Wallende Wogen in Wiesbaden  |  | Emilio Longoni, Die Melodie des Flusses, 1900/03 | |
Das Museum Wiesbaden hat anlässlich des Wiesbadener Wasser-Jahres 2022 am Wochenende eine Ausstellung zur Rolle des Naturelements in der Kunst des Jugendstils eröffnet. Unter dem Titel „Heilsbringer und Todesschlund“ stellt die von Peter Forster kuratierte Schau über 200 Exponate der Gattungen Malerei, Angewandte Kunst, Skulptur, Textilkunst und Druckgrafik aus regionalen sowie internationalen Sammlungen vor. „Geboren aus der Dynamik der Natur, forderte der Jugendstil zu Anfang des 20. Jahrhunderts revolutionär eine moderne und ihrer Zeit angemessene Kunst“, erläutert Forster und setzt hinzu: „Das weite, tiefe, geheimnisvolle Meer wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endgültig zum Labor. Die sich darin eröffnende Formenvielfalt der Natur und Mythologie nutzten die Kunstschaffenden des Jungendstils zu einzigartigen Experimenten, die bis heute bezaubern.“
Walter Cranes mächtiges Querformat „Die Rosse des Neptun“ von 1892 oder Hans Thomas Reigen dreier „Seeweiber“ im Mondschein von 1879 vertreten beispielsweise die mythologische Interpretation des Sujets. Auch die psychologische Abgründigkeit, die im Symbolismus zum Ausdruck kommt, bildet einen Schwerpunkt. So präsentiert Emilio Longoni auf seinem Gemälde „Die Melodie des Flusses“ eine Geige spielende rothaarige Frau, die sich sirenengleich mit dem Element Wasser verbindet und die männliche Welt in den Abgrund lockt. Als Inspiration für die gischtgekrönten, sich brechenden Wogen dienten den europäischen Künstlern japanische Holzschnitte, unter anderem von Utagawa Hiroshige, die den Westen durch ihre leuchtenden Farben und die flächige Gestaltung beeindruckten. So scheint sich Clément Massier um 1900 bei seiner Vase mit Wellendekor direkt auf Hiroshiges Farbholzschnitt „Die Provinz Awa: der Strudel in der windgepeitschten See“ zu beziehen.
Die in Japan so beliebten Kois nutze William De Morgan in abgewandelter Form für das Dekor seines Kachelfrieses mit Fischen, ebenso François Eugène Rousseau und Ernest-Baptiste Léveillé bei ihrer Vase mit stilisierten roten Karpfen. Im Sinne des vom Jugendstil angestrebten Gesamtkunstwerks fand sich die Wassersymbolik somit nicht nur in der höheren Kultur zu wieder, sondern hielt auch Einzug in den Alltag der Menschen. Der Jugendstil war jedoch nicht nur ein dekorativ erquickendes Vergnügen am Beginn des 20. Jahrhunderts, sondern auch die kritisierbare Grundlage von Anschauungen der Lebensreformbewegung, wie unter anderem Max Nonnenbruchs von einer Böe umspielte Windsbraut am Strand verdeutlicht.
Die Ausstellung „Wasser im Jugendstil – Heilsbringer und Todesschlund“ ist bis zum 23. Oktober zu sehen. Das Museum Wiesbaden hat dienstags und donnerstags von 10 bis 20 Uhr, mittwochs und freitags bis 17 Uhr sowie am Wochenende bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt regulär 10 Euro, ermäßigt 7 Euro. Begleitend zur Schau erscheint ein Katalog im Deutschen Kunstverlag für 39,90 Euro an der Museumskasse. Als Haus für Kunst und Natur thematisiert das Museum Wiesbaden das Element des Wassers auch aus naturwissenschaftlicher Sicht in seiner Sonderausstellung „Vom Wert des Wassers. Alles im Fluss?“.
Museum Wiesbaden
Friedrich-Ebert-Allee 2
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