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Marktberichte |
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Großer Auftritt für den Expressionismus bei Ketterer: Mit Jawlenskys „Mädchen mit Zopf“ präsentiert der Münchner Versteigerer ein Schlüsselwerk des Blauen Reiters und schließt daran weitere Highlights der Moderne aus Deutschland an  Wenn die Farbe die Oberhand gewinnt

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 |  | Alexej von Jawlensky, Mädchen mit Zopf, 1910 | |
Der deutsche Auktionsmarkt ist in diesem Frühjahr mit Kunst des Expressionismus hervorragend bestückt. Obwohl die Sammler in den vergangenen Tagen bei Grisebach und Van Ham teilweise zurückhaltend auftraten, setzt nun Ketterer in München weitere Glanzpunkte mit Brücke- und Blauer Reiter-Malern und preist vor allem Alexej von Jawlenskys „Mädchen mit Zopf“ als „Schlüsselwerk“ und „Ikone der Moderne“ an. Als sich Jawlensky im Jahr 1910 zu dem nachdenklichen Portrait der jungen Frau mit mandelförmigen dunklen Augen und einem Inkarnat, das unnatürlich grün und rot leuchtet und vom Schwarz der Haare und dem Hellblau des Kragens gerahmt wird, aufmachte, lag tatsächlich künstlerische Aufbruchsstimmung in der Luft. Im Dezember 1909 fand in der Münchner Galerie Thannhauser die erste Ausstellung der „Neuen Künstlervereinigung München“ statt, die von der konservativen Presse als „Vereinigung unheilbar Geisteskranker“ und ihre Mitglieder als „Hochstapler“ abgetan wurden. 1912 war dann mit Jawlenskys Künstlerfreunden Marc und Kandinsky der Blaue Reiter geboren. Der Jawlensky-Kenner Roman Zieglgänsberger, Kustos für Klassische Moderne am Museum Wiesbaden, bezeichnet das Gemälde, das bis Ende der 1960er Jahre zur Sammlung des ersten Jawlensky-Biografen Clemens Weiler gehörte, daher auch als „schlicht atemberaubend“. Mit einer Schätzung von 3,5 bis 4,5 Millionen Euro wollen der jetzige Schweizer Besitzer und Ketterer nicht so hoch hinaus: Hatte das „Mädchen mit Zopf“ im November 2007 bei Christie’s in New York doch schon netto 4,6 Millionen Dollar gekostet.
Die Klassiker
Museal ist gleichfalls Franz Marcs Papierarbeit „Grünes Pferd“ von 1912, auf der die Tier- und Pflanzenwelt eine für den Künstler charakteristische paradiesische Harmonie in expressionistischer Farbfreude eingehen (Taxe 600.000 bis 800.000 EUR). Das Feld des deutschen Expressionismus ist bei Ketterer am 9. Juni weiterhin gut bestellt. Das liegt nicht zuletzt an der Brücke-Sammlung von Hermann Gerlinger, mit der das Münchner Auktionshaus seit einem Jahr überragende Erfolge feiert. Diesmal stehen Hermann Max Pechsteins gelb und blau gesättigtes „Boot bei aufgehender Sonne“ von 1949, das einsam am Ostsee-Strand liegt (Taxe 130.000 bis 160.000 EUR), Karl Schmidt-Rottluffs „Fischer mit roten Netzen“ von 1921, ebenfalls eine farbintensive Liebeserklärung an die Ostsee und im speziellen an das Fischerdorf Jershöft (Taxe 500.000 bis 800.000 EUR), und Otto Muellers schlichter Blick in ein stilles „Waldinneres mit Blume“ um 1924 an der Spitze (Taxe 130.000 bis 180.000 EUR). Mueller setzt sich und seine Frau Maschka noch in anderen Sammlungszusammenhängen prominent in Szene: in lässiger und selbstbewusster Pose liegt sie seit 1914 als „Mädchen auf dem Kanapee“ und kokettiert herausfordernd mit dem Betrachter (Taxe 650.000 bis 850.000 EUR).
Auch Hermann Max Pechstein will ein zweites Mal auftrumpfen und hofft laut Ketterer für seine „Ruhende“ aus dem Jahr 1911 auf besonders hohe Aufmerksamkeit. Denn Pechsteins Frau Charlotte, die im Alter von 18 Jahren mit weit ausgestrecktem Arm und offenem Haar unschuldig schlafend auf einem Bett liegt, gehörte zur renommierten Sammlung des Breslauer Rechtsanwalts Ismar Littmann, gelangte durch antisemitische Verfolgungsmaßnahmen der Nazis 1936 an die Berliner Nationalgalerie und wurde erst im Februar dieses Jahres an seine Erben zurückgeben, die nun für die exzeptionelle Werk auf 1,2 bis 1,8 Millionen Euro hoffen. Marktfrisch ist auch Ernst Ludwig Kirchners spätes, in seiner Schablonentechnik entwickeltes Ölgemälde „Akte im Wald“ von 1933/34, das Kirchners Interesse für eine extreme Licht-Schatten-Wirkung zeigt. Das gleichnamige, etwas jüngere Pendant hängt im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen (Taxe 350.000 bis 450.000 EUR).
Für Freunde des Impressionismus hält Ketterer Max Liebermanns „Große Seestraße in Wannsee“ aus dem Jahr 1925 bereit, die der Berliner Maler als sommerliche Flaniermeile mit zahlreichen Menschen unter schattenspendenden Bäumen pastos inszeniert (Taxe 400.000 bis 600.000 EUR). Aus der ehemaligen Sammlung des großen New Yorker Kunsthändlers Serge Sabarsky stammt die „Stillende Mutter“, die Otto Dix 1932 im Stil der Neuen Sachlichkeit als moderne „Maria lactans“ in räumlicher und ideeller Kargheit angelegt hat (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR), ebenso einige Arbeiten auf Papier, darunter Egon Schieles kopflose Studie eines sitzenden Mannes von 1910, hinter dem sich sein Malerkollege Max Oppenheimer verbirgt (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR), Emil Noldes Farblithografie „Junges Paar“ in exaltierter Gestik von 1913 (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR) oder Erich Heckels bekannter Holzschnitt „Fränzi liegend“ von 1910 in der rot-schwarzen Variante für nicht allzu hohe 120.000 bis 180.000 Euro. In diese Preiskategorie reihen sich noch Arthur Segals „Brücke in Rügenwaldermünde“ von 1925 als pointillistisches buntes Puzzle verschiedener, prismenartig verzogener Ebenen und Louis Soutters schwarze Fingermalerei geheimnisvoller Schattenfiguren unter den Titel „Ceux qui récoltent (Jene, die ernten)“ von 1940/41 ein (Taxe je 120.000 bis 150.000 EUR).
Die jüngere Kunst
Die Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg ist prominent mit Ernst Wilhelm Nays kontrastreichem und energiegeladenem Farbspektakel „Motion“ von 1962 aus dem Ende seiner wichtigen „Scheibenbilder“-Phase besetzt (Taxe 400.000 bis 600.000 EUR). Dynamisch bewegt gibt sich auch ein genageltes und weiß bemaltes „Strukturfeld“ von Günther Uecker aus dem Jahr 1982 (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR). Auf die Farben Grau und Schwarz beschränkte sich Sean Scully 1990 bei seiner geometrischen Streifenkomposition „Samar (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR), während Stanley Whitney 2019 für „Stay Song #54“ mit seinem Pinsel tief in verschiedene Farbtöpfe griff und ein wenig aus dem Lot geratene Quadrate und Rechtecke auf seiner Leinwand anordnete (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Yayoi Kusama tritt diesmal nicht als Tupfenprinzessin in Erscheinung; ihre geometrische reduzierte Arbeit „Flash Towards the 21st Century“ hat die Japanerin 1988 aus pinkfarbenen und weißen Dreiecken flirrend aufgebaut (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR).
Sol LeWitts buntes Streifenwirrwarr von 1994, aus dem sich der titelgebende „Cube (B)“ schält, wurde erst im Juni 2020 bei Van Ham in Köln für 110.000 Euro zugeschlagen und trat dann schon ein halbes Jahr später im Wiener Dorotheum für 160.000 bis 180.000 Euro erfolglos an. Ketterer erhofft sich von der großformatigen Gouache nun 180.000 bis 240.000 Euro. Zwischen Abstraktion und Figuration steht Gerhard Richters fotorealistisch verschwommene „Teyde-Landschaft“ von 1971, die ebenfalls eine Auktionsgeschichte vorzuweisen hat. Die karge Natur um den Vulkan Pico del Teide auf Teneriffa wurde 2002 bei Lempertz in Köln für 290.000 Euro zugeschlagen und verzeichnete 2017 im selben Auktionshaus dann schon 800.000 Euro. Daran richtet sich Ketterer nun mit den anvisierten 800.000 bis 1,2 Millionen Euro aus. Seine Schülerin Karin Kneffel geht ebenfalls von einer Fotografie aus, wenn sie 2016 auf großformatiger Leinwand die einst so bedeutende Kunstsammlung des Krefelder Textilindustriellen Hermann Lange malerisch rekonstruiert, mit wassertropfen- und ölschlierenartigen Überlagerungen aber zugleich verfremdet (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR).
Auf die Verführungskraft der Farbe setzt Katharina Grosse 2008 bei ihrem wandfüllenden abstrakten Allover, bei dem sie durch die Beimischung von Sand in der rosafarbenen zweiten Malschicht eine eigene haptische Note erzielt (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR). Ungegenständlich bleibt es mit Steven Parrinos Arbeit „BLOB#3“ von 1994, mit der der Amerikaner die malerischen Mittel ausdehnte und im Rahmen seiner „misshaped canvases“ die schwarz-weiß gefasste Leinwand einschnitt, vom Träger löste und faltete und mit Silikon beschmierte (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Doch auch die Figuration kommt bei Ketterer nicht zu kurz. Da gibt es etwa Konrad Klaphecks frühe Kombination aus einem Rollschuh und orangefarbener Schleife, die er 1969 „Lolita“ nannte und damit treffend auf Stanley Kubricks gleichnamigen erotisch-verschlingenden Film anspielte (Taxe 150.000 bis 250.000 EUR).
Tom Wesselmanns Akt „Monica nude with Lichtenstein“, den er 1989 als scherenschnittartiges „steel drawing“ ausführte, hat in seinem gesichtslosen, entindividualisierten Aussehen viel von seinen Verlockungen verloren (Taxe 140.000 bis 180.000 EUR). Cindy Sherman posiert auf ihren Schwarz-Weiß-Fotografien der Werkeserie „Untitled Film Stills“ in unterschiedlichen weiblichen Filmrollen, so dass man sich bei der Nummer 7 von 1978 an Hollywoodszenen etwa mit Liz Talyor erinnert fühlt (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR). In seinem Stillleben „The life we love“ aus dem Jahr 2004 eröffnet George Condo ein weites Bezugsfeld, das von christlicher Abendmahl-Ikonografie über die Renaissance-Kunst und surrealistischen Einflüssen bis zur zeitgenössischen amerikanischen Ästhetik reicht. So ist nach Condos eigener Aussage die zentral herabhängende Karotte eine Metapher für falsche Hoffnungen (Taxe 280.000 bis 360.000 EUR).
Sprunghaft-assoziativ ist auch das Schaffen von Martin Kippenberger. Seine dreiteilige collagierte Malereigruppe „Gruga-Bad“ von 1982 ist eine humorvolle Hommage an die Kindheit des Malers im Ruhrgebiet, wo Kippenbergers Vater laut seiner Schwester Susanne die Kinder regelmäßig ins Folkwang Museum und ins Gruga-Freibad schleppte (Taxe 300.000 bis 500.000 EUR). Auf seiner Leinwand „Zwilling I“ von 2000 eröffnet Georg Baselitz in den zwei auf dem Kopf stehenden Babys ein assoziatives Gedankenspiel über die Einmaligkeit des menschlichen Lebens (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR). Für seine vierteilige Gemäldeserie zu den Tageszeiten griff Karl Horst Hödicke gleich doppelt auf die deutsche Romantik zurück: thematisch auf Philipp Otto Runges Grafikzyklus von 1803/05, motivisch auf das damals beliebte Fensterbild, das Hödicke mit dem Ausblick aus seinem Atelierfenster wiederholte (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR).
Die Auktion beginnt am 9. Juni um 17 Uhr. Die Besichtigung ist bis zum Auktionsbeginn täglich von 10 bis 18 Uhr, am 8. Juni von 10 bis 17 Uhr möglich. |  | Kontakt: Ketterer Kunst Joseph-Wild-Straße 18 DE-81829 München |
 | Telefon:+49 (089) 552 440 | Telefax:+49 (089) 552 441 66 |  |  | E-Mail: infomuenchen@kettererkunst.de |  | Startseite: www.kettererkunst.de |
06.06.2023 |
Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Ulrich Raphael Firsching |  |
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 Hermann Max
Pechstein, Die
Ruhende, 1911 |  | Taxe: 1.200.000 - 1.800.000 EURO Zuschlag: 1.800.000,- EURO Losnummer: 16 |  |  |  |  |  | 
 George Condo, The
life we love, 2004 |  | Taxe: 280.000 - 360.000 EURO Zuschlag: 330.000,- EURO Losnummer: 40 |  |  |  |  |  | 
 Otto Mueller,
Waldinneres mit
Blume, um 1924 |  | Taxe: 130.000 - 180.000 EURO Zuschlag: 140.000,- EURO Losnummer: 47 |  |  |  |  |  | 
 Karl
Schmidt-Rottluff,
Fischer mit roten
Netzen, 1921 |  | Taxe: 500.000 - 800.000 EURO Zuschlag: 600.000,- EURO Losnummer: 44 |  |  |  |  |  | 
 Ernst Ludwig
Kirchner, Akte im
Wald (Kleine
Fassung), 1933/34 |  | Taxe: 350.000 - 450.000 EURO Zuschlag: 400.000,- EURO Losnummer: 17 |  |  |  |  |  | 
 Max Liebermann,
Große Seestraße in
Wannsee, 1925 |  | Taxe: 400.000 - 600.000 EURO Zuschlag: 1.400.000,- EURO Losnummer: 13 |  |  |  |  |  | 
 Egon Schiele, Studie
eines sitzenden
Mannes, 1910 |  | Taxe: 200.000 - 300.000 EURO Zuschlag: 350.000,- EURO Losnummer: 27 |  |  |  |  |  | 
 Franz Marc, Grünes
Pferd, 1912 |  | Taxe: 600.000 - 800.000 EURO Zuschlag: 2.000.000,- EURO Losnummer: 8 |  |  |  |  |  | 
 Konrad Klapheck,
Lolita, 1969 |  | Taxe: 150.000 - 250.000 EURO Zuschlag: 380.000,- EURO Losnummer: 39 |  |  |  |  |  | 
 Arthur Segal, Die
Brücke in
Rügenwaldermünde,
1925 |  | Taxe: 120.000 - 150.000 EURO Losnummer: 12 |  |  |  |  |  | 
 Günther Uecker,
Strukturfeld
(Struktur I), 1982 |  | Taxe: 150.000 - 200.000 EURO Zuschlag: 200.000,- EURO Losnummer: 10 |  |  |  |  |  | 
 Louis Soutter, Ceux
qui récoltent (Jene,
die ernten), 1940/41 |  | Taxe: 120.000 - 150.000 EURO Zuschlag: 120.000,- EURO Losnummer: 19 |  |  |  |  |  | 
 Tom Wesselmann,
Monica nude with
Lichtenstein, 1989 |  | Taxe: 140.000 - 180.000 EURO Zuschlag: 230.000,- EURO Losnummer: 15 |  |  |
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