 |  | Albrecht Dürer, Löwe, 1494 | |
Auf grünem Grund ruht ein schlanker, prächtiger Löwe mit wachem, aufmerksamem Blick, die Ohren gespitzt, jederzeit bereit zum plötzlichen Aufspringen. Die heroische Berglandschaft im Hintergrund ist nur grob angedeutet, und auch die Grasbüschel im Vordergrund der Zeichnung sind lediglich schematisch ausgeführt. Nichts soll offenbar ablenken von der majestätischen Eleganz des Fürsten aller Tiere. Das goldfarbene, muskulöse Raubtier mit langer, welliger Mähne richtet den grimmig entschlossenen Blick knapp am Betrachter vorbei. Königlich erscheint das symbolhaft mächtige Tier auf der meisterhaften farbigen Zeichnung Albrecht Dürers von 1494. Das Blatt gehört zu den prominentesten Beständen des Hamburger Kupferstichkabinetts aus der Zeit zwischen 1450 bis 1800. Aus dem Bestand von rund 1500 Blättern hat die Hamburger Kunsthalle nun eine Auswahl von rund 80 Zeichnungen zusammengestellt, die unter dem Titel „Blick in verborgene Welten. Deutsche Zeichnungen von Dürer bis Chodowiecki“ im Kuppelsaal des Museums präsentiert werden. Neben Albrecht Dürer wird vor allen Dingen auch sein zeitgenössisches Umfeld mit Schongauer, Holbein und Baldung Grien ausgestellt.
Grundlage für die neuerliche wissenschaftliche Aufarbeitung dieses wichtigen Bestandes des Kupferstichkabinetts ist ein vorausgegangenes Symposium. Für den scheidenden Kunsthallendirektor Uwe M. Schneede steht diese öffentliche Präsentation jetzt am Ende eines seit knapp vier Jahren mit Unterstützung der Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius durchgeführten wissenschaftlichen Forschungsprojekts. Ein umfangreicher zweibändiger Bestandskatalog, der ab Mitte 2006 erhältlich sein wird, markiert dann den vorläufigen Abschluss der intensiven Sichtung und Revision dieses Teils der eigenen Sammlung.
Den Ausstellungsmachern geht es nicht darum, vermeintliche Highlights und Publikumslieblinge aneinanderzureihen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr bestimmte Themen und gattungsspezifische Besonderheiten: Das Porträt, religiöse und mythologische Historienbilder, die Nacktheit des Menschen oder Landschaftsdarstellungen, wie sie für die Übergangsphase vom Mittelalter zur Renaissance in Deutschland üblich waren. Jakob Philipp Hackerts ganz in Braun gehaltene kleine Zeichnung „Die Küste bei Vietri“ von 1770 zeigt eine kleine Bucht mit bizarren Felsformationen und Segelkähnen. Im Vordergrund lagert eine illustre Gesellschaft aus drei Herren und zwei Damen mit Weinfässern. Kennzeichnend für das Blatt ist ein dramatischer, geradezu bühnenhafter Bildaufbau.
Manchmal sagt eine Kopie viel über die Rezeption eines Zeichners aus. Um 1700 entstand beispielsweise die anonyme Kopie des Blattes „Baslerin mit Federbarett“, das ursprünglich von Hans Holbein d.J. stammt (1497/98-1549). Es zeigt eine adrette Frau mit üppigem Décolleté und auffälligem Hutschmuck - offenbar eine kecke Kurtisane. Das Kopieren einer Meisterzeichnung gehörte in den Werkstätten durchaus zur Künstlerausbildung und bestätigt den Rang des Künstlers des Originals.
Die Hamburger Ausstellung endet mit einer Auswahl eher regional bekannter Künstler aus Hamburg und Norddeutschland. Auch wenn manche Namen eher unbekannt sind: Die wissenschaftlich inszenierte Schau lädt ein zum Entdecken selten ausgestellter, lichtempfindlicher Originalzeichnungen, zum intensiven Studium einzelner Blätter, alter Techniken und teils skurriler Bilddetails.
Die Ausstellung „Blick in verborgene Welten. Deutsche Zeichnungen von Dürer bis Chodowiecki“ ist bis zum 2. April zu sehen. Die Hamburger Kunsthalle hat dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags zusätzlich bis 21 Uhr geöffnet. Der zweibändige Bestandskatalog erscheint im Sommer 2006 im Böhlau Verlag. Voraussichtlicher Preis: 249,90 Euro.
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