 |  | Neue Stufe der Eskalation um die Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich | |
Für das Kunsthaus Zürich war es ein großer Tag: Seit dem 9. Oktober sind in einem eigens von Stararchitekt David Chipperfield errichteten Anbau 170 prominente Gemälde aus der Sammlung Emil Georg Bührle zu sehen. 206 Millionen Franken hat der Bau gekostet; die Stadt Zürich übernimmt die laufenden jährlichen Kosten von derzeit 17 Millionen Franken. Doch kaum vier Wochen nach der Eröffnung ballen sich die dunklen Wolken, die vorher schon am Horizont entlang zogen, erneut dicht zusammen.
Umstritten war die Sammlung schon immer: Der 1956 gestorbene Emil Georg Bührle hatte sein Geld mit Waffenverkäufen in alle Welt gemacht – auch an Nazi-Deutschland. Über die Umstände des Erwerbs und der Herkunft einzelner Kunstwerke gab es aus der Familie keine Information. Die Tochter des Sammlers, Hortense Anda-Bührle, habe vor 20 Jahren erklärt, es gebe keine Unterlagen mehr. Die Akten seien vernichtet worden. So sagt jedenfalls ein ehemaliges Mitglied der „Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg“ (UEK), die zwischen 1996 und 2001 die Verstrickungen der Schweiz in den Zweiten Weltkrieg untersucht hat.
Am 7. November hat eine Gruppe von damals an der sogenannten Bergier-Kommission beteiligten Historikern in einer Erklärung den Eindruck geäußert, „dass Stiftung und Familie Bührle gegenüber der UEK seinerzeit die Unwahrheit gesagt haben“. Der Grund für diese Behauptung: Nach und nach sei ein „umfassendes Archiv“ aufgetaucht, das genau die damals gesuchten Unterlagen enthält. Teile davon, so berichtet die Neue Zürcher Zeitung, liegen in den Vitrinen im Dokumentationsraum zur Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich und geben über die Herkunft einzelner Werke Aufschluss.
Die damaligen UEK-Mitglieder fordern jetzt, die historische Forschung im Zusammenhang mit der Sammlung Bührle weiterzuführen. Eine unabhängige Expertenkommission solle die durch die Stiftung bisher geleistete Provenienzforschung evaluieren. Der Dokumentationsraum im neuen Sammlungsgebäude sei auf der Basis des aktuellen Forschungsstandes von unabhängigen Expertinnen und Experten eingehend zu kontextualisieren, ebenso die Sammlung selbst und die Geschichte ihrer ehemaligen Besitzer. Die Schweizer Bundesverwaltung fordern sie auf, ein unabhängiges Gremium einzusetzen, „das zwischen Anspruchsberechtigten sowie Sammlerinnen und Sammlern, Museen oder anderen bewahrenden Institutionen eine gerechte und faire Lösung für alle Beteiligten im Sinne des Washingtoner Abkommens vom 3. Dezember 1998 sowie der Theresienstädter Erklärung vom 30. Juni 2009 vermittelt“.
Die aktuelle Präsentation der Sammlung Bührle im neuen Zürcher Kunsthaus, so die Historikergruppe, werfe grundlegende Fragen auf und sei „ein Affront gegenüber potenziellen Opfern von Raubgut“. Ein Sprecher des Kunsthauses bestritt, dass die Ausstellung – nach derzeitigem Stand der Forschung – noch Raubkunst enthalte und verweist auf eine Untersuchung des Zürcher Historikers Matthieu Leimgruber. Diese ist jedoch in ihrer Entstehung umstritten und wird gerade in der Frage der Provenienzuntersuchung als nicht unabhängig beanstandet. Auch die Süddeutsche Zeitung kritisierte die Perspektive, die in der Aufarbeitung dieser Sammlung vom Kunsthaus Zürich eingenommen wird, und bemängelte, die „große Ausführlichkeit und Klarheit“, die Kunsthaus-Direktor Christoph Becker im Gespräch über die Sammlung Bührle in der Dokumentation verspricht, könne man auch mit gutem Willen nicht finden. |