Wien kippt das Lueger-Denkmal  |  | Der Siegerentwurf von Klemens Wihlidal zur Kontextualisierung des Lueger-Denkmals in Wien | |
Die Statue von Karl Lueger am Rande der Wiener Innenstadt wird um 3,5 Grad gekippt. Das sieht die Projetidee „Schieflage (Karl Lueger 3,5 °)“ von Klemens Wihlidal vor, der sich im Wettbewerb zur permanenten Kontextualisierung des Lueger-Denkmals gegen zwölf weitere Vorschläge durchsetzen konnte. „Die minimale formale Irritation erweist sich in der Stadt als starkes Zeichen. Der künstlerische Vorschlag wirft Fragen auf und hält sie offen. Durch die Schieflage wird der Anspruch auf Monumentalität gebrochen. Diese visuelle Pointe erschließt sich auch ohne Vorinformation“, so die Jury in ihrem Statement. „Der Entwurf vermag die öffentliche Debatte lebendig zu halten und so zu einer Bewusstseinsschärfung in der Zivilgesellschaft zu führen. Die Transformation des Denkmals unterläuft die affirmative Betrachtung von Luegers Politik der Ausgrenzung und seiner rassistischen und antisemitischen Hassreden. Die ‚Schieflage‘ verändert Perspektiven auf Vergangenheit und Gegenwart.“
Wihlidals Konzept ist nicht neu. Bereits 2009/10 war die Neigung des Denkmals für den heute umstrittenen Wiener Bürgermeister bei einem inoffiziellen Wettbewerb der Universität für angewandte Kunst Wien prämiert worden. Nach anhaltender öffentlich geführter Debatte, Beschmierungen am Sockel und einer großen Gesprächsrunde mit Vertreter*innen aus Kunst, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft im Rathaus wurde dann im vergangenen Jahr der Wettbewerb zur Umgestaltung des Lueger-Platzes initiiert und von KÖR Kunst im öffentlichen Raum Wien gemeinsam mit der Kulturabteilung der Stadt Wien organisiert. „Mit meinem Entwurf möchte ich nicht das bestehende Denkmal verändern, sondern die Sichtweise und Perspektive darauf“, so der 1982 in Wien geborene Klemens Wihlidal. „Mit dem ‚minimalen‘ Eingriff, Statue und Sockel aus Sicht der Betrachter*innen um 3,5 Grad nach rechts zu neigen, soll die Ehrwürdigkeit gebrochen und die Aufrichtigkeit infrage gestellt werden. Damit möchte ich eine Irritation, oder mehr noch, ein Unsicherheitsmoment auslösen, das möglicherweise erst beim zweiten Hinsehen spürbar wird.“
Die 1926 am Stubentor errichte Denkmalanlage von Josef Müllner erinnert an den von 1897 bis 1910 amtierenden Wiener Bürgermeister Karl Lueger, der zur Lebzeiten äußerst populär war, heute aber heftig umstritten ist. Er erwarb sich Verdienste bei der Entwicklung Wiens zu einer modernen Großstadt, wusste aber auch einen beispiellosen Kult um seine Person aufzubauen und die Menschen als „Modernisierer“ und „Anwalt der kleinen Leute“ in seinen Bann zu ziehen. Mit rassistischer Rhetorik und gnadenlosem Populismus machte er den Antisemitismus hoffähig und zu einem politischen Programm, auf den sich spätere Generationen bezogen, etwa auch Adolf Hitler.
Die Reaktionen aus Politik und Gesellschaft auf Wihlidals Entwurf gehen daher weit auseinander. Während für Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler die Idee auch 13 Jahre nach ihrem Entstehen Bestand und Überzeugungskraft beweist, den Bruch einer Gesellschaft mit der Person Luegers in einem symbolischen Zeichen deutlich nachvollzieht und mit der nachhaltigen Irritation von Sehgewohnheiten aktiv hält, sprachen die Wiener Grünen von einem intransparenten und veralteten Wettbewerbsergebnis, das eine Bankrotterklärung sei. Man solle das Denkmal lieber gänzlich an den Rand der Stadt in einen neu zu errichtenden Skulpturengarten umsetzen. Dort könne Lueger dann gekippt und mit Kontexttafeln versehen gemeinsam mit anderen toxischen Statuen weiter für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben. Laut den Jüdischen österreichischen HochschülerInnen sei die minimale Schiefstellung eine mutlose Lösung, mit der die Stadt Wien die Forderung von jüdischen Verbänden und Shoah-Überlebenden nach Abriss und Errichtung eines Erinnerungsortes missachte. Wihlidals Eingriff erfolgt nicht an der Statue, sondern an der Sockelbasis, die abgetragen, schiefgestellt und neu betoniert wird. Umsetzung und Fertigstellung sind für das kommende Jahr geplant. |