seinen figurativen Schilderungen entwickelte Bocchetta hieraus das Thema der Grenzerfahrung menschlicher Existenz im Allgemeinen, seine Formensprache vereinfachte sich mit der Zeit. So schuf er seine 2007 in Hersbruck enthüllte Bronzeskulptur „Ohne Namen“ als menschliche Gestalt in reduzierter Abstraktion: Der schlanke Mensch mit einer Kugel als Kopf ohne Antlitz ist entkräftet zusammengesunken und stützt den nach vorne gebeugten Oberkörper mit seinen Armen ab. In Deutschland waren seine Werke zuletzt 2011 im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zu sehen. |