Die junge Frau auf Thomas Ruffs Farbfotografie blickt direkt und ruhig in die Kamera. Das klassische Brustbild wird durch den Seitenscheitel, den auf einer Seite sichtbaren Ohrring und das Oberteil mit Nelkenmuster etwas aufgelockert. Genauso gerade heraus verlief die Auktion der Sammlung Wilmar Koenig bei Bassenge. Von den gut 130 Losnummern konnte das Berliner Auktionshaus samt Nachverkauf fast Zweidrittel vermittelt. Die Einschätzungen erwiesen sich meist als zutreffend, es gab nur kleinere Abweichungen nach oben oder unten – vergleichbar mit den auflockernden Details des Frauenporträts. Zu demselben Preis wie Ruffs 1989 für den Kunstring Folkwang 30 Mal edierte Arbeit, die mit 1.200 Euro eine Punktlandung hinlegte, wurde auch das ikonische Motiv „Lotte (Auge)“ von Max Burchartz aus dem Jahr 1928 erwartungsgemäß zugeschlagen. Der posthume Abzug von 1980 zeigt die linke Hälfte eines Mädchengesichts vor einem schwarz-weiß geteilten Hintergrund. In dem Balanceakt „Die mißbrauchte Zeit“ von Peter Fischli und David Weiss, für den die beiden Schweizer 1985 Alltagsgegenstände wie einen Hammer oder eine Sprühflasche aufeinanderstapelten, tendiert die Säge bereits etwas nach unten – der Zuschlag machte es ihr nach: Statt der erhofften 7.000 Euro spielte die humorvolle Konstruktion 5.000 Euro ein.
Der 2018 früh verstorbene Wilmar Koenig war als Künstler, Kurator und Vermittler zeitgenössischer Fotografie bekannt. Als Mitbegründer der heute legendären „Werkstatt für Photographie“ prägte er die Fotoszene in Berlin entscheidend mit und sammelte Werke befreundeter Fotografen. Besonders angetan hatte es ihm William Eggleston, den Koenig 1984 zu einem Studienaufenthalt in Memphis besuchte und mit ihm mehrere Fotoreisen unternahm. Egglestons unkonventionelle Perspektive eines Flugzeugreisenden unter dem Titel „Madrid“ von 2004 steigerte sich von 1.000 Euro auf 1.400 Euro, die Ansicht einer unwirtlichen amerikanischen Straßenecke aus der in den 1980er Jahren entstandenen Serie „The Democratic Forest“ um 200 Euro auf 3.200 Euro. Doch waren die gute zwanzig Positionen von Eggleston für die Käufer in der Versteigerung am 2. Dezember etwas zu viel: Sie nahmen nur sechs mit. Vor allem verschmähten sie die beiden mit 20.000 Euro hoch bewerteten Arbeitsbücher Egglestons, die zusammen über 120 Bilder aus den USA und Spanien sowie eine wilde bunte Kreidezeichnung enthielten.
Die amerikanische Fraktion
Der Star der Koenig-Sammlung, die Aufnahme der blockhaften und minimalistischen Eingangssituation „Corona del Mar, 1971 B“ von Lewis Baltz, musste einen Abschlag von 20.000 Euro auf 18.000 Euro hinnehmen. Baltz thematisierte in seiner frühen Serie „Prototypes“ die neuen anonymen Gebäudekomplexe in den Vorstädten seiner Heimat Kalifornien, die die Natur verdrängten. Robert Cumming verwandelte 1982 durch die Tintenzeichnung einer markanten Brille das auf einem Plakat der Fotografin Diane Arbus dargestellte Baby in ein Kinderbild Wilmar Koenigs. Angesichts der 850 Euro konnte sich die amüsante Arbeit nicht über mangelnden Zuspruch beklagen (Taxe 400 EUR). Eine Überraschung bescherte ebenfalls ein stehender weiblicher Rückenakt, dessen Körper vollständig mit Schriftzügen bedeckt ist, bei einer Summe von 3.800 Euro. Der Gelatinesilberabzug von der Hand eines unbekannten Fotografen aus dem Jahr 1991 war Koenig anlässlich seiner Ausstellung in der New Yorker Galerie Janet Borden überreicht worden (Taxe 750 EUR).
Ebenfalls mit 750 Euro bewertet, konnten zwei landschaftliche Motive Joe Deals ihre Schätzungen ein gutes Stück ausbauen. Die Straße am Fuße steiler Felswände im kalifornischen San Bernardino schraubte sich zu 1.200 Euro hinauf, und eine mit Büschen stark bewachsene Hügellandschaft in Beaumont knackte 1.600 Euro. Zwei Abzüge aus der Serie „Gardens“ von John Gossage, die Einblicke in eine naturbelassene Flora geben, legten von 1.200 Euro auf 2.200 Euro zu, während ein weiteres Paar dieser wuchernden Gartenblider bei gleicher Preisangabe nur auf 1.000 Euro kam. Der auf 7.500 Euro taxierte, einsame und abgebrochene Pappelbaum vor weiten Feldern von Robert Adams blieb dagegen links liegen.
Die deutsch-deutsche Fraktion
Unter den Arbeiten von Mitgliedern der „Werkstatt für Photographie“, die Wilmar Koenig in den 1980er Jahren leitete, konnten insbesondere urbane Ansichten überzeugen. Der Vorreiter in dieser Hinsicht, ein verlassener Hinterhof in Blau von Michael Schmidt aus dem Jahr 1984, steigerte seine Schätzung von 4.000 Euro auf 6.000 Euro. Koenigs vierzehn Vintages aus den 1980er Jahren, die den menschenleeren Grenzbereich um die Berliner Mauer wiedergeben, trumpften mit 1.400 Euro auf (Taxe 800 EUR). Aus der Serie „Stadtbilder“ von Ulrich Wüst, entstanden 1979 bis 1983 in der DDR, blieben mit je 800 Euro eine unbetitelte Ansicht eines Wohnviertels mit mehrstöckigen Mietblöcken und die vergleichbare Rostocker Bebauung ihren Vorgaben von jeweils 750 Euro gerecht. Die beiden übrigen Fotografien Wüsts, eine verlassene Straße in Magdeburg für 550 Euro und Trabbi-Verkehr in Karl-Marx-Stadt für 500 Euro, mussten sich mit etwas niedrigeren Zuschlägen begnügen.
Rudolf Schäfer bewegte die Gemüter der Bieter mit einer Aufnahme der vom Krieg beschädigten und ornamental gegliederten Fassade der Synagoge in der Oranienburger Straße von 1983 zu beeindruckenden 2.200 Euro (Taxe 750 EUR). Eine Sozialstudie lieferte der damals unter anderem als freischaffender Modefotograf tätige Schäfer im Dezember 1981 mit der Fotografie zweier halb betrübter, halb aufmüpfiger „Punkmädchen“ in Berlin, die an einer Mauer lehnen. Auch hierfür gab es 2.200 Euro (Taxe 600 EUR). Christian Borchert lichtete in den Jahren 1977 bis 1983 den ostdeutschen Alltag ab. Die fünf Gelatineabzüge, die unter anderem eine Kellnerin beim Ausschenken von Wein in der Berliner HO-Gaststätte „Zum Stern“ und Kinder vor einem Hauseingang „Im Neubaugebiet Storkower Straße“ zeigen, konnten die anvisierten 1.200 Euro mit 2.600 Euro mehr als verdoppeln. Von Wilmar Koenig selbst stammte dann noch eine Portraitfolge aus 21 schwarzweißen eindrücklichen Gesichtern aus den frühen 1980er Jahren, die sich bei 4.600 Euro gut behauptete (Taxe 4.000 EUR).
Die Reiselust des 19. Jahrhunderts
Die Flaniermeile „Faubourg de Cracovie“, die die Warschauer Altstadt mit dem heutigen Zentrum verbindet, liegt auf einer Fotografie aus den 1860er Jahren kaum bevölkert da; zu sehen sind nur einige Karren, die alten Stirnseiten der Häuser, die aufragende Doppelturmfassade der Heilig-Kreuz-Basilika und als Abschluss die Akademie der Wissenschaften. Der Salzpapierabzug aus dem Portfolio „Vues de Varsovie“ des polnischen Fotografen Karol Beyer war mit 2.800 Euro im regulären Programm von Bassenge, das ebenfalls eine Abnahmequote von 66 Prozent verzeichnete, recht begehrt (Taxe 1.200 EUR). Auch der Russe Petr Petrovich Pavlov befasste sich mit seiner Heimat und lichtete 1899 Anton Tschechow bei einer Lesung des Stückes „Die Möwe“ vor Schauspielern der Moskauer Kunsttheaterkompanie ab. Die gestellt natürliche Szene konnte ihre Schätzung von 2.500 Euro mit 6.500 Euro fast verdreifachen.
Andere Fotografen des 19. Jahrhunderts packte die Reiselust. Der schottische Schriftsteller John Forbes Watson ging als Armeearzt nach Indien und lichtete dort 1866 für „The Textile Manufacturers and the Costumes of the people of India“ die Bevölkerung der verschiedenen Stände ab. Die neun Tafeln ließen die erhofften 400 Euro bei einem Zuschlag von 1.400 Euro hinter sich. Zudem lag eine Weltreise aus den Jahren 1910 und 1911 nach Siam, Java und Burma, dem heutigen Thailand, Indonesien und Myanmar, vor. Das Album mit 106 Ansichten von Landschaften, Tempelanlagen, rituellen Bräuchen und Einwohnern in traditioneller Kleidung, zu dem Joaquim António, Kassian Céphas, Emil Groote, Joseph N. Johannes, Ohannes Kurkdjian, Robert Lenz, Philip Adolphe Klier und weitere unbekannte Fotografen Bilder beisteuerten, kletterte von 2.500 Euro auf 3.600 Euro. Dagegen blieb das Konvolut japanischer Alltagsszenen und Porträts des italienischen Fotografen Felice Beato aus den Jahren 1863 bis 1867, ergänzt durch Reproduktionen von Aquarellen des britischen Malers Charles Wirgman, bei 6.000 Euro hängen (Taxe 8.000 EUR).
In den sizilianischen Sehnsuchts- und Freiheitsort von Taormina begab sich um 1900 Wilhelm von Gloeden und nutzte ihn als Kulisse für seine männlichen Aktfotografien. Sein auf rauen Felsbrocken sitzender Jüngling, der in den Anblick einer Blume versunken ist, erzielte mit traumhaften 4.600 Euro das Dreifache der Erwartung. Die übrigen Fotografien, in denen von Gloeden mit seinen Modellen eine arkadische Antike nachstellte, wurden knapp unter dem Schätzpreis verkauft – mit Ausnahme des großformatigen Albuminabzugs zweier auf einer Bank lagernder Jungen. Die mit Blumen und einer Panflöte ausstaffierten Bacchanten spielten 2.200 Euro ein (Taxe 2.000 EUR). Einen weiteren Akt stellte wohl Gaudenzio Marconi zur Verfügung. Sein lagernder muskulöser Mann mit ausgestrecktem Arm von circa 1875 nimmt dabei die Pose einer Skulptur ein, weshalb seine Aufnahmen gerade bei Bildhauern geschätzt waren. 1.800 Euro waren nun sein Lohn (Taxe 2.000 EUR). Preislich exakt identisch verhielt sich Nadars um 1855 erstelltes Portrait der Malerin Friederike Emilie Auguste O’Connell mit selbstbewusstem Blick.
Die Schrecken des 20. Jahrhunderts
Beim 20. Jahrhundert kamen unter anderem die Grauen des Säkulums in Form der Kriege zur Sprache. Ein Dokumentationsalbum der britischen Luftwaffe mit 52 Silbergelatineabzügen, die 1919 kurz nach dem dritten anglo-afghanischen Krieg aufgenommen wurden und als „Studien der Nordwestlichen Grenze Indiens“ beschrieben waren, verfünffachte sich auf 2.600 Euro. Die Ansicht des durch Bomben zerstörten Potsdamer Stadtschlosses, die der im Krieg desertierte Max Baur im April 1945 aufnahm, verließ das Haus bei 2.000 Euro (Taxe 750 EUR). Die Erstürmung des qualmenden Berliner Reichstags im Mai 1945 bezeugte eine Fotografie Ivan Shagins, die gute 2.000 Euro einbrachte (Taxe 900 EUR). Der sorgenvolle Blick der jungen Mutter auf der Flucht nach der Überquerung des Flusses Luni, die der Inder Raghubir Singh 1975 in Farbe einfing, schnellte von 1.000 Euro auf 2.400 Euro.
Es gab aber auch gefällige Motive, etwa Albert Steiners Vintage sauber aufgereihter Pappeln vor einem abendlichen Schweizer Bergsee aus den 1920er Jahren für 1.100 Euro (Taxe 900 EUR) oder Anton Stankowskis vom Wind aufgeblähte Pyjamas auf einer Wäscheleine von 1933, die sich von 800 Euro auf 1.400 Euro aufschwangen. Man kann sich den Besitzer des Nachtgewandes gut als einen jener Pennäler vorstellen, die Will McBride 1963 bei ihrer Morgendusche im Internat Schloss Salem am Bodensee ablichtete. Der Gelatinesilberabzug gefiel einem Bieter so gut, dass er mit 6.000 Euro das Dreifache des geforderten Preises zahlte. Zu 3.000 Euro animierte der Reprint der 1928 geschossenen Hafenszene „Bibi, Marseilles“ von Jacques Henri Lartigue aus den 1980er Jahren, dem durch die unscharf aufgenommene Dame vor der fokussierten Kulisse zweier vor Anker liegender Dampfer der Spagat zwischen Schnappschuss und Dokumentation gelingt (Taxe 1.800 EUR). Elliott Erwitts Aufnahme teurer Autos mit auffallenden Kotflügeln der Zeit um 1960 vor der Kulisse eines Hotelgebäudes in Miami Beach könnte einem Werbekatalog entsprungen sein, erfüllte jedoch mit 1.800 Euro die Erwartungen von 2.500 Euro nicht ganz.
Erwischt beim Sex
Dafür beeindruckten die zwanzig kolorierten und gebundenen Mikrofotografien der Französin Laure Albin-Guillot, die an ornamentale Borten, Stoffgewebe, pflanzliche Strukturen oder zoologische Details erinnern und sich auf 5.000 Euro verdoppeln konnten. Kurt Wendlandts abstrakte, aus kantigen Streifen zusammengesetzte Lichtgrafik „Turmfigur“ erklomm gleichfalls neue Höhen von 2.600 Euro (Taxe 1.500 EUR). Zehn Aufnahmen Marianne Brandts dokumentieren aus experimentellen Blickwinkeln, beispielsweise durch Spiegelbilder in drei Metallkugeln, die Räume, Ateliers und das Schaffen am Bauhaus in den Jahren 1927 bis 1931. Die nach den originalen Negativen 1993 erstellten Abzüge entlockten den Bietern 2.400 Euro (Taxe 1.200 EUR). Ähnlich ging Peter Lufft um 1938 bei seiner Aufnahme mehrerer gestapelter Blechdosen vor, die mit 1.000 Euro das Zweifache der Schätzung einbrachte. Die Spiegelungen auf der glänzenden Oberfläche der Büchsen erweitern den Bildraum und abstrahieren den alltäglichen Gegenstand.
Lotte Jacobi reüssierte mit dem Vintage ihres berühmten Portraits von „Albert Einstein in Leather Jacket, Princeton, New Jersey“ von 1938 bei 1.300 Euro (Taxe 900 EUR). Ihr britischer Kollege Charles Jones interessierte sich für die Gärtnerei und hielt seine Erzeugnisse in sachlichen Fotos fest, um 1900 etwa fünf geöffnete Schoten von Ackerbohnen, mit denen er nun 3.400 Euro ernten konnte (Taxe 2.500 EUR). Bekannt für seine Portraits von Pablo Picasso ist André Villers. 1956 verewigte er den Jahrhundertkünstler in seinem Atelier in Cannes, wie Picasso die gemalte Gestalt eines Pans in einem Schaukelstuhl betrachtet. Villers’ Abzug aus dem Jahr 2000 erreichte gute 2.400 Euro (Taxe 1.200 EUR). Diesen Wert gab es zudem für Candida Höfers leeren Innenraum des „Teatro Degollado Guadalajara III“ in Mexiko von 2015, der damit genau seine Schätzung traf. Das intime und provokante Selbstporträt Nan Goldin, das sie in einem New Yorker Appartement beim Sex präsentiert, verführte die Käufer zu 4.200 Euro (Taxe 3.000 EUR).
Die Ergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |