 |  | Kiki Kogelnik, Self-Portrait, 1964 | |
In der Hauptausstellung der 59. Kunstbiennale Venedig „The Milk of Dreams“ war sie mit über zwanzig Werken aus den 1960er Jahren prominent vertreten. Auch in der vielbeachteten Schau „Future Bodies From a Recent Past“, die das Münchner Museum Brandhorst bis Mitte Januar zeigte, war Kiki Kogelnik eine der Künstlerinnen, deren Werke im Kontext der Frage nach der wechselseitigen Durchdringung von Körper und Technologie neu gesehen wurden. Nun hat Kogelnik, die als Pionierin der Pop Art gilt und vor allem mit den Murano- Glasköpfen ihres Spätwerks bekannt wurde, im Wiener Kunstforum einen großen Auftritt. Die Retrospektive „Kiki Kogelnik: Now Is the Time“ belegt, dass die 1935 in Graz geborene und in Bleiburg in Kärnten aufgewachsene Künstlerin zwar zu Recht als die einzige österreichische Protagonistin der Pop Art-Bewegung gilt, vor allem aber, wie facettenreich ihr Werk tatsächlich ist. Mit rund 180 Arbeiten, Gemälden, Skulpturen und Objekten spannt die Schau einen Bogen von den 1960er bis zu den 1990er Jahren und präsentiert eine kosmopolitische Künstlerin, die von Wien aus zunächst nach Paris zog und zeitweise in New York lebte. Ihr vielseitiges Œuvre, das witzig und überraschend zeitgemäß ist, lässt sich als kontinuierlicher Ausbruch aus den jeweils zeitgenössischen Konventionen eines internationalen Kunstbetriebs erklären. Es ist eine Befreiung, die Kiki Kogelnik prägt: als Künstlerin und als Frau, die sich ihrer Rolle in der Öffentlichkeit stets bewusst war.
Kiki Kogelnik beginnt ihre künstlerische Ausbildung 1954 in Wien an der Hochschule für Angewandte Kunst und wechselt im Jahr darauf an die dortige Akademie der bildenden Künste. Bereits während der Jahre an der Akademie gehört sie gemeinsam mit Arnulf Rainer, Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky und Maria Lassnig zum Kreis der jungen Avantgarde um die Galerie nächst St. Stephan. Monsignore Otto Mauer beteiligt die junge Künstlerin ab 1955 an Ausstellungen und widmet ihr als zweiter Frau nach Maria Lassnig 1961 eine Einzelausstellung. Die frühen Werke, die die aktuelle Schau im Kunstforum präsentiert, überraschen ob der Verve im großen Format, auch wenn Kogelnik in den abstrakten Bildern unübersehbar Erfahrungen komprimiert, die sie während ihres Aufenthalts in Paris 1958/58 sammelt, wo sie sich zunächst an der Malerei von Serge Poliakoff und der École de Paris orientiert. In Paris begegnet sie 1959 dem amerikanischen Künstler Sam Francis, mit dem sie eine Beziehung beginnt und der sie 1961 zu ihrer Übersiedlung nach Amerika bewegt.
Die Sechsundzwanzigjährige verbringt das erste Jahr in Santa Monica, Kalifornien, und zieht 1962 nach New York, wo sie ihre künstlerische Karriere im Kontext der sich gerade formierenden US-amerikanischen Pop Art-Bewegung vorantreibt. Hier trifft sie unter anderem auf Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg, Andy Warhol, Larry Rivers und Tom Wesselmann. Auch Marisol Escobar und Niki de Saint Phalle zählen zu ihrem näheren Bekanntenkreis. Gleichzeitig verändert sich ihr Malstil: in den ab 1963 entstandenen Arbeiten verzichtet Kiki Kogelnik auf die gestische und mit vehementen Impetus gesetzte Pinselführung zugunsten von flächig gemalten und scharf konturierten Körperumrissen, die häufig schwerelos in einem bunten Kosmos aus geometrischen Formen schweben. Sie vollzieht eine Wende zur Figuration, formuliert aber niemals individuelle Züge.
Ihr „Self-Portrait“ von 1964 ist bereits Ausdruck ihres unverkennbaren Stils: flächig behandelte weibliche Körper und Muster, vor allem Kreise, sind typische Charakteristika ihrer Formensprache. Ihre Palette dominieren kräftige, kontrastierende Farben wie Orange und Pink, auch Silber mischt sich ein, besonderes in der Zeit von 1962 bis 1964. Technisch und materialästhetisch ist Kogelnik innovativ und arbeitet unter anderem mit Vinyl, Hartplastik, Schaumstoff und Metall, teils auch in Kombination mit Malerei. Sie beginnt, lebensechte Schablonen ihrer Künstlerfreunde aus Packpapier auszuschneiden, um sie auf die Leinwand ihrer Gemälde zu übertragen. Ab Mitte der 1960er Jahre entstehen die sogenannten „Hangings“, Kogelniks eigenständigste formale Entwicklung, für die sie die Körperumrisse erstmals 1967 aus Schaumstoff und ab 1968 aus Vinyl ausschneidet und auf Kleiderbügeln aufhängt.
Im Unterschied zu vielen ihren US-amerikanischen männlichen Kollegen bleibt Kogelnik ein den Konsum ästhetisierender Zugang fremd. Hingegen finden sich in Arbeiten wie „Heavy Cloud Over the Cuba Crisis“ von 1963 und „Bombs in Love“ von 1964 zahlreiche Bezüge auf den Vietnam-Krieg oder das atomare Wettrüsten und einen drohenden Nuklearkrieg im Kontext der Kuba-Krise. Ab 1964 ist in Kogelniks Werk außerdem ein zunehmendes Interesse an der Kombination von Körpern und medizinisch-technischen Objekten zu beobachten: Empfängnis und Verhütung, dargestellt durch die Pillen-Blister der Anti-Baby-Pille, Röntgentechnik und Körperprothesen bleiben bis Ende der 1960er Jahre ein kontinuierliches Thema ihrer Gemälde, Assemblagen und Zeichnungen.
Mit der sich anbahnenden Space Race zwischen den USA und der Sowjetunion beginnen sie, künstliche Intelligenz und der Cyborg als Kreuzung aus Mensch und Roboter etwas früher zu interessieren. Bereits 1963 schuf sie das Gemälde „Fly Me to the Moon“. Als am 20. Juli 1969 Apollo II auf dem Mond landet, veranstaltet Kogelnik dazu ihr „Moon-Happening“, bei dem sie parallel zur Live-Übertragung von Neil Armstrongs ersten Schritten auf der Mondoberfläche ihre Siebdruckreihe „I Can See My Footprints“ in der Galerie nächst St. Stephan anfertigt. Rund 20 Jahre vor dem aktuell viel zitierten „A Cyborg Manifesto“ der Theoretikerin Donna Haraway mixt Kogelnik Mensch und Maschine, arbeitet mit medizinischen Stempeln und erforscht den Körper und die Gesetze des Seriellen in einer Mischung von Faszination und Beklemmung.
Das Hinterfragen des eigenen Selbst, das Infragestellen von Geschlechterrollen und die Selbstinszenierung gehören zu ihren wichtigsten Themen. Überzeugend dokumentiert die Wiener Ausstellung anhand zahlreicher Fotografien, wie Kiki Kogelnik beispielsweise mit ausgeschnittenen Körpern aus Schaumstoff durch Wien spazierte und sich als „wandelndes Kunstwerk“, wie Claes Oldenburg sie einmal bezeichnete, dabei zuweilen selbst zur Blickfalle machte. Stets war ihr bewusst, dass ihr Selbstbild niemals mit dem in Deckung zu bringen war, was andere in ihr sahen.
Kostümierung, Posing und die Lust, in verschiedene Rollen zu schlüpfen sind in ihrem gesamten Werk genauso präsent wie die kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen eindimensionalen Identitäten – als Mutter, Hausfrau, Model, Ehefrau, Geliebte und Künstlerin. Für die großformatigen Gemälde der Werkreihen „Women Paintings“ und „Frauenbilder“, an denen sie von 1972 bis 1979 arbeitet, orientiert sich Kogelnik an den exaltierten Posen der Models in Modezeitschriften, die sie teilweise eins zu eins als Vorlage benutzt, so in „Desire“ von 1979. Deren sprichwörtliche Oberflächlichkeit macht sich die Künstlerin zum Programm: In „War Baby“ von 1972 wird das militärische Tarnmuster entgegen seiner ursprünglichen Verwendung zum modisch harmlosen Eyecatcher. Muster und Texturen der Frauenbilder wirken plakativ und scheinen sowohl die Formenwelt der Wiener Werkstätte als auch die High-Fashion-Trends ihrer Entstehungszeit zu reflektieren, bleiben dabei jedoch stets dem Artifiziellen verhaftet. Auch die Farbwahl oder die Reduzierung von Mund und Augen auf geometrische Grundformen, die an Werbegrafik oder auch an Comics denken lassen, unterstreichen die Entindividualisierung der künstlich erscheinenden Avatare.
In Gemälden wie „The Painter“ von 1975 verhandelt Kogelnik ihre ambivalente Doppelrolle als Künstlerin und Mutter. Die nur mehr als Umriss erkennbare Gestalt ihres damals achtjährigen Sohnes Mono ist in dem Doppelportrait nahezu unsichtbar geworden, während sie sich selbst breitbeinig stehend und mit aggressivem Gestus ins Zentrum des Bildes setzt. Vom Pinsel, den sie wie eine Waffe hält, tropft blutrote Farbe. Arbeiten wie „Woman’s lib“ von 1971, für die sich die Künstlerin, eine überdimensional große Schere in den Händen haltend, auf einem Haufen ausgeschnittener Körperfragmente inszeniert, dokumentieren hingegen Kogelniks Freude am Subversiven. Weiblichkeit wird hier in ironisch-humorvoller, fast parodistischer Weise zur Künstlichkeit übersteigert.
Nur in einem späten Gemälde, einem titellosen Selbstportrait von 1994, zeigt sich Kogelnik gezeichnet von ihrer schweren Krebskrankheit mit kurzen Haaren. Eine der letzten Arbeiten, die 1994 drei Jahre vor ihrem Tod entsteht, trägt den Titel „Hi“. Wie eine Karikatur seiner selbst winkt den Betrachtern ein comicartiges, verschmitzt grinsendes Skelett entgegen. Die Arbeit ist Teil von Kogelniks Werkgruppe der „Expansions“, an der sie von 1989 bis 1997 arbeitet und für die sie Malerei mit Keramik verbindet. In „Hi“ bildet die Keramik außerhalb der Leinwand ein dreifaches Echo auf das maskenhaft gemalte Gesicht des Todes.
Kiki Kogelnik, das beweist die Schau im Wiener Kunstforum, war ihrer Zeit voraus. Über ihre weitschauende Kraft äußerte sich die Künstlerin voller Selbstbewusstsein einmal so: „I tell people what’s coming, they laugh and then two years later they say, ‚You were right‘. I guess I just have a sense for time and what expresses it.“ Den Kuratorinnen Lisa Ortner-Kreil und Christina Panholzer ist mit „Kiki Kogelnik: Now Is the Time“ eine konzentrierte Schau gelungen, die eine radikale Künstlerin würdigt und zur Neubewertung ihres vielseitigen Werks anregt.
Die Ausstellung „Kiki Kogelnik: Now Is the Time“ ist bis zum 25. Juni zu sehen. Das Bank Austria Kunstforum Wien hat täglich von 10 bis 19 Uhr, freitags bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro, für Senioren 9 Euro und für 17- bis 27jährige 6 Euro, darunter 4,50 Euro. Der 280seitige Ausstellungskatalog aus dem Kehrer Verlag kostet 37 Euro. |