Ein Kunstwerk, das war für ihn „der reingestaltete Ausdruck des Universellen“, konstituiert durch die Darstellung von Farbe und Linie an sich. Piet Mondrian hielt nicht viel von naturnahen Darstellungsweisen in der Malerei. Zumindest nicht mehr, nachdem er noch vor dem Ersten Weltkrieg in Paris den Kubismus kennengelernt hatte. Ab 1914 zurück in Holland, verwandelte sich der Maler, der zuvor auch Porträts, Stillleben und nebelverhangene niederländische Landschaften mit Windmühlen, Bauernhäusern oder Dorfkirchen gemalt hatte, zu einem rigorosen Verfechter einer ungegenständlichen Kunst, deren selbst entwickelte Prinzipien er in zahlreichen theoretischen, mitunter allerdings auch widersprüchlichen Texten darlegte und gegen Kritiker verteidigte. Seine Malerei speiste sich von da an ausschließlich aus rechteckigen Farbflächen in den Primärfarben Rot, Gelb und Blau, die er mit schwarzen Linien zu immer wieder neuen Bildvarianten verdichtete.
Das Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert jetzt mit der Ausstellung „Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen“ das bis heute nachhallende Echo seiner Ästhetik. Museumsdirektor Andreas Beitin und seine Co-Kuratorin Elena Engelbrechter haben rund 150 Exponate zusammengetragen, die Mondrians Einfluss auf Kunst, Mode, Design, Alltagskultur und Architektur dokumentieren. Wie es in Zeiten niedrigschwelliger Publikumsbeteiligung üblich geworden ist, steht am Anfang der Schau ein partizipatives Projekt. Unter dem Motto „Bring your own Mondrian“ waren Besucher*innen aufgerufen, „Mondrianalien“ mit ins Museum zu bringen. Kaffeebecher, Geschirr, Handtücher, Lego-Objekte, T-Shirts, ein Rennrad und viele andere private Objekte füllen jetzt ein riesiges Stahlregal und vermitteln einen Eindruck von der oft dreisten und verunstaltenden Vereinnahmung und Popularisierung seiner Bildsprache durch kommerzielle Anbieter.
Viele künstlerische Ansätze zeigen dagegen, wie es besser geht. Persiflierende und ironische Paraphrasen sind in der Wolfsburger Schau ebenso erlaubt wie freundschaftliche Hommagen oder radikale Dekonstruktionen. Sie müssen allerdings mit Verve, Esprit und einem Spritzer Intelligenz daherkommen. Das Kurator*innenduo selbst gibt die Richtung vor und wagt es sogar, den Feind alles Runden in einer runden Ausstellungsarchitektur zu präsentieren. Eine konzentrierte Werkauswahl mit Arbeiten aus der Schaffensphase „Neue Gestaltung“, die in die Zeit von 1913 bis 1936 fiel, schafft hier Querverbindungen zu den zahlreichen Mondrian-Variationen, die die Schau bereithält.
Da wären etwa die aus tiefer Bewunderung und Freundschaft resultierenden Arbeiten der britischen Künstlerin Marlow Moss und der Amerikanerin Lee Krasner. Beide griffen seinen Malstil auf, erlaubten sich aber kleine Modifikationen. So verdoppelte Moss ganz selbstbewusst die schwarzen Linien. Ein Detail, das Mondrian später begeistert adaptierte. Mit Lee Krasner wiederum tauchte er nach seiner Ankunft im New Yorker Exil in die Welt der Jazz Clubs ein und ließ sich dort 1944 zu seinem letzten großen Meisterwerk „Victory Boogie Woogie“ inspirieren. Das hängt jetzt im Gemeentemuseum in Den Haag und wird leider nicht ausgeliehen. Doch in Wolfsburg soll ja auch keine Mondrian-Retrospektive, wie zuletzt noch in Düsseldorf, gezeigt werden. Im Fokus steht hier die Rezeptionsgeschichte und wird facettenreich präsentiert.
Da ordnet beispielsweise die Schweizerin Sylvie Fleury 60 Damenstiefel im Mondrian-Design zu einem Kreis und entleert so durch schiere Überpräsenz deren Fetischcharakter. Der Franzose Mathieu Mercier wiederum provoziert seit mehr als zwanzig Jahren mit Do-it-Yourself-Mondrians aus brüchigen Sperrholzplatten, die er mit Farbfolie und Isolierband beklebt. Und die queere Österreicherin Jakob Lena Knebl macht ihren eigenen nackten Körper zur Leinwand, indem sie ihre zahlreichen Rundungen mit einem Mondrian-Motiv bemalen lässt. Dazwischen Architekturmodelle, Yves Saint Laurents von Mondrian inspirierte Cocktailkleider aus den Sixties, ein Video, in dem der kolumbianische Künstler Iván Argote zwei zum Glück unter Glas befindliche Mondrian-Bilder im Pariser Centre Pompidou mit Sprühfarbe beschmiert, oder aber ein großes Gemälde aus Georg Baselitz’ Remix-Serie. „Drug (Remix)“ von 2008 deutet eine Verschmelzung der Konterfeis von Mondrian und Hitler an. An eine Hakenkreuzform erinnernde schwarze Linien weisen in dieselbe Richtung. Angesichts der Tatsache, dass Mondrian von den Nazis als „entartet“ diffamiert und zur Flucht gezwungen wurde, bleibt allerdings schleierhaft, warum Baselitz sich zu einer derart hohlen Provokation hat hinreißen lassen.
Sozusagen als kontemplativen Rausschmeißer und Epilog präsentieren Beitin und Engelbrechter am Ende des Parcours noch Bas Jan Aders Videoarbeit „Primary Time“ von 1974, die den legendären Landsmann Mondrians dabei zeigt, wie er aus roten, gelben und blauen Blumen versucht, ein stimmiges Arrangement zusammenzustellen. Offenbar scheitert Ader aber immer wieder an seinem hohen künstlerischen Anspruch. Vielleicht die berührendste Arbeit dieses kuratorischen Parforceritts durch Mondrians Nachhall in High and Low.
Die Ausstellung „Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen“ ist bis zum 16. Juli zu sehen. Das Kunstmuseum Wolfsburg hat dienstags bis sonntags und an allen Feiertagen von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 10 Euro, für Schüler und Studenten 5 Euro. Der Katalog aus dem Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König kostet 39 Euro. |