 |  | Pedro Onofre Cotto, Wanderer in südlicher Landschaft (Die Flucht nach Ägypten) | |
Es ist schon eine spezielle Sammelleidenschaft, die Gisela und Wolfgang Steiner umgetrieben hat: Über mehrere Jahrzehnte hinweg trugen sie die bedeutendste europäische Privatsammlung an Hinterglasgemälden zusammen. Nach dem Verkauf seiner Firmengruppe konnte sich der 1938 in Breslau geborene Unternehmer intensiv der Kunst der Hinterglasmalerei von der Renaissance bis zum Klassizismus widmen, initiierte mehrere Symposien zur dieser Gattung, veröffentlichte insgesamt sieben Bücher zur Hinterglaskunst und stieß damit maßgeblich die wissenschaftliche Bearbeitung dieses Themas an. Nun trennt sich das Sammlerpaar von seinen über 700 Schätzen, die bereits in Museen in Österreich, Italien und Deutschland zu sehen waren. Eine erste Tranche mit 153 wertvollen Objekten ging 2021 an die Kunstsammlungen und Museen der Stadt Augsburg und wurde bis März dieses Jahres in der Ausstellung „Vorsicht, zerbrechlich!“ im Schaezlerpalais der Stadt präsentiert, in der im 18. Jahrhundert eine stattliche Anzahl an Glasmalern tätig war.
Mit dem Verkauf von 95 weiteren Objekten haben Gisela und Wolfgang Steiner nun das Kölner Auktionshaus Lempertz beauftragt. Die Taxen im Sonderkatalog sind auf Wunsch des Sammlerehepaares bewusst niedrig angesetzt. Das meiste notiert im unteren vierstelligen Bereich, etwa ein „Tanz um das Goldene Kalb“ von Johann Peter Abesch für 1.000 bis 4.000 Euro. Der Schweizer gilt als Begründer der Hinterglasmalerei um 1700 in Sursee bei Luzern und steuert noch die für ihn typisch großformatige alttestamentliche Szene „Die Verurteilung der Susanna“ um 1721 nach dem Gemälde Antoine Coypels für 5.000 bis 15.000 Euro bei. Seine Tochter Anna Barbara Abesch bevorzugte um 1736 das allegorische Thema „Alles ist eitel“ und malte eine junge vornehme Frau, die sich mit zahlreichen Geschmeiden ausstaffiert (Taxe 2.500 bis 8.000 EUR). An der Hinterglasmalerei interessierte Gisela und Wolfgang Steiner nicht nur die künstlerische Qualität, sondern auch die technische Raffinesse. Denn hier wird der übliche Malprozess umgekehrt. Da das Farbmaterial in Schichten auf der Rückseite einer Glasplatte aufgetragen wird, entsteht zuerst der Vordergrund eines Bildes und nicht die Grundierung wie bei der Tafelmalerei. Dann folgen Mittel- und Hintergrund. Dadurch ergeben sich bei der Hinterglasmalerei besondere Tiefeneffekte und Farbwirkungen, sie kann aber auch nicht mehr korrigiert werden.
Mit den Arbeiten von Abesch ist der Preisrahmen nach oben schon abgesteckt. 5.000 bis 8.000 Euro verlangt ein Ende des 17. Jahrhunderts in Italien gefertigter Kabinettschrank mit zwölf Hinterglasgemälden samt Ansichten von Hafenstädten am Mittelmeer, 5.000 bis 10.000 Euro eine mit „Philbert. Des. crajpiers. Paris. 1661“ beschriftete „Verkündigung Mariens“, die als das einzige bekannte signierte und datierte Exemplar der französischen Hinterglaskunst des 17. Jahrhunderts gilt, 4.000 bis 12.000 Euro eine fein entwickelte südliche Landschaft mit Wanderern, bei denen der Spanier Pedro Onofre Cotto wohl auch die Heilige Familie bei der Flucht nach Ägypten gemeint hat. Zu diesem Preis gibt es aus der reichen Augsburger Tradition eine elegante Gesellschaft auf einer Terrasse am Meer in Neapel, mit der Johann Wolfgang Baumgartner um 1740 einem Kupferstich Melchior Küsels folgte, ebenso wie bei einer venezianischen Vedute aus dem vierten Teil von Johann Wilhelm Baurs „Iconographica“ (Taxe je 4.000 bis 12.000 EUR). In die Renaissance nach Venetien oder Tirol geht es mit einer farbintensiven „Kreuztragung Christi“ aus der Mitte 16. Jahrhunderts, bei der sich ein Maler seitenverkehrt an Agostino Venezianos Vorlage aus dem Jahr 1519 hielt (Taxe 4.000 bis 10.000 EUR).
Ab 3.000 Euro aufwärts listet der Katalog etwa ein Paar Bataillen von Daniel und Ignaz Preissler aus Kronstadt in Eglomisé-Technik mit radiertem Blattgold vor Schwarz, Nikolaus Michael Spenglers Genredarstellung „Die Ökonomin“ von 1757 bei ihrer Arbeit am Tisch oder die in China um 1770 für den europäischen Markt produzierte Mythologie von Jupiter und Kallisto nach dem gleichnamigen Gemälde von François Boucher, das heute im Nelson-Atkins Museum of Art in Kansas City hängt. Dass dieser weltumspannende Handel im 18. Jahrhundert keine Besonderheit war, beweisen etwa noch das Portrait von „William Augustus, Duke of Cumberland“, 1743 siegreicher Feldherr in der Schlacht von Dettingen (Taxe 1.000 bis 3.000 EUR), oder seine britische Adelskollegin „Lady Charlotte Finch“, die mit einer Grafik des Kupferstechers John Faber d.J. nach Fernost wanderte und dann als Hinterglasgemälde wohl ebenfalls nach England exportiert wurde (Taxe 1.500 bis 4.000 EUR). Ein Beispiel für einen nicht so weit ausgreifenden Kunsttransfer ist der Südtiroler Maler Joseph Haller, der sich spätestens ab 1761 in Augsburg aufhielt, hier bei Franz Sigrist seine Gesellenzeit absolvierte und vermutlich auch bei Johann Wolfgang Baumgartner die Fresko- und Hinterglasmalerei erlernte, aber schon 1764 in seine Heimat zurückkehrte und heute als einer der wichtigsten Vertreter der Passeirer Malerschule gilt. Sein „Heiliger Josef“ mit dem Christuskind basiert auf Johann Georg Bergmüllers Gemälde „Der Ehegatte der Engelskönigin“, vermittelt über ein Blatt des Augsburger Kupferstechers Philipp Andreas Kilian (Taxe 3.000 bis 6.000 EUR).
In der zweiten Privatsammlung, die Lempertz ebenfalls am 16. November versteigert, dreht es sich um die Glaskunst des 20. Jahrhunderts. Die ältesten der 130 Positionen stammen aus dem Art Nouveau, etwa Emile Gallés frühe rauchfarbene Schale aus dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, die mit einer Gottesanbeterin in einem Blütenstängel in farbigem Reliefemail verziert ist (Taxe 2.000 bis 3.000 EUR), eine kugelige Vase der böhmischen Firma Johann Lötz Witwe um 1900 in typischem, silbrig irisierendem Phänomen-Dekor mit gelben und manganfarbenen Aufschmelzungen (Taxe 2.000 bis 3.000 EUR) oder ein gleichaltriger Blütenkelch-Pokal von Louis Comfort Tiffany aus New York in goldgelb irisiertem Favrile-Glas mit grünen Fadeneinlagen (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR).
Der Schwerpunkt der Sammlung liegt jedoch bei venezianischen Glaswaren, vor allem bei Produkten der Manufaktur Venini aus Murano. Hier geht es meist schon bei einigen hundert Euro los, etwa bei Carlo Scarpas Enghalsvase „a fili“ um 1942, die 1994 in mattem Klarglas mit feinen mehrfarbigen Horizontalringen ausgeführt wurde (Taxe 400 bis 600 EUR), oder Laura Diaz de Santillanas Bechervase „Klee“ von 1981 mit breiten Diagonalstreifen in intensivem Kolorit (Taxe 600 bis 800 EUR). Preisliche Höhepunkte sind drei zartfarbige Vasen des Modells „Veronese“ und eine weitere Balustervase von Vittorio Zecchin aus den Jahren 1921/22, die Venini & C. in den 1980er und 1990er Jahren wiederaufgelegt hat (Taxe 2.000 bis 3.000 EUR), drei Exemplare der blätterartigen Vase „Ritagli“ von Fulvio Bianconi mit ihren sich überlappenden vertikalen Glasstreifen von 1989 in unterschiedlichen Farbstellungen (Taxe je 1.500 bis 2.000 EUR) oder das Unikat-Objekt der Manufaktur Venini von 1996 aus einem grasgrünen Vasenkorpus mit Öffnungen und mehreren eingehängten facettierten Klarglaspendentifs (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR). Zu diesem Wert schwimmt auch Toni Zuccheris „Anatra multicolore“, eine Ente aus massivem marmoriertem Farbglas und Klarglas mit Farbfadeneinlagen von 1986, zu ihrem neuen Besitzer.
Die Auktion „Hinterglasmalerei aus vier Jahrhunderten – Sammlung Steiner“ beginnt am 16. November um 10 Uhr, ab 12 Uhr folgt die Auktion „150 Jahre Modernes Glas – Eine deutsche Privatsammlung“. Die Besichtigung ist bis zum 15. November täglich von 10 bis 17:30 Uhr möglich. Der Internetkatalog listet die Objekte unter www.lempertz.com. |