Evelyn Richter: Chronistin der DDR gestorben Evelyn Richter ist tot. Die preisgekrönte ostdeutsche Fotografin starb am Sonntagmorgen mit 91 Jahren in Dresden. Richter gehörte zu den bedeutendsten und international beachteten Vertreterinnen einer humanistisch geprägten künstlerischen Fotografie in der DDR. Viele ihrer Werke seien im kollektiven Bildgedächtnis verankert. Durch ihr umfangreiches künstlerisches Schaffen sowie viele intensive Gespräche bleibe Evelyn Richter für uns unvergessen, teilte das Evelyn Richter Archiv der Ostdeutschen Sparkassenstiftung mit, das im Museum der bildenden Künste Leipzig bewahrt wird. „Ohne Evelyn Richter, ihren genauen Blick – der aber nie voyeuristisch war, sondern immer menschlich geblieben ist – wäre die deutsche Fotografie um eine entscheidende Stimme und Handschrift ärmer“, so Michael Ermrich, Vorsitzender des Vorstandes der Ostdeutschen Sparkassenstiftung. In ihren Werken werde sie weiterleben.
Evelyn Richter kam am 31. Januar 1930 in Bautzen zur Welt, erlernte ihren Beruf zwischen 1948 und 1951 bei Pan Walther und Franz Fiedler in Dresden und nahm nach einer Tätigkeit als Laborantin 1953 ihr Fotografiestudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Johannes Widmann auf, wurde aber schon zwei Jahre später wieder exmatrikuliert. Von da an arbeitete sie freischaffend und setzte den systemkonformen, oft pathetischen offiziellen Bildern der DDR eine wahrhaftige und unprätentiöse Darstellung der ostdeutschen Lebenswirklichkeit und seiner Menschen entgegen. Damit eckte Richter bei behördlichen Stellen an. Denn gegen die utopischen Ideen des DDR-Staats zieht sich ein melancholischer Grundton durch ihre Bilder. „Das offizielle Klischee verlangte zu sehen, was sein sollte, und nicht, was real existierte“, beschrieb die Fotografin selbst die Doktrin des Staates.
So verlieren sich bei Evelyn Richter die beiden jugendlichen Fahnenträger 1976 in der städtischen Tristesse der fast menschenleeren Straßen von Leipzig. Ein Jahr zuvor entdeckte die Fotografin eine Frau im Dresdener Albertinum, wie sie mit trostloser Mimik vor Wolfgang Mattheuers Gemälde „Die Ausgezeichnete“ steht, auf dem eine alte Frau einsam vor einem Tisch sitzt und mit sinnentleertem Blick auf einen Blumenstrauß schaut. Damit gelang Richter ein doppelter Abgesang auf die propagierten sozialistischen Wunschvorstellungen der DDR. Auch ihre Studien der Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Mitmenschen konterkarierten dieses Selbstbild als eine vermeintlich menschlichere Gesellschaft. Eine weitere ikonische Darstellung von verhaltener Wehmut schuf Richter 1972 mit ihrer Fotografie „Vor der Museumsinsel“ in Berlin. Dort schippert auf der Spree ein Lastschiff langsam dahin und wird am Ufer von einem Vater mit seinem Sohn beobachtet. Auf dem Bug steht in großen Lettern sein Name „Traumland“, das für viele Bürger der DDR nicht zuletzt wegen des Reiseverbots nie zu erreichen war.
Das Medium Fotografie war für Evelyn Richter ein Mittel der Geschichtswahrnehmung und -reflexion. Ein Bild sollte ästhetisch und formal überzeugen, Inhalte vermitteln, Emotionen auslösen und verdichten. Diese Werte gab sie von 1981 bis 2001 als Dozentin an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst an junge Fotografinnen und Fotografen weiter, von 1991 an als Ehrenprofessorin. 1992 wurde Richter mit dem Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie und 2006 mit dem Kunstpreis der Landeshauptstadt Dresden geehrt. Im vergangenen Jahr erhielt sie zu ihrem 90. Geburtstag den erstmals vergebenen Bernd und Hilla Becher-Preis der Stadt Düsseldorf. In der Begründung hieß es: „Inspiriert von der neuen internationalen Sozialfotografie fokussiert Richter den Menschen und seine Lebenswelten so ungeschönt wie empathisch. Dabei erliegt die Fotografin nie der Versuchung, die Welt auf Eindeutigkeiten herunterzubrechen. Vielmehr legt sie Zugänge zu deren Komplexität und ermöglicht es Betrachterinnen und Betrachtern, den Dingen nahe zu kommen. In ihrer Offenheit und Unvereinnahmbarkeit liegt die große Aktualität von Evelyn Richters fotografischer Haltung.“ |