Pipistrellus abramus. Schon mal gehört? Dabei handelt es sich um die japanische Hausfledermaus, wie sie auch in Hongkong vorkommt. Diese Fledermausart ist Gegenstand einer Untersuchung des Künstlerkollektivs Zheng Mahler. Dahinter verbirgt sich die Anthropologin Daisy Bisenieks und der Künstler Royce NG, die zu einem Projekt geforscht haben, das den Titel trägt „What Is It Like to Be a Bat?“, also „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“. Die Fragestellung, wie man sich als Fledermaus fühlen könnte, überdachte 1974 der Philosoph Thomas Nagel in einem Text. Nagel verwendet Fledermäuse als Metapher, um die Unterschiede zwischen subjektivem Erfahren und objektiven Wissen zu verdeutlichen. Auch wenn schon vieles über das Funktionieren von Fledermäusen, etwa wie sie sich dank Echoorientierung gezielt bewegen können, erforscht und experimentell bewiesen ist, wird es, so Nagels Theorie, nicht möglich sein, zu begreifen wie die tatsächliche Wahrnehmung der Fledermaus ist. Es sei denn, man fragt Batman.
Aber so einfach ist es nun einmal nicht, und so hat Zheng Mahler durch die Arbeit mit Virtual Reality, 3D Scanning, Fotogrammetrie und Ultraschallmikrofonen versucht, uns in Übergangszustände zwischen menschlichem und übermenschlichem Bewusstsein zu versetzen. Zu sehen ist das Ergebnis dieses Projekts, das aus vier Teilen besteht, in der Mainzer Kunsthalle, die unter dem selben Titel eine Gruppenausstellung mit vier Künstlerpersönlichkeiten bzw. Kollektiven zeigt. Kuratiert hat diese Ausstellung Yasmin Afschar, die Interimsleitung der Mainzer Kunsthalle. Zheng Mahler hat die sensomotorischen Fähigkeiten der Fledermaus simuliert, um zu fragen, ob das Nachbilden der Charakteristika einer Fledermausexistenz uns dem Fledermaus-Dasein näherbringen kann. Ausführliche Recherchen zu den heimischen und angesiedelten Fledermausarten in Hongkong und Lantau, der vorgelagerten Insel, wo das Kollektiv lebt, führten zu einem Buch, einem Film und Spektrogrammen. Zu sehen ist in der Kunsthalle Mainz eines dieser farbigen verwirrenden Spektrogramme, für das Zheng Mahler Töne der Fledermäuse aufgezeichnet, sie in hörbare Sequenzen umgesetzt und dann visualisiert hat, außerdem eine große Projektion als Ergebnis der Virtual Reality-Arbeit. Das Anliegen des Duos ist es, mehr Empathie zwischen Menschen und Tieren zu schaffen.
Jenna Sutela, eine in Berlin lebende finnische Künstlerin, hat in Halle 2 drei gläsernere Köpfe auf Baumstämmen installiert, deren unterschiedliche Farben und Gebilde sich durch Erhitzen bewegen. Dabei hat sie das Prinzip der Lavalampe aufgegriffen, um Formen der Intelligenz, die nicht menschlichen, sondern pflanzlichen, tierischen und maschinellen Ursprungs sind, zu visualisieren. Die Lavalampe, die 1963 von dem Exzentriker Edward Craven Walker erfunden wurde, erlebte in den 1960er Jahren als psychedelische Inspirationsquelle ihren Höhepunkt. Ein weiterer Bezugspunkt ihrer Arbeit sind künstliche neuronale Netze des Visualisierungsprogrammes „Deep Dream“. Die hölzernen Sockel aus dem Wald ersetzen die sonst verwendeten Stelen und fungieren so als Körper für die Lavaköpfe, die dem Haupt Sutelas nachempfunden sind. Zwei geisterhafte Piktogramme ergänzen das Ensemble. Sie bilden die Lavaköpfe nach und entstanden durch die direkte Belichtung auf lichtempfindlichem Fotopapier. Auch Sutela geht es um Wahrnehmungswelten nichtmenschlichen Lebens und die Frage, wie wir unsere Realität konstruieren.
In Halle 3 läuft der Film „Capture“ des Künstlerkollektivs Metahaven mit Vinca Kruk und Daniel van der Velden aus Amsterdam, bei dem sie auf Archivmaterial zurückgegriffen haben. Es ist eine fiktive Dokumentargeschichte über die Unverhältnismäßigkeiten zwischen Kunst, Wahrnehmung und Physik. Die Arbeit konfrontiert poetische und wissenschaftliche Ansätze mit Fragen nach der Natur der Realität. Der Film bezieht sich auf den sogenannten „Kollaps der Wellenfunktion“ oder die „Superposition“ der Quantenmechanik. Metahaven geht sogar soweit, absurde Fragen aus der Wissenschaft mit der philosophischen Richtung des Absurdismus in der Literatur zu verbinden. „Capture“ weckt das Interesse an der Beobachtung, wie sich unsere Wahrnehmung und unsere Denkweise verändern, wenn wir beginnen unsere Realität oder das, was wir dafür halten, in ihre Bestandteile zu zerlegen. Ergänzend hängen an einer Wand Second Hand-Jacken mit unterschiedlichen Motiven, die Metahaven aufgebracht hat, und Plastikbeutel – auch sie verändert, quasi überschrieben. Diese Notizen aus Stoff und Plastik sind ein „work in progress“ und wollen verdeutlichen, wie sich verschiedene Sphären durch ihre Komplexität und Vielfalt zueinander verhalten. Zwei Wandteppiche zieren Sätze wie „The hard problem of consciousness?“ oder erinnern an die abendlichen Wetterkarten im Fernsehen, wenn Windrichtungen in Pfeilgeschwindigkeit über den Bildschirm rauschen.
Im Turm der Kunsthalle stehen sich zwei Videoscreens von Dorota Gaweda und Egle Kulbokaite gegenüber, in denen die Landschaft von trefflicher Schönheit ist, gäbe es da nicht zwei Wesen, die in unkontrollierten Bewegungen die Natur durchstreifen und angeregt kommunizieren. Die beiden Künstlerinnen, die sich am Royal College of Art in London kennengelernt haben und in Basel zusammen arbeiten, stammen ursprünglich aus Polen respektive Litauen und implizieren immer wieder Bezüge aus der Folklore ihrer Heimat in ihre Arbeiten. Bei den beiden Figuren in ihres Films „Mouthless Part III“ handelt es sich um einen Bauern und einen Landschaftsdämon. Diese Vorstellung basiert auf „upiorizym“, dem slawischen Glauben, dass manche Menschen mit zwei Seelen geboren werden. Das Gespräch der beiden kuriosen Gestalten erinnert an die Schöpfungsgeschichte. Gott ist hier weiblich, denn der Feminismus, die Queere- und Minderheiten-Gesellschaft sind ihr Thema. Natur und Kultur, Mythos und Geschichte verbinden sich in den Werken von Gaweda und Kulbokaite. Ein auf einen Aluspieß gestecktes Heugebilde verströmt den typischen Geruch nach Natur, und die Blumen auf den Bildern umwerben das Auge mit nicht existenter Naturschönheit, die die Grenzen des Normalen sprengt. Die Schau in der Kunsthalle Mainz befasst sich mit den Erfahrungen eines mentalen Zustandes, der subjektiv ist, und mit der Existenz von Tatsachen, die wir nicht wissen können, aber versuchen, herauszufinden, ob das nicht doch möglich ist.
Die Ausstellung „What Is It Like to Be a Bat?“ ist noch bis zum 4. Juni zu sehen. Die Kunsthalle Mainz hat täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, am Mittwoch zusätzlich bis 21 Uhr und am Wochenende erst ab 11 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt regulär 6 Euro, ermäßigt 4 Euro. |