 |  | Le Magasin in Grenoble will wieder in der ersten Liga der Ausstellungshäuser mitspielen | |
Die am Fuß der Alpen gelegene französische Großstadt Grenoble ist in erster Linie bekannt für die Olympischen Winterspiele, die hier 1968 stattgefunden haben, in Feinschmeckerkreisen auch für ihre Walnüsse, die zu den besten der Welt gezählt werden. Dass hier auch die drittgrößte Universität Frankreichs mit rund 60.000 Studierenden beheimatet ist, ist außerhalb des Landes genau so wenig geläufig, wie die Tatsache, dass die Stadt und ihre unmittelbare Umgebung so etwas wie das Silicon Valley Frankreichs bilden. Der 1971 gegründete Technologiepark Inovallée unmittelbar vor den Toren Grenobles beherbergt rund 380 High-Tech-Unternehmen mit 12.000 Arbeitsplätzen. Doch nicht nur in akademischer und wirtschaftlicher Hinsicht hat die Stadt einiges zu bieten. Sogar Jean-Luc Godard zog sich Mitte der 1970er Jahre für drei Jahre hierher zurück, um mit dem damals relativ neuen Medium Video zu experimentieren. Auf die Frage nach dem Warum antwortete er: „Einfach, weil es nicht Paris ist, weil die Leute einfacher und sympathischer sind.“
Seit seiner Eröffnung im April 1986 sendet auch das Kunstzentrum Le Magasin immer wieder Lichtsignale aus dem entlegenen Alpental, die auch in Paris und außerhalb Frankreichs wahrgenommen werden. Initiiert wurde es von François Mitterrand im Rahmen seines groß angelegten Programms „Grands Travaux“, in dessen Folge auch Projekte wie der Grand Louvre, die Opéra Bastille oder das Institut du monde arabe verwirklicht wurden. Das Programm, an dem auch Frankreichs legendärer Kulturminister Jack Lang maßgeblich beteiligt war, hatte sich die Wiederinstandsetzung und Neuetablierung von Kulturinstitutionen in der Hauptstadt, aber auch in den einzelnen Regionen auf die Fahnen geschrieben. Dezentralisierung lautete einer der damaligen Ansätze. Le Magasin wurde als Centre National d’Art Contemporain (CNAC) gegründet. Es untersteht bis heute als einziges Ausstellungshaus außerhalb von Paris direkt der Délégation aux arts plastiques des Kulturministeriums.
Ein Neuanfang
Mit Céline Kopp, die jetzt unter dem Titel „La Position de l’Amour“ ihre erste Ausstellung an der neuen Wirkungsstätte präsentiert, hat das Haus nach einer mehrjährigen Periode personeller Querelen, der zeitweisen Schließung und des Umbaus wieder eine neue und vielversprechende Direktorin. Kopps erklärtes Ziel ist es, Le Magasin wieder mit überregional relevanten Ausstellungen fest auf der französischen und europäischen Kunstlandkarte zu verankern. Außerdem will sie die Kurator*innenausbildung, die von Anfang an zu den Grundsäulen der Einrichtung gehörte, zusammen mit Partnerorganisationen aus der Region wieder aufnehmen. Die 1987 gegründete École du Magasin bot als erste Institution in Europa Kurse in kuratorischer Praxis an und brachte fast 180 Absolvent*innen hervor, die weltweit in Institutionen tätig sind. Seit 2020 jedoch ruhten ihre Aktivitäten.
Dass sie ihr Metier beherrscht, hat Céline Kopp bereits ein paar Hundert Kilometer weiter südlich unter Beweis gestellt. Von 2012 bis 2022 war sie Leiterin des Centre d’art contemporain d’intérêt national Triangle-Astérides in Marseille im dortigen Kulturkomplex Friche la Belle de Mai. Bereits hier zeichnete sich ihr Programm durch eine große Offenheit für internationale Positionen, übersehene Künstler*innen und Seitenstränge der Gegenwartskunst aus. Zudem betreute sie dort auch die internationalen Künstlerresidenzen. Die an der École du Louvre und am Londoner Royal College of Art ausgebildete Kunsthistorikerin kuratierte auch diverse Ausstellungsprojekte in den Vereinigten Staaten und in Dänemark. 2018 bildete Kopp gemeinsam mit Étienne Bernard das Kurator*innenduo der Biennale Rennes. Im kommenden Jahr wird sie zusammen mit Cindy Sissokho den Französischen Pavillon der Biennale Venedig verantworten und Arbeiten des französischen Künstler Julien Creuzet aus Martinique vorstellen.
Als Céline Kopp Anfang 2022 nach Grenoble kam, fand sie ein Haus vor, das durch Auseinandersetzungen zwischen ihrer Vorgängerin und der Verwaltung über die programmatische Ausrichtung und notwendige Renovierungsarbeiten bereits seit längerer Zeit in eine Art Dornröschenschlaf gefallen war. Als ihre Vorgängerin Béatrice Josse im März 2021 schließlich den Job quittierte, folgte noch eine einmonatige Phase der Selbstverwaltung durch ein Kollektiv von lokalen Künstler*innen und Aktivist*innen bis zur vorübergehenden Schließung. Kopp kam in ein renovierungsbedürftiges Gebäude mit Graffiti an den Wänden, Stapeln ungenutzten Baumaterials, kaputten Fenstern und Türen. Bis zur geplanten Wiedereröffnung am 18. November 2022 hatte sie zehn Monate Zeit.
Für die Umsetzung eines neuen, zukunftsorientierten und nachhaltigen Konzepts setzte sie von Anfang an auf Kollaborationen und Impulsgeber von außen. So lud sie gleich zu Beginn das in Rotterdam und Paris beheimatete Architekturstudio Cookies und das Mailänder Designstudio Stromboli zu Residencies ein, um vor Ort und im Austausch mit lokalen Akteuren Ideen für die Eingangszone mit Info-Desk, Bookshop und Cafeteria zu entwickeln. Außerdem wurden neue Räume für Workshops, die Stipendien und eine Kindergalerie geschaffen. Viele der Möbel entstanden in einem nachhaltigen Upcycling-Prozess aus ohnehin vor Ort vorhandenen Materialien. Im August war dann das Brüsseler Grafikdesign-Studio Alliage in Grenoble zu Gast. Aus der Beschäftigung mit den grafischen Traditionen von Le Magasin entwickelten sie eine neue, unverwechselbare Corporate Identity für die gesamte Kommunikation des Hauses.
Für die Weltausstellung 1900 in Paris
Céline Kopp empfindet es als großes Privileg, für Le Magasin tätig zu sein. Schließlich genoss das Haus lange Zeit einen legendären Ruf, den es jetzt mit einem relevanten Programm wiederherzustellen gilt. Allein das Gebäude kann auf eine ungewöhnliche Historie zurückblicken. Ursprünglich im Jahr 1900 für die Weltausstellung in Paris vom Atelier Gustave Eiffel errichtet, wurde es anschließend komplett demontiert und in Grenoble als Industriehalle wieder aufgebaut. Nachdem es rund 60 Jahre lang einen metallverarbeitenden Betrieb beherbergt hatte, diente es danach bis zu seiner Umwandlung als Lagerhaus. Aus dieser Zeit stammt auch der Name Le Magasin. Ausgestellt hat in den mehr als 3.000 Quadratmeter großen Räumen der historischen Industriehalle im Laufe der Jahrzehnte die Crème de la Crème der französischen und internationalen Gegenwartskunst: ob Daniel Buren, Sol LeWitt, Michelangelo Pistoletto, Matt Mullican, Barbara Kruger, Monica Bonvicini, Dominique Gonzalez-Foerster oder Sylvie Fleury. Sie alle hatten hier umfangreiche monografische Präsentationen, häufig mit großformatigen ortsbezogenen Installationen. Im Magasin hatten viele dieser Künstler*innen auch ihren ersten wichtigen Auftritt in Frankreich. Entsprechend groß war lange Jahre das Interesse seitens des Kunstpublikums und der Presse. Céline Kopp fasst die Bedeutung des Ortes so zusammen: „Le Magasin ist der Prototyp für alle französischen Kunstzentren. Und gleichzeitig das einzige, dessen Gründung von der Pariser Regierung initiiert wurde.“
„La Position de l’Amour“, der Titel ihrer Auftaktausstellung, leitet sich ab von Arundhati Roys Plädoyer für eine teilnehmende Form der Aufmerksamkeit, das die indische Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin in ihrem Werk „The Cost of Living“ formuliert hat. „Es geht hier nicht um Liebe im Sinne von Emotion, sondern um eine bewusste Haltung gegenüber der Welt, darum hinzuschauen und zuzuhören. Die Künstler in dieser Ausstellung kommen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, aber was sie gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass sie sich den Feindseligkeiten des Ökonomischen mit ihren jeweiligen künstlerischen Strategien entgegenstellen“, so Céline Kopp, die dafür zehn internationale Standpunkte ausgewählt hat.
Den Auftakt der Schau bildet der 2019 gedrehte Experimentalfilm „All That You Can’t Leave Behind“ der britischen Künstlerin und Filmemacherin Ufuoma Essi, Jahrgang 1995, der ausschließlich aus Found-Footage-Bildern montiert ist. Im Zentrum des Films voller rasant geschnittener Bildfolgen, Überblendungen, aber auch ruhiger Passagen steht die Selbstbehauptung schwarzer Frauen im Umfeld verschiedener historischer, popkultureller und feministischer Narrative. Der Film gipfelt in dem eindringlichen Auftritt der Jazz-Ikone Abbey Lincoln. Ihr Titel „Freedom Day“ aus dem Jahr 1957 mündet in einen langen Schrei, der wie ein verzweifelter Ruf nach Aufmerksamkeit wirkt. Jazz wird hier zum selbstbewussten Sprachrohr des politischen Widerstands und der schwarzen Emanzipation.
Mit diesen Klängen im Ohr stoßen die Besucher*innen auf eine viel meditativer gehaltene, installative Arbeit des in Berlin lebenden spanischen Künstlers Alvaro Urbano, Jahrgang 1983. „Hands as Drawers“ von 2019 besteht aus einem in die Wand des Ausstellungsraums eingebauten Fenster, gegen das von außen permanent Regentropfen prasseln. Zudem dringt gelbliches Licht in den Raum. Die kleine Raumecke, die Urbano hier inszeniert, besteht darüber hinaus noch aus einer Leichtmetalljalousie, einem Aschenbecher, ein paar Zigarettenstummeln mit Lippenstiftspuren, einem Notizblock, einigen Umzugskartons und einer vertrockneten Zimmerpflanze, die bereits etliche Blätter verloren hat. Doch Achtung: Nichts ist hier das, was es scheint. Alles ist sorgfältig aus Papier oder bemaltem Blech geformt. Ist hier jemand ausgezogen? Sind das die letzten Überbleibsel einer gerade vollzogenen Trennung? Genaue Hinweise gibt es nicht. Doch man wird von dieser surrealen, narrativ stark aufgeladenen Raumsituation angesprochen und sie womöglich mit eigenen Empfindungen, Traum- oder Alptraumerinnerungen, Kino- oder Theatererfahrungen assoziieren können.
Mystisch aufgeladene Kunst
Die 1979 geborene kanadische Künstlerin Gabrielle L’Hirondelle Hill ist Angehörige des indigenen Volks der Métis, worunter man in Kanada die Nachfahren europäischer Trapper und Pelzhändler und ihrer indigenen Frauen versteht. Hill wiederum bringt sich mit unterschiedlichen Werken und Dimensionen in den Parcours ein. Ihre feinsinnig durchkomponierten, überwiegend dunkeltonigen und kleinformatigen Assemblagen vereinen Materialien wie getrocknete Blumen und Disteln, Aufzieher von Bierdosen, kleine Talismane, Klebeband, Magazinausschnitte und vieles mehr zu mystisch aufgeladenen Ensembles voller Gegensätze: Konsum versus Natur, Ausschnitte aus Massenmedien versus mündliche Überlieferungen indigener Stämme, kapitalistische Ausbeutung der Natur versus Leben im Einklang mit Pflanzen, Tieren und Jahreszeiten. All das bringt Hill auf dicke Papiere auf, die sie mit Ölfarben, aber auch mit unorthodoxen Malmitteln wie mit Tabak eingefärbtem Bratfett grundiert oder bemalt hat. In ihrer häufigen Verwendung der Tabakpflanze vereinen sich indigen motivierte Haltungen mit subtilen Anspielungen auf die Kolonialgeschichte und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Kanadas.
Ihre Installation „Desperate Living, for E.S.“ von 2018/22 dagegen sprengt die kleine Dimension. Zu sehen ist eine übergroße Jeansjacke, die über die Rückenlehne eines ebenfalls überdimensionalen Stuhls gehängt ist. Hill hat die Jacke mit sternförmigen Ornamenten aus Zigaretten, Zippern von Bierdosen, getrockneten Pflanzen und menschlichem Haar dekoriert, das sie sich selbst abgeschnitten und von befreundeten Personen erhalten hat. Insofern stellt das Kleidungsstück auch eine Art liebevolle Selbstverortung innerhalb ihres sozialen Umfelds dar. Hills hybride Arbeiten an der Schnittstelle zwischen indigenem Erbe und westlicher zeitgenössischer Kunst waren dem New Yorker Museum of Modern Art bereits 2021 eine Einzelausstellung wert. 2022 waren sie auf der Biennale in Venedig zugegen.
Mit Valentin Noujaïm, der 1991 als Kind libanesisch-ägyptischer Eltern in Frankreich geboren wurde, zeigt Céline Kopp einen jungen Filmemacher, der immer wieder seine Finger in die offenen Wunden der französischen Gesellschaft legt. In dem 17minütigen, auf 16mm-Material gedrehten und dann auf Video übertragenen Film „La Défense – Volume n° 1“, der den ersten Teil einer geplanten Trilogie bildet, lässt Noujaïm einen Zeitzeugen über den in den 1980er Jahren legendären Nachtclub „Pacific Club“ im Pariser Geschäftsviertel La Défense erzählen. Aufgenommen in winterlicher Stimmung und voller Grau- und Blautöne, berichtet sein Protagonist Karim, ein 55jährige Nordafrikaner, der zu den Besuchern des Clubs gehörte, von der damals extremen Segregation innerhalb der Stadt. Arabischstämmige Menschen waren in den Clubs nicht gern gesehen. Der Ort direkt unterhalb der Grande Arche de la Défense bot ihnen ein Refugium abseits der gängigen Vergnügungsviertel. Wo tagsüber das Herz der französischen Wirtschaft schlug, verkrochen sich die Ausgegrenzten nachts unter der Erde und tanzten zu Hip Hop, Soul und R&B-Klängen.
Viele aus der ersten Generation der Besucher starben bereits jung an Aids oder einer Überdosis Heroin. Noujaïm begibt sich in seinem Film auf die wenigen Spuren, die dieser Ort im Gedächtnis der Stadt zurückgelassen hat. Mehr als eine alte Eintrittskarte, ein paar Fotos und Karims Augenzeugenbericht hat er allerdings nicht gefunden. „Geschichte wird immer von den Gewinnern geschrieben“, so der Filmemacher. Während der von Prominenten aus dem Film- und Fashionbusiness frequentierte Club „Les Bains Douches“ bis heute geradezu fetischisiert werde, gerieten Orte wie der „Pacific Club“ viel zu schnell in Vergessenheit. Mit seinem äußerst elegant geschnittenen Film voller digitaler Effekte und stilistischer Anspielungen auf den Film Noir oder Klassiker wie „Metropolis“ gelingt Noujaïm eine Art Geschichtsschreibung von unten, die von seinem Protagonisten und den berauschenden Nachtaufnahmen getragen wird. Derzeit absolviert der Künstler ein Aufbaustudium an der Städelschule in Frankfurt.
Fast könnte man sie übersehen, aber die 2022 entstandene Skulptur „Cookie Tower“ des in den Niederlanden lebenden australischen Künstlers Ivan Cheng, Jahrgang 1991, darf durchaus angefasst werden. An einem Ständer aus Edelstahl sind in verschiedenen Höhen etliche runde Schalen mit kleinen Deckeln befestigt. Wer diese hochhebt, findet darunter die unterschiedlichsten Kekse. Ob diese jedoch tatsächlich essbar oder bloß aus Glas und Marmor nachgebildet sind, bleibt hier die Frage.
Alte asiatische Rituale
Von Prune Phi, einer 1991 geborenen französischen Künstlerin mit vietnamesischen Wurzeln, stammt die Filminstallation „Otherworld Communications“ von 2022. Hier wie auch im Rahmen ihrer Performances, die mehrmals während der Laufzeit der Schau stattfinden, rekurriert sie auf die modernen Ausformungen uralter asiatischer Rituale, die der Konstruktion von Erinnerung dienen. Während über viele Jahrhunderte hinweg sogenanntes „Höllengeld“ oder „Joss Paper“, also eine Art billiges Spielgeld, als Brandopfer dargebracht wurde, um die Gunst der Ahnen zu erlangen, sind heute eher Papiernachbildungen von Luxusartikeln wie iPhones, Handtaschen, teuren Laptops oder Autos beliebt, die dann verbrannt werden. Im Rahmen ihrer Performances schlüpft Prune Phi in die Rolle einer Vermittlerin zwischen den Lebenden und den Verstorbenen. Teilnehmer*innen ihrer unter vier Augen stattfindenden Sessions bittet sie, eine Botschaft an eine verstorbene Person zu formulieren. Diese wird auf das Display eines kleinen Papphandys gedruckt und kann mitgenommen werden. Ob und wann man es verbrennt, bleibt einem dabei selbst überlassen.
Die Französin Anna Solal, Jahrgang 1988, beschäftigt sich mit literarischen und kunsthistorischen Werken. So nennt sie etwa Georg Trakl, Jean Genet, James Ensor oder Walker Evans als aktuell wichtige Inspirationsquellen. Vornehmlich arbeitet Solal mit gefundenen Alltagsmaterialien, die sie sowohl in dreidimensionale Objekte als auch gemäldeartige Wandobjekte überführt. „Kunst zu machen bedeutet, deine Vorstellungen zu einer Tatsache werden zu lassen, zu einer greifbaren Realität außerhalb des Kopfes. Mich interessiert die Fetischisierung biografischer Tatsachen als Aussage, als ‚Beweis‘ von etwas überhaupt nicht. Die Erfahrungswirklichkeit wird ohnehin in einer parallelen Spur auf die Arbeit zukommen“, fasst sie ihre Herangehensweise zusammen. In Grenoble zu sehen ist ihr Objekt „The twin kite“ von 2018 zu sehen, ein surreal anmutender Doppeldrachen aus disparaten Materialien wie Spiegeln, Kämmen, Schuhsohlen, iPhone- und Computerteilen, einer Fahrradkette und vielem mehr. Die große, auf Holz montierte Mixed-Media-Arbeit „Clothes“ von 2022 führt wiederum maschinell codierte Elemente, Faltenwürfe, das Logo eines bekannten Sportartikelherstellers, abstrakt gehaltene Bildpartien und einen nahezu durchsichtig gemalten, ätherischen Windhund zusammen, der die Betrachter*innen ziemlich unvermittelt anblickt. Vielleicht ein Alter Ego der Künstlerin? Worum sich ihre Arbeiten drehen, lässt Anna Solal weitgehend offen: „Es geht um meine Lebensumstände in der Stadt. Kunst mit einer Botschaft ist wie Rap mit einer Botschaft, das ist so nutzlos und langweilig. Die Dinge müssen für sich selbst sprechen.“
Rebecca Bellantoni ist eine 1981 in London geborene britische Künstlerin mit karibischen Wurzeln, die vornehmlich auch als Performerin arbeitet. Aufgewachsen ist sie in einer Rastafari-Community, in der Spiritualität und das Ideal der Einheit von Körper und Geist eine große Rolle spielen. Ihre Installation „You have any peace for me? C.R.Y.“ hat sie in einem komplett schwarz gehaltenen Raum aufgebaut. Während vorne auf einem Screen ein 29minütiger Schwarzweiß-Film läuft, der die tanzende und singende Künstlerin durch die Straßen des überwiegend nächtlichen Londons begleitet, finden sich an den Wänden des Raums einige der im Film benutzten Requisiten wieder, so etwa ein großes Bouquet getrockneter roter Rosen. An Drähten herabhängende Glasobjekte, Schrauben, afrikanische Figuren und der wiederholt auftauchende Satz „Have you any PEACE for me“ versetzen die Betrachter*innen in eine geheimnisvoll aufgeladene, leicht nervöse Stimmung – irgendwo zwische Voodoo-Ritual und psychoanalytischer Sitzung. Bellantonis düstere Tableaus der Beunruhigung werden jedoch durch den zwischen Tanz und Yogaposen changierenden Rhythmus ihrer Filmarbeit in gewisser Weise wieder entschärft.
Das Londoner Künstlerinnenduo Hannah Quinlan und Rosie Hastings, die beide 1991 zur Welt kamen, präsentiert seine Arbeit außerhalb der beheizten Ausstellungsräume in der großen Halle des Magasin. Ihre auf einer Monitorwand gezeigte, 2:26 Minuten lange Videoarbeit „Everything Is Folly That Does Not Give Us Pleasure“ ist komplett aus Found-Footage-Videomaterial zusammengeschnitten, dass die beiden Künstlerinnen im Netz gefunden haben. Zu sehen sind Angehörige der LGBTQ-Community, die sich in ihrer häuslichen Umgebung als Tänzer*innen ausleben und diese ausgelassenen Bilder mit der Netzgemeinde teilen. Queer dance betrachten die beiden Künstlerinnen als einen Freiraum, in dem Aspekte wie Hedonismus, Widerstand gegen heteronorme Erwartungen und Identitätsbildung zusammenkommen.
Mit „La Position de l’Amour“ hat Céline Kopp eine spannend inszenierte Ausstellung organisiert, die Künstler*innen aus den unterschiedlichen Communitys zusammenführt, zum genauen Hinschauen einlädt, die permanente Gleichzeitigkeit von Schrecken und Schönheit vor Augen führt, aber auch Strategien für kreative Resilienz angesichts der Erfahrung von Krisen, Diskriminierung und Ausgrenzung vermittelt. Gleichzeitig nimmt sie mit dieser Schau eine Art Positionsbestimmung vor. Auch in Zukunft werden von ihr Ausstellungen zu erwarten sein, die sich globalen Fragestellungen, aber auch individuellen Erfahrungen und Befindlichkeiten von Künstler*innen in einer zunehmend komplexeren und feindseligeren Welt widmen – stets flankiert von Debatten, Performance-Sessions, Workshops und Konferenzformaten.
Was plant Céline Kopp für die kommenden Monate? Im Frühjahr wird sie in der Gruppenausstellung „Epilogue: Waiting for Omar Gatlato. A Survey of Art from Algeria and its Diaspora“ zeitgenössische Kunst aus Algerien und der algerischen Community in Frankreich zeigen. Außerdem wird die Britin Ufuoma Essi, die schon in der aktuellen Ausstellung vertreten ist, mit einer Solo-Show zu sehen sein. Und im Herbst widmet sie dann Julien Creuzet mit eine Personale, die als Prolog zu seiner Arbeit im Französischen Pavillon auf der Biennale Venedig 2024 konzipiert ist.
Die Ausstellung „La Position de l’Amour“ ist bis zum 12. März zu sehen. Le Magasin hat mittwochs bis sonntags von 11 bis 19 Uhr geöffnet.
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