Land unter
von Stephanie Bunk
Der Fluss ist das verbindende Element zwischen den sechs Blättern der für die griffelkunst entstandenen Serie. Der Fluss, der in der Mythologie ein Sinnbild für eine natürliche Grenze darstellt, die besser nicht überschritten werden sollte, beschäftigt Yvette Kießling schon seit längerem. Immer wieder hält sie Szenen und Eindrücke, die sich am Ufer abspielen, in Skizzenbüchern und auf Zeichnungen fest, um sie später in ihrem Atelier in Malerei zu überführen. Doch die Perspektive von einem auf das andere Ufer reichte der Leipziger Malerin in diesem Sommer nicht mehr und sie machte sich auf die Grenze zu überschreiten: Nicht nur, dass sie für die Griffelkunst-Edition »en plein air«, also in der Natur direkt auf den Lithostein tuscht. Sie nimmt den Stein sogar mit an Bord ihres Bootes, das sie sich eigens für die Erkundung der Ufer angeschafft hat. »Wenn ich ein Boot habe – dann gehören alle Ufer mir!«, hat sich Yvette Kießling gesagt und sich auf die Reise gemacht. Das Fließen des Wassers und die Bewegungen des Bootes hat die Malerin in schwingenden, getuschten Strichen und ineinander übergehenden Strukturen sichtbar gemacht, die sich durch die gesamte Serie ziehen. Die Grenze zwischen dem Ufer und dem Wasser lösen sich in verschiedenen Schattierungen von Braun, Grün und ein wenig Rosa scheinbar auf. Genau diesem Übergang von einem Aggregatzustand in den anderen gilt Yvette Kießlings Interesse, dem Changieren zwischen flüssig und fest. Verstärkt wurde dieser Prozess der Auflösung durch den Einbruch des Hochwassers im Frühjahr 2013, der mit dem Beginn der Arbeit an der Edition für die griffelkunst zusammenfiel. Anders als geplant, war sie nunmehr in Überschwemmungsgebieten unterwegs und erlebte gerade bedingt durch die Überflutung Momente von eigenartiger Schönheit.
Für Yvette Kießling ist die Druckgraphik ein gleichwertiges Ausdrucksmittel neben ihrer Malerei, wobei beide einander bereichern. »Auf der einen Seite betont Yvette die Farbe als Material, indem sie auf jegliche Nachahmung verzichtet und die visuelle Intensität der Farbe unterstreicht. Auf der anderen Seite benutzt sie Farbe aber auch, um die Gegenstände im Bild zu färben und dadurch gegenständliche Inseln zu schaffen. Hier tauchen Menschen, Tiere und Vegetation vor einem diffusen Untergrund auf.« Matthias Weischer beschreibt in seinem Text Wildes Ufer anschaulich Kießlings besonderen Umgang mit Farbe in der Malerei. Die Lithographie zwingt sie hingegen zu einer Beschränkung der Mittel, aus der für sie jedoch auch eine besondere Freiheit erwächst. Etwa die Freiheit, die innerhalb einer einzelnen Farbe liegen kann, wenn die Malerin sie für den Aufbau des gesamten Bildes nutzt, von einer anfänglichen Struktur bis hin zur Ausgestaltung des Motivs. Auf einen farbigen Fond gesetzt wird sie zu Wasser, Boden oder Holz. Im Anschluss an die Arbeit an unserer Edition sind ganz neue Gemälde entstanden, die Yvette Kießling begleitend zur Wahl im Kunstraum der Seilerstraße sowie im aktuellen Portfolio No 7 zeigen wird.
Yvette Kießling, 1978 geboren in Ilmenau, lebt und arbeitet in Leipzig. Sie studiert von 1997 bis 2003 Malerei an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Von 2004 bis 2008 lehrt sie dort an der Abendakademie. Sie erhält zahlreiche Stipendien wie u.a. 2006 Druckgraphikstipendium, Hohenossig, 2007 Stipendium der Schulerstiftung, Wuppertal, 2012 Steinwerk, Leipzig, Lithographiestipendium. |