Konstanz schwebt zwischen Aufbruch und Umbruch  |  | Fritz Hildebrandt, Warteschlange beim Metzger, 1945 | |
Man mag es kaum glauben: In Konstanz, dem deutschen Grenzort am helvetisch beherrschten westlichen Bodenseeufer, fand an Pfingsten 1946 das erste Kulturfestival im Nachkriegsdeutschland statt: die „Konstanzer Kunstwochen“. Doch obwohl die Stadt im Krieg nicht zerstört wurde, war sie durch die Schließung der Schweizer Grenze und die Aufnahme extrem vieler Flüchtlinge belastet. Um Ablenkung zu finden, entsprang eine große Sehnsucht, sich Kunst und Kultur zuzuwenden. Französische Besatzer unterstützten dieses Anliegen. Die Ausstellung „Zeit-Bilder“ in der Wessenberg-Galerie beleuchtet nun das Kunstschaffen der zwei Jahrzehnte nach 1945 in der Bodensee-Stadt.
Vor diesem historischen Hintergrund stellte Kuratorin Barbara Stark eine betont gefühlvolle Auswahl von Gemälden oft weniger geläufiger, teils auch vergessener Malerinnen und Maler zusammen, deren Charakteristik und Sujets seismografisch den Zeitgeist spiegeln. Einprägsam spielt beispielsweise Fritz Hildebrandt in seinem 1945 illustrierten Ölgemälde „Warteschlage beim Metzger“ auf die prekäre Ernährungslage an, in der viele mittels Tausch- und Schwarzmarktgeschäfte dem Hunger zu entkommen versuchten. Trotz der schwierigen allgemeinen Lage ließen sich vor allem die Künstler nicht davon abbringen, bei Duldung des französischen Militärgouverneurs schon 1948 die erste offizielle Nachkriegsfastnacht zu veranstalten. Von den aufwendig gestalteten Fasnachtsbällen unter anderem im Konstanzer Kunstverein und den Umzügen kündet das in zeittypisch erdfarben abgetöntem Kolorit gehaltene Plakat von Hans Sauerbruch aus dem Jahr 1956.
Auch in Anneliese Stiegelers Stadtvedute mit rot-weißer Markise im Vordergrund und Sepp Biehlers „Zirkusreiterin“ von 1947 macht sich noch eine verhaltene, melancholische Stimmung breit. Nach der Steigerung des Lebensstandards und der Währungsreform blühte der Tourismus langsam wieder auf, und Konstanz entwickelte sich zu einem beliebten Reiseziel. Mit intensiv stark eingefärbten Flächen werben die Plakatentwürfe des Malers und Grafikers Paul Dietrich für den Bodensee als Urlaubsgegend. Damit erarbeitete er sich einen exquisiten Ruf als Plakatgestalter für den Fremdenverkehr. Zusammen mit seiner Frau gründete er 1962 die Bodensee-Kunstschule für Gebrauchsgrafik, Fotografie und freie Grafik in Konstanz, die 1985 als Institut für Kommunikationsdesign in der Fachhochschule Konstanz aufging.
Mit dem Aufblühen der Kunstwelt ging auch die Gründung von Vereinigungen einher. Über 40 Jahre organisierte die „Oberschwäbische Sezession“, ab 1950 „Sezession Oberschwaben Bodensee“, viel beachtete Ausstellungen. 1962 gründete sich in Konstanz der bis 1972 existente „Kleine Kreis“, ein lockerer Künstlerzusammenschluss ohne Programm, dem auch Friedrich Arthur Wittig angehörte. Sein Gemälde „Luftiges Trio“ von 1957, das das Thema der drei Grazien in die Gegenwart holte, trifft mit schnittigen Formen und wässrigen Farben den Duktus der Zeit adäquat. Ein eigenes Kapitel widmet sich der Architektur. Besondere Akzente auf dem Gebiet des Bauens in den 1950er Jahren setzte der Bauhaus-Schüler Hermann Blomeier mit seinen geschwungenen Landebauten im Stadtteil Staad oder von weitem Dachüberstand behüteten Wartehallen und Bushaltestellen.
Die Ausstellung „Zeit-Bilder. Kunst in Konstanz 1945-1965“ ist bis zum 4. September zu sehen. Die Wessenberg-Galerie hat täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, samstags, sonn- und feiertags bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 3 Euro, ermäßigt 2 Euro.
Städtische Wessenberg-Galerie
Wessenbergstraße 43
D-78462 Konstanz
Telefon: +49 (0)7531 – 900 2921 |