Bildwürdige Industrie in Schweinfurt  |  | Lewis Hine, Power House Mechanic, um 1920/21 | |
Am vergangenen Wochenende ist die Schau „Moderne Zeiten“ im Georg Schäfer Museum in Schweinfurt gestartet. Wem der Ausstellungstitel, der dem gleichnamigen Film Charlie Chaplins entlehnt ist, nichts sagt, bekommt Hilfe durch den Untertitel „Industrie im Blick von Malerei und Fotografie“. Das Haus präsentiert mehr als 100 Exponate aus dem In- und Ausland, die einen Bogen über circa 175 Jahre bis zur Gegenwart spannen, darunter Filmausschnitte und Werke von Adolph von Menzel, Hugo van Werden, Albert Renger-Patzsch, Oskar Nerlinger, Evelyn Richter, Robert Voit, Thomas Struth oder Inge Rambow. Im Museumsfoyer ist eine Begleitpräsentation mit Arbeiten der Schweinfurter Industrie eingerichtet.
Die Industrie wurde bereits in den 1850er Jahren zu einem bildwürdigen Thema, das bis in die Gegenwart eine breite Entwicklung erfährt. Zu Beginn bilden Fabriken eine Einheit mit der Natur, Künstler halten Innenansichten von Produktionsstätten und der Arbeitsprozesse fest. Das Zahnrad und die Lokomotive werden zu den bekanntesten Symbolen der Textil- und Stahlindustrialisierung. Da in der Jahrhundertmitte die Fotografie noch in Kinderschuhen war und nicht als eigene Kunstrichtung verstanden wurde, fiel ihr die Aufgabe zu, die großen Industriebauten und Werksgelände zu Werbezwecken zu dokumentieren. Die Impressionisten verwandelten gegen Ende des 19. Jahrhunderts Industrielandschaften mit ihren eigenwilligen Lichteffekten zu Stimmungsbildern.
Ab 1900 veränderte sich das Verhältnis von Mensch und Technik. In einer übermächtigen Industriearchitektur ordnete sich die Arbeiterschaft der Maschinenwelt unter, wie es Lewis Hine um 1920/21 auf seinem bekannten Foto „Power House Mechanic“ sah. Zudem rückte vermehrt die soziale Frage in den Fokus. Der Mensch wurde als Individuum wahrgenommen, und Fotografen thematisierten die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse des Proletariats in Städten wie New York und Berlin. In Conrad Felixmüllers farbintensivem Gemälde „Hochöfen, Klöckner Werke, Haspe nachts“ von 1927 wirkt der gesamte Komplex wie ein mechanisches Monstrum, das Feuer und giftgrüne Dämpfe ausspeit. Die Bewegung der Neuen Sachlichkeit setzte in ihren Bildern Akzente der System-, Ideologie- und Gesellschaftskritik. Ihre Themen waren Massenarbeitslosigkeit und Klassenunterschiede, etwa August Sander mit seinen „Straßenarbeitern im Ruhrgebiet“ um 1928.
Nach 1945 kombinierte die Subjektive Fotografie die Industriedarstellung mit einer experimentell-abstrakten Bildsprache, so Peter Keetman, der 1953 in seiner Serie „Eine Woche im Volkswagenwerk Wolfsburg“ gestapelte vordere Abschlussbleche von Autos so raffiniert ablichtete, dass ihre Funktion nicht mehr erkennbar ist. In den 1960er und 1970er Jahren hielten viele Bildreportagen den Alltag in Industriegebieten wie dem Ruhrpott fest. Nun sollten Themen wie Umweltverschmutzung oder schwierige Arbeitsbedingungen einen roten Faden bilden. Mit dem Verschwinden traditioneller Industriebranchen wuchs das künstlerische Interesse, die Altbauten einer sich in der Transformation befindlichen Industriekultur zu dokumentieren. In Schweinfurt ist dazu der „Förderturm, Fosse Noeux no. 13“ von 1972 aus Bernd und Hilla Bechers Typologien von Industriebauten zu sehen. Die zeitgenössische Kunst setzt sich verstärkt mit den Folgen der Industrialisierung auseinander.
Die Ausstellung „Moderne Zeiten. Industrie im Blick von Malerei und Fotografie“ läuft bis zum 9. Oktober. Das Museum Georg Schäfer hat täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, dienstags bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 9 Euro, ermäßigt 7 Euro, für Studenten 3 Euro und ist jeden ersten Dienstag im Monat kostenfrei. Der begleitende Ausstellungskatalog kostet im Museum 29,90 Euro.
Museum Georg Schäfer
Brückenstraße 20
D-97421 Schweinfurt
Telefon: +49 (0)9721 – 51 48 20 |