 |  | Die Heidi Horten Collection öffnet ihre Tore | |
Wien hat ein neues Museum. Morgen öffnet die Heidi Horten Collection in prominenter Lage und unmittelbarer Nähe zur Albertina ihre Pforten für das Publikum und zeigt mit der Ausstellung „Open“ eine Auswahl der inzwischen mehrere hundert Gemälde, Skulpturen und Arbeiten auf Papier umfassenden Kollektion. Bereits 2018 hatte die milliardenschwere Kunstfreundin mit einer temporären Ausstellung im Leopold Museum erstmals einen Einblick in ihre Sammlung ermöglicht. Die besuchsstarke Schau „Wow!“ wurde zum Publikumsmagnet, und der Zuspruch ermunterte die inzwischen 81jährige dazu, ihre Kunstschätze, die bis dahin Hortens Domizile in New York, London, Kitzbühel oder am Wörthersee schmückten, künftig in einem Privatmuseum zu präsentieren. Als Standort kam für sie nur Wien infrage, die Stadt, in der die reichste Frau Österreichs – ihr Vermögen wird auf 2,9 Milliarden Euro geschätzt – geboren wurde und aufwuchs.
Das Interesse an der Kunst teilte Heidi Goëss-Horten mit ihrem ersten Ehemann, dem Kaufhausmagnaten Helmut Horten. Gemeinsam legten sie in den 1970er Jahren die Basis für ihre umfangreiche Kunstsammlung. Nach dem Tod ihres Mannes 1987 und mit einem Vermögen, dessen Basis aus der NS-Zeit stammt, intensivierte Heidi Horten ihre Sammlertätigkeit. Schwerpunkte der bestehenden Kollektion liegen auf Kunst aus Wien um 1900, dem deutschen und internationalen Expressionismus, der Arte Povera, der europäischen Nachkriegskunst und der Pop Art. Große Namen sind Edvard Munch, Egon Schiele, Gustav Klimt, Andy Warhol, Francis Bacon und Damien Hirst. Beraten wurde Goëss-Horten schon in den 1990er Jahren von ihrer Freundin Agnes Husslein-Arco. Die Kulturmanagerin, ehemalige Geschäftsführerin von Sotheby’s Österreich und dann Direktorin des Belvedere, die ihren Job 2016 wegen Compliance-Vorwürfen verlassen musste und anschließend einen Posten als Vorstandsmitglied des Museums Leopold erhielt, kuratierte 2018 auch die damalige Horten-Schau. Nun steht sie dem neuen Museum als Gründungsdirektorin vor.
Die lediglich zwanzigmonatige Umbauzeit wurde begleitet von kritischen Fragen und Kommentaren, die wie schon bei der ersten Schau im Museum Leopold den finanziellen Hintergrund der Sammlung problematisierten. Matthias Dusini bezeichnete Helmut Horten in der Zeitschrift „Falter“ als „Profiteur“, der nach dem Zweiten Weltkrieg in einem britischen Internierungslager festgehalten wurde. Nach 1948 fing Horten von neuem an. Er erwarb Kaufhäuser von jüdischen Familien, die in die USA emigrieren mussten. Dem moralisch bedenklichen Makel, der der finanziellen Grundlage der üppigen Kunstsammlung anhaftet, versuchte die Sammlerin nun bereits im Vorfeld der Eröffnung mit einem Ende 2020 bei zwei deutschen Historikern in Auftrag gegebenen Gutachten zu begegnen, das die Rolle ihres Gatten in der NS-Zeit beleuchten sollte. Demnach habe Horten als engagierter Unternehmer verstanden, die Gelegenheiten für sich zu nutzen, die ihm die Umstände seit der Nazi-Machtübernahme Anfang 1933 boten, die er ja nicht selbst herbeigeführt hatte: Bei der 1936 gezielt betriebenen „Übernahme“ von Kaufhäusern aus jüdischem Vorbesitz habe er – kurz gefasst – „vergleichsweise fair“ agiert.
Allerdings – dies sei angemerkt – standen die jüdischen Eigentümer unter dem zunehmenden Druck der Verfolgung bei „Arisierungen“ in einer denkbar ungünstigen Verhandlungsposition. In vielen, wenngleich nicht in allen Fällen kam Helmut Horten Wiedergutmachungsansprüchen nach, die von Vorbesitzern nach Ende des Zweiten Weltkrieges beantragt wurden. Neu ist, dass Horten auch in Rüstungsgeschäfte involviert war. Konkret beim Flugzeugwerk Johannisthal, wo Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. 1969 verkaufte Horten für 875 Millionen Mark Aktien seiner Kaufhäuser und verstand es, eine Gesetzeslücke zu nutzen. Den Behörden entgingen nicht weniger als 450 Millionen Mark. Eine „Lex Horten“ verhinderte Nachahmungstäter. Auch das haftet an den nun öffentlich gezeigten Werken.
Doch zurück zum neuen Haus und der aktuellen Schau. Im Wiener Hanuschhof zwischen Opernring und Burggarten erwarb Heidi Goëss-Horten 2019 das ehemalige neobarocke Kanzleigebäude Erzherzog Friedrichs, das nach dem Umbau durch das Wiener Büro „The Next Enterprise“ unter der Leitung von Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs nun das Museum der Heidi Horten Collection beheimat. Nach der Entscheidung der Museumsgründung fand im Jahr 2019 ein geladener Wettbewerb nationaler und internationaler Architektenbüros statt. Der Entwurf von Next Enterprise, der einen Kontrast aus historischen Außenelementen und moderner Innenarchitektur vorschlug, überzeugte die Sammlerin. Das ehemalige erzherzogliche Kanzleigebäude, erbaut 1914, wurde komplett entkernt, um auf 1.500 Quadratmetern Platz für eine dreigeschossige zentrale Halle mit zwei offenen Plattformen zu bieten. Ein einziger Einschnitt in die sonst komplett erhaltene beziehungsweise restaurierte Fassade befindet sich an einer Ecke im Erdgeschoss, um einen überdachten und verglasten Eingangsbereich zu schaffen.
In das entkernte Gebäude wurden zueinander versetzte, frei schwebende Ausstellungsebenen eingebaut, die über skulpturale gewundene Freitreppen miteinander verbunden sind. Eine durchgehende Lichtdecke auf allen drei Ausstellungsebenen unterstreicht den schwebenden Charakter der Konstruktion. Darüber hinaus ergänzen klassische Kabinette für kleinere Präsentationen sowie der sogenannte „Tea Room“ die Ausstellungsflächen. Markus Schinwald entwickelte hierfür eine Vitrinenwand mit gläsernen Bullaugen, hinter denen kleinere Exponate Platz finden, und Hans Kupelwieser verschrottete mit einem Bagger 13 Alutafeln, die er in einem metallisch-samtigen Rot eloxieren ließ und nun als Eyecatcher unter der Decke schweben.
Was die aktuelle Auswahl anbelangt: Zeitgenössisches dominiert. Einige wenige Klassiker von Lucio Fontana (1959, 1960, 1966), Dan Flavin (1976), Robert Rauschenberg (1963), eine große Gemeinschaftsarbeit von Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol aus dem Jahr 1984 und Damien Hirsts blaue Monochromie mit eingeklebten Schmetterlingen von 1994 sind zusammen mit Arbeiten zu sehen, die großteils in der letzten 20 Jahren entstanden sind. Angaben über den Zeitpunkt der Ankäufe geben darüber Auskunft, dass Werke von Künstlerinnen in den letzten Jahren forciert erworben wurden. Dazu gehören eine große textile Wandarbeit von Ulrike Müller (2021), ein HD-Video von Lili Reynaud-Dewar (2018) sowie Werke von Brigitte Kowanz (2010), Margherita Spiluttini (2003) und ein mit „Ur-Mutter“ betiteltes monströses blaues Schwein der Künstlerin Lena Henke von 2019, das neben der Affenskulptur des Ehepaars Claude und François-Xavier Lalanne oder dem „Grand Lapin“ von Claude Lalanne Heidi Goëss-Hortens Faible für Tiere beweist.
Die großzügig positionierten Arbeiten stehlen der Architektur nicht die Schau. Diese selbst steht bei dieser ersten Präsentation im Mittelpunkt. Fazit und trotz der erwähnten Vorbehalte: es ist ein schönes Museum geworden. Die Ausstellungsouvertüre allerdings arrangiert die Kunstwerke recht belanglos nebeneinandergereiht und ohne nachvollziehbaren Zusammenhang. Wohin jedoch die strukturelle Disbalance zwischen dem Macht- und Prestigegewinn von Privatsammler*innen und dem Handlungsverlust der Kunstmuseen führen wird, von der Österreich bisher noch weitgehend unberührt ist, bleibt abzuwarten.
Die Eröffnungsausstellung „Open“ läuft vom 3. Juni bis zum 2. Oktober. Die Heidi Horten Collection hat täglich außer dienstags von 11 bis 19 Uhr, donnerstags zusätzlich bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 15 Euro, ermäßigt 12 Euro bzw. 9 Euro; für Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren ist er kostenlos. |