Kunst aus Thüringen in Recklinghausen Recklinghausen ist die Partnerstadt von Schmalkalden. Das hat die Kunsthalle Recklinghausen veranlasst, nun die Ausstellung „Überland – 100 Jahre Kunst in Thüringen“ vom dortigen Kunstverein zu übernehmen und zum 100jährigen Bestehen des Landes Thüringen das dortige künstlerische Leben zu beleuchten. Die Schau mit Exponate von rund 90 Künstler schlägt einen Bogen von den Jahren des Bauhauses in Weimar über die Zeit des Nationalsozialismus, den Neuanfang Deutschlands nach 1945, die DDR-Zeit und die deutsche Wiedervereinigung bis in die Gegenwart. Die Skulpturen, Fotografien, Gemälde, Grafiken und Installationen stammen etwa von Aenne Biermann, Walter Dexel, Otto Dix, Armin Reumann, Alexander von Szpinger, Charles Crodel, Tina Bauer-Pezellen, Volkmar Kühn, Gerda Lepke, Harald Reiner Gratz, Susann Maria Hempel, Kay Voigtmann oder Uta Zaumseil.
Am 1. Mai 1920 entstand durch die „kleinthüringische Lösung“ das neue Land. Im Lauf der Geschichte bildete es weder kulturell noch künstlerisch eine Einheit. 1920 war Weimar die Hauptstadt Thüringens und dank Walter Gropius Entstehungsort des Staatlichen Bauhauses. Die Schule sollte in wenigen Jahren wichtige europäische Künstler und Kunstpädagogen anziehen. Die neue Strömung brachte etwa die Aktfigurengruppe „Mann und Frau“ hervor, die Gerhard Marcks 1924 als Messingguss gestaltete. Aber auch Erfurter Institutionen waren von Bedeutung. Als der Berliner Kunsthistoriker Walter Kaesbach 1920 das Direktorat des Städtischen Museums antrat, lud er etwa Künstler der Brücke nach Erfurt. Erich Heckel konnte dank Kaesbach 1922 und 1924 die Wandmalerei „Lebensstufen“ im heutigen Angermuseum ausführen. Unerwartete Begegnungen ermöglichen etwa Erich Drechslers farbleuchtendes futuristisches „Viadukt“ von 1924 oder Franz Markaus expressive Wiederentdeckung „Der heilige Franziskus predigt den Vögeln“ aus dem Jahr 1921.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann sukzessive die Zeit, in der sich Deutschland in die BRD und die DDR aufteilen sollte. Die progressiven Entwicklungen im Kunstraum Thüringen wurden nach 1945 vor allem durch Persönlichkeiten getragen, die sowohl das klassische, wie auch das moderne Erbe der Region und die internationalen Kunstströmungen in ihren Arbeiten einschlossen. So schuf der seit 1945 in Gotha ansässige Kurt W. Streubel konkret-konstruktivistische Werke, während Gerhard Altenbourg sich seine versponnenen kleinteiligen Welten in Altenburg ausdachte. In den 1970er Jahren begann ein kultureller Generations- und Gesinnungswandel. Junge Künstler wie Erich Enge, Horst Sakulowski und Karl-Heinz Appelt zog es nach Thüringen. Sie hofften, einen künstlerischen Ausdruck jenseits des sozialistischen Themenkanons entwickeln und in Thüringen etablieren zu können. Zunächst führte dies zu einem Aufschwung im Kunstschaffen der DDR, das aber mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 einen Dämpfer erhielt. Die Folge war der endgültige Vertrauensverlust zwischen unangepassten Künstlern und dem Staat.
Selbstausdruck in Form von Verweigerung, Protest und Widerstand, aber auch künstlerischen und technischen Experimenten fand ab 1980 in der kurzlebigen Erfurter „Galerie im Flur“ einen Ausdrucksort. Sie war von der Schriftstellerin, Künstlerin und Feministin Gabriele Stötzer gegründet worden, nur um ein Jahr später von der Staatssicherheit geschlossen zu werden. In den 1990er Jahren füllten zahlreiche Neugründungen von Künstlergruppen, Kunstvereinen und Galerien das ausgedünnte Kunstgeschehen in Thüringen. Mit der Fakultät Gestaltung ab 1993 an der Weimarer Hochschule, ab 1996 Bauhaus-Universität, wurden auch wieder Studienmöglichkeiten im Bereich bildende Kunst geschaffen. Mit Jana Gunstheimers Wandobjekt „SBK #1743 (Mantel des Werner Hofbichler)“ aus der fiktiven Serie „Heiligsprechung“ von 2007 und Hans-Christian Schinks Fotografie „A 71, Brücke Wilde Gera (2)“ aus der
Serie „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“, die an Drechslers „Viadukt“ anknüpft, sind aktuelle Strömungen zu sehen, die über den thüringischen Kunstkreis hinausreichen.
Die Ausstellung „Überland – 100 Jahre Kunst in Thüringen“ läuft bis zum 21. November. Die Kunsthalle Recklinghausen hat dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 5 Euro, ermäßigt 2,50 Euro.
Kunsthalle Recklinghausen
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