
Ernst Neuschul wird als Sohn einer deutsch-jüdischen Kaufmanns-Familie in der nordböhmischen Industriestadt Aussig/ Ebe (Usti nad Labem) geboren. Herkunft und Abstammung prägen maßgeblich die Biografie dieses vielseitigen und rastlosen Künstlers.
Ernst Neuschul´s Leben pulsiert im Rhythmus seiner Zeit. Als sozialkritischer und hochpolitischer Künstler lebt und arbeitet er an den Brennpunkten europäischer Geschichte der 20iger und 30iger Jahre und kann diesen Orten eben noch rechtzeitig entfliehen, wenn das Feuer sich zu einem Flächenbrand entfacht, aus Berlin 1933, aus Moskau 1936, aus Aussig 1937, aus Prag 1939.
Der junge Neuschul erfährt seine malerische Ausbildung in Prag, Wien und Krakau. Besonders während seiner Wiener Zeit 1915-1916 wird er durch zeitgenössische Strömungen, für die Sigmund Freud, Adolf Loos oder Egon Schiele stehen, beeinflusst. Er interessiert sich neben der Malerei für Psychoanalyse, Yoga und fernöstliche Religionen.
Noch bevor Neuschul als Maler größeres Aufsehen erregt, startet er an der Seite seiner ersten Frau Takka-Takka, die ihm auch Modell ist, als Yoga-Taro eine durchaus internationale Karriere als javanischer Tänzer. Daneben verfasst er Texte und versucht sich als Experimentalfilmer.
1926 wird Neuschul in Berlin Mitglied der Künstlervereinigung „Novembergruppe“, zu deren letztem Vorsitzenden er 1933 vor ihrer Auflösung durch die Nazis gewählt wird. In den künstlerisch fruchtbaren Berliner Jahren entstehen Bilder von herausragender Qualität, die zwar stilistisch der Neuen Sachlichkeit zuzuordnen sind, mit ihrer multikulturellen Unvoreingenommenheit, ihrer animalischen Intensität und ihrer Unmittelbarkeit jedoch die manchmal durchaus biedere Bildauffassung des neusachlichen Malerzirkels sprengen. In Berlin wird Neuschul durch die Galerie Neumann-Nierendorf vertreten
1933 muss Neuschul aus Deutschland flüchten und lässt sich zunächst wieder in Aussig nieder. Im darauf folgenden Jahr nimmt er eine Einladung, in Moskau zu arbeiten und auszustellen, an und ist zunächst begeistert von den gesellschaftlichen Entwicklungen in der UdSSR. Es entstehen Arbeiten, die sich an einen „sozilistischen Realismus“ anlehnen.1936 entkommt Neuschul nur knapp dem Beginn der stalinistischen Säuberungswelle im sowjetischen Kulturbetrieb. Eine letzte Ausstellung in seiner Heimatstadt Aussig 1938 wird von Nazis sabotiert. Neuschul zieht mit seiner zweiten Frau und seinem Sohn nach Prag. Dort untergetaucht, gelingt es dem jüdischen Sozialisten Ernst Neuschul 1939 mit dem letzten Zug aus dem bereits von deutschen Truppen besetzten Prag ins englische Exil zu flüchten. Bis zu seinem Tod 1968 lebt und arbeitet Ernst Neuschul, der sich fortan Ernest Norland nennt, in London. In seinem Spätwerk findet Neuschul-Norland zu einer beruhigteren Bildsprache, die mehr auf kompositorische Harmonie denn auf Details achtet und in einigen Arbeiten etwas blutleer wirkt, ein Wunder nach diesem aufreibenden Leben?
Ernst Neuschul verkörpert als Mensch und Künstler wie wenige andere seiner Zeit das umtriebige, weltoffene und kreative Suchen nach einer neuen gesellschaftlichen wie künstlerischen Wirklichkeit im Europa zwischen den beiden Weltkriegen.
Quelle: Ernst Neuschul 1895-1968, Herausgeber: Haus der Kunst der Stadt Brünn / Museum Ostdeutsche Galerie Brünn 2001.(zweisprachiger Katalog Deutsch/Tschechisch, 184 S.)
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