Ist es nun taghell oder tiefe Nacht? Das lässt sich bei René Magrittes Gemälde „L’empire des lumières“ nicht sicher sagen. Denn während das einsame Haus in einer ruhigen Brüsseler Straße in nächtliche Dunkelheit gehüllt ist, strahlt über dem Dach und den schwarzen Baumwipfeln ein blauer Himmel mit weißen Wolken. Mit einer solchen Vermischung zweier realistischer Gegebenheiten gestaltete Magritte seinen Beitrag zum Surrealismus und wurde mit ihm weltweit berühmt. Auch in seinem „Reich der Lichter“ verquickte er 1961 zwei Wirklichkeitsebenen zu einer Traumvision und schuf damit ein Meisterwerk, das zurecht lange Jahre als Leihgabe im Musée Magritte in Brüssel hing. Nun schlug es erstmalig aus der mit Magritte befreundeten Familie Gillion Crowet auf dem Kunstmarkt auf und ging bei Sotheby’s in London mit einer Erwartung von mindestens 45 Millionen Pfund ins Rennen um die Gunst der Sammler. Schon dieser Wert war eine Rekordansage, der mit einem Zuschlag von 51,5 Millionen Pfund deutlich übertroffen wurde, damit den bisherigen Auktionshöchstpreis von 23,5 Millionen Dollar fast verdreifachte und zugleich das teuerste Werk eines belgischen Künstlers wurde.
Mit Aufgeld zahlte ein ungenannter Käufer 59,4 Millionen Pfund für Magrittes „falsche Realität“ und trug damit den größten Batzen zum Gesamtumsatz von 191,2 Millionen Pfund der „Modern & Contemporary Evening Auction“ bei. Bereits dieses Rekordergebnis macht deutlich, dass sich der Kunstmarkt trotz des Ukraine-Kriegs im Spitzensegment überraschend robust zeigt. Insgesamt konnte Sotheby’s am 2. März gut 80 Prozent der Kunstwerke veräußern, wobei vor allem Bieter aus dem asiatischen Raum kräftig mitmischten. Von den Sammlern aus 46 Ländern beteiligten sich mehr als die Hälfte über das Internet, was den allgemeinen Trend zum digitalen Kunstkauf auch im High End-Bereich verstärkt. Platz 2 der Zuschlagsliste belegte dann Claude Monets charakteristisches Seerosenbild von 1914/17 in grün-violettem Kolorit zur oberen Schätzung von 20 Millionen Pfund. Doch der Star-Impressionist musste auch manche Feder lassen. So blieb sein bunt leuchtendes Meer aus Chrysanthemen von 1897 schon an 7 Millionen Pfund hängen (Taxe 10 bis 15 Millionen GBP) und seine dumpfe Winterlandschaft „Glaçons, environs de Bennecourt“ von 1893 fand überhaupt keinen Käufer (Taxe 5 bis 7 Millionen GBP). Dafür kam seine sommerlich farbenfrohe Küste „Sur la Falaise près de Dieppe, soleil couchant“ von 1897 auf taxkonforme 4,4 Millionen Pfund.
Impressionistische Schwachstellen
Auch bei Pierre-Auguste Renoirs charmanter junger Frau „Buste de femme, de profil“ von 1884 war der Bieteifer mit 4,5 Millionen Pfund doch etwas gedämpft (Taxe 6 bis 8 Millionen GBP), wohingegen sich Gustave Caillebottes schon länger durch den Kunstmarkt tingelndes Portrait des leger sitzenden „Monsieur R.“ mit 5,6 Millionen Pfund an die obere Taxgrenze heranwagte. Aus den nachimpressionistischen Strömungen kamen Théo van Rysselberghes pointillistische Abendlandschaft „La pointe du Rossignol (Cap Layet)“ von 1905 bei 950.000 Pfund (Taxe 800.000 bis 1,2 Millionen GBP) und Vincent van Goghs spazierendes „Liebespaar“ von 1888 in knalligen Kontrastfarben bei 8,5 Millionen Pfund zu ihrem Recht (Taxe 7 bis 10 Millionen GBP). In der französischen Moderne trat dann vor allem Pablo Picasso mit seinem in Grautönen gehaltenen Bildnis einer sitzenden doppelgesichtigen Gestalt, hinter der sich im Dezember 1938 seine beiden zeitgleich Geliebten Marie-Thérèse Walter und Dora Maar verbergen, mit 10,2 Millionen Pfund am deutlichsten hervor (Taxe 10 bis 15 Millionen GBP). Gino Severinis kubistische Ölstudie „L’Autobus“ von 1913, ein Leckerbissen für Sammler des Futurismus, erreichte mit 550.000 Pfund ein ebenfalls ihrer Erwartung entsprechendes Niveau.
Aus Deutschland war unter anderem Max Beckmanns mit zwei Gemälden nach London gereist, die allerdings recht verhalten aufgenommen wurden: Die ruhige Strandszene „Künstler am Meer“ von 1930 aus der Sammlung des verstorbenen Kunsthändlers Richard Feigen hielt sich exakt an die untere Schätzgrenze von 350.000 Pfund, das zweite Hochformat, der schummrige „Abend auf der Terrasse“ von 1928, fand bei einer Erwartung von mindestens 750.000 Pfund überhaupt keinen Abnehmer. Da hatten es Franz Marc, wie schon tags zuvor bei Christie’s, und Egon Schiele deutlich besser. Marcs frühes, fast noch impressionistisches „Eichkätzchen“ von 1907, das flink durch eine Kiefer springt, kletterte von 350.000 Pfund auf 550.000 Pfund, Schieles fahle „Kreuzigung mit verfinsterter Sonne“ aus dem Jahr 1907 von 500.000 Pfund auf 750.000 Pfund. Auch Gerhard Richters „Abstraktes Bild“, eine charakteristische Farbverwischung in dominantem Rot von 1994, durfte sich über für 1,7 Millionen Pfund freuen (Taxe 1 bis 1,5 Millionen GBP), während die Gebote für Albert Oehlens gestisch-ornamentale Abstraktion „Freeway Express“ von 1997 bei 700.000 Pfund (Taxe 900.000 bis 1,2 Millionen GBP) und die für Anselm Kiefers eigenwillig versehrte Landschaft „Wundtau regnet“ von 2011 schon bei 550.000 Pfund stoppten (Taxe 600.000 bis 800.000 GBP).
Zeitgenossen im Rekordrausch
Den Spitzenpreis bei den Zeitgenossen ergatterte wie anvisiert David Hockneys heimisches farbintensives Felderpanorama „Garrowby Hill“ von 2017 bei guten 12,05 Millionen Pfund (Taxe 7,5 bis 10,5 Millionen GBP). Zuwächse konnten zudem Domenico Gnolis stilisiertes, drall ins Bild gerücktes Tortenstück „La Tranche“ von 1965 bei 2 Millionen Pfund (Taxe 1,2 bis 1,8 Millionen GBP), Helen Frankenthalers abstrakt-expressive Leinwand „Tournament“ von 1977 bei 1,55 Millionen Pfund (Taxe 1 bis 1,5 Millionen GBP) und für El Anatsuis glitzernder Wandteppich „Wade in the Water“ von 2017/21 aus plattgedrückten Kronkorken bei 925.000 Pfund verbuchen (Taxe 650.000 bis 850.000 GBP). Yayoi Kusamas mit kleinen schwarzen Punkten übersätes weißes „Infinity-Nets (KYKEY) “ von 2017 schloss im Schätzbereich bei 1,85 Millionen Pfund ab. Teuerste Skulptur des Abends wurde Lucio Fontanas schrundige Kugelbronze „Concetto Spaziale. Natura“ von 1959/60 mit einem großen Riss in der Mitte für 1,7 Millionen Pfund (Taxe 1 bis 1,5 Millionen GBP), und auch zwei Menschenkonstrukte Antony Gormleys ließen sich gut an: sein aus kleinen Klötzchen durchbrochen gearbeiteter Stehender „Build II“ von 2010 bei 480.000 Pfund und der kompaktere „Turn V“ von 2013 bei 775.000 Pfund (Taxe je 350.000 bis 450.000 GBP).
Die ganz junge Kunst hatte Sotheby’s in der eigenen Versteigerung „The Now“ mit 22 Positionen zusammengefasst, von denen sich 19 verabschiedeten und nochmals gut 30 Millionen Pfund zum Bruttoumsatz des Tages beitrugen. Zum Spitzenreiter avancierte der britische Street Art-Künstler Banksy mit seiner Kitschlandschaft „Vandalised Oil (Choppers)“ aus dem 19. Jahrhundert, auf die er 2006 zwei Militärhubschrauber gesprayt hat, aus der Sammlung des britischen Popstars Robbie Williams mit 3,6 Millionen Pfund (Taxe 2,5 bis 3,5 Millionen GBP). Bei taxgerechten 2,3 Millionen Pfund gesellte sich noch Banksys bekanntes „Girl with Balloon“ hinzu, während seine schwulen „Kissing Coppers“ von 2005 durchfielen (Taxe 2,5 bis 3,5 Millionen GBP). Millionenwerte gab es noch für Cecily Browns abstrakte Farbschlacht „Faeriefeller“ von 2019, aus der sich dann noch menschliche Gesichter zu schälen scheinen, mit 2,4 Millionen Pfund (Taxe 2,2 bis 2,8 Millionen GBP), Stanley Whitneys bunt aufgereihte Farbrechtecke unter dem Titel „Nightwatch“ von 2012 bei 1,4 Millionen Pfund (Taxe 300.000 bis 500.000 GBP) und George Condos fratzenhafte „Green Head Composition“ von 2013 bei 1,9 Millionen Pfund (Taxe 1,5 bis 2,5 Millionen GBP).
Die 1991 geborene Auktionsdebütantin Rachel Jones, die unter anderem von der Galerie Thaddaeus Ropac vertreten wird, konnte mit ihrer großformatigen, farbgewaltigen Abstraktion „A Slow Teething“ aus dem Jahr 2020 punkten, die die Bieter von 50.000 Pfund auf immerhin 490.000 Pfund hoben. Auch für Shara Hughes’ bunt wuchernde psychedelische Naturwelt „Naked Lady“ von 2019 ging es von 220.000 Pfund zum neuen Spitzenpreis von 1,65 Millionen Pfund steil bergauf, den auch Flora Yukhnovich mit ihrer von französischer Rokoko-Malerei inspirierten fleischigen Landschaft „Warm, Wet ’N’ Wild“ mit 2,2 Millionen Pfund erklomm (Taxe 150.000 bis 200.000 GBP). Neue Rekordmarken stellten zudem Hilary Pecis mit ihrem knallbunten Stillleben „Fish and Bird“ von 2019 mit 750.000 Pfund (Taxe 100.000 bis 150.000 GBP) und Robert Nava mit seiner Kindermalerei des bellenden Hundeduos „Frozen Bark“ mit 380.000 Pfund auf (Taxe 60.000 bis 80.000 GBP). Einen ersten Auktionsauftritt hatte auch der 1999 geborene Ire Robbie Barrat, der mit Künstlicher Intelligenz seine Werke am Computer generiert, so auch seine schwammige braun-violette Struktur „AI Generated Nude Portrait #7 Frame #64“ von 2018, die mit einem NFT hinterlegt ist und es bei 500.000 Pfund nicht ganz mit der Schätzung von 700.000 bis 1,2 Millionen Pfund aufnehmen konnte.
Die Ergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |