Losnummer: 215
Provenienz
Paul Paravicini, Frankfurt a. M. (1920/1921); Süddeutscher Privatbesitz (1950), seitdem in Famlienbesitz; Privatbesitz Schweiz
Ausstellungen
Dresden (Januar) 1920 (Kunstausstellung Emil Richter), Emil Nolde, Gemälde, Aquarelle, Handzeichnungen, Radierungen, Holzschnitte, Lithographien, Nr. 26; Frankfurt (April-Mai) 1920 (Kunstsalon Ludwig Schames), Emil Nolde, Nr. 13; Frankfurt 1922 (Ludwig Schames)
Literatur
Briefe Emil Noldes an Ludwig Schames, Frankfurt vom 6. IV.1922 und an Paul Paravicini, Frankfurt vom 9.V.1922, Archiv der Nolde Stiftung Seebülll
Nach einem Briefzeugnis Noldes befand sich das Gemälde "Der Jäger" noch im April des Jahres 1922 bei dem Galeristen Ludwig Schames in Frankfurt, einem der bedeutendsten Händler für Expressionismus in dieser Zeit. Schames hatte es 1920 schon in einer grösseren Ausstellung mit Werken Emil Noldes, darunter 35 Gemälde, ausstellen können. Im März 1922 zeigte der Galerist erneut Gemälde, denen sich im April eine Auswahl mit Aquarellen und graphischen Arbeiten von Nolde anschliessen sollte (vgl. Martin Urban, Emil Nolde, Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. 1, München 1987, S. 581). Als sich in der Kestner Gesellschaft in Hannover für den Mai und Juni des Jahres eine repräsentative Ausstellung ankündigte, schrieb Nolde Schames Anfang April wegen der geplanten Bilderauswahl. Unter den 11 Arbeiten, die bei Schames verbleiben sollten, befand sich auch das Gemälde "Der Jäger", das wohl wenig später verkauft werden konnte an den Frankfurter Architekten Paul Paravicini. Nolde schrieb dem neuen Besitzer im Mai aus Utenwarf: "Es freut mich das kleine Bild vom "Jäger" in Ihrem Besitz zu wissen u. ich grüße Sie hochachtungsvoll Emil Nolde." (zit. nach dem Dokument, Archiv der Nolde Stiftung Seebüll).
Heute erscheint uns „Der Jäger“, den Emil Nolde inmitten seiner Ausstellungs- und Verkaufsaktivitäten dieser Jahre eher wie beiläufig erwähnt, als eines seiner ausdrucksstärksten Männerporträts . Thematisch wie künstlerisch als expressionistisches Bildnis von hohem Wiedererkennungswert innerhalb des Oeuvres, gilt es die Kraft und Frische dieser über die Jahrzehnte unversehrt und original überlieferten Darstellung hervorzuheben. Sie zeichnet sich nicht nur durch ihre expressive Malweise aus, durch Lebendigkeit und menschliche Ansprache, sondern auch durch die spezielle Komposition: Das eigentliche Bildnis wird um Hintergrundsmotive erweitert, die sicher nicht als rein ästhetische oder farbliche Arabesken zu verstehen sind. Sie verleihen der dargestellten Persönlichkeit symbolhaft eine erweiterte, ideelle Dimension, die auch auf die Sensibilität des Betrachters zielt. Man erkennt dann jenseits der erdverbundenen Robustheit der kantigen Männer-Physiognomie andere Momente oder Werte der Persönlichkeit des „Jägers“: Eigenschaften der Ruhe, der Konzentration und Aufmerksamkeit, der Feinsinnigkeit und des Gefühls für die Schönheiten der Natur - für ihre ephemere Vergänglichkeit wie für ihre unfassbare Ewigkeit, aus der sich die menschliche Sehnsucht nach Transzendenz speist. Für beides mögen in dem Porträt die Attribute stehen: die Blüten, die der Künstler selbst so liebte und kultivierte wie kein anderer und die golden schimmernde Buddhafigur, die sinnfällig im Hintergrund über der Schulter des Mannes dargestellt ist. Die Holzfigur befand sich in Noldes Sammlung.
„So erweist sich Nolde einmal mehr als Zeremonienmeister, der im Miteinander des Konträren sein künstlerisches Ideal verwirklicht sieht: ‚Natur- und Kulturmensch zu gleich, […] leidenschaftsvoll und leidenschaftslos, sprühendes Leben und schweigende Ruhe.' „ (Karsten Müller, Natur- und Kulturmensch zugleich. Florale Figurationen, in: Emil Nolde, Puppen, Masken und Idole, Ernst Barlach Haus Hamburg, 2012, S. 150).
Es mag bezeichnend sein, dass die eindrucksvollen, farbintensiven Porträts von Emil Nolde nicht zuletzt ihren Ausgangspunkt fanden in der Verarbeitung der Reiseeindrücke aus der Südsee und Russland. Schon 1914 erweist sich die Wirksamkeit eines gewissen formalen Ausdrucksschemas: Nolde überwältigt den Betrachter durch unvermittelte Frontalität und Fokussierung, oft in radikalen An- und Ausschnitten. Aber er weiss auch zu variieren. „Der Jäger“ findet sich wieder zwischen Meisterwerken wie dem „Herrenbild“ von 1915 (Gustav Schiefler, Urban 715), dem berühmten „Selbstbildnis“ von 1917 (Urban 769) oder dem Gemälde „Blonde Mädchen“ von 1918 (Urban 826, heute Kunsthalle Hamburg), den Porträts der Nachbarskinder von Utenwarf inmitten leuchtend oranger Sommerblumen.
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