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|  | Ernst Ludwig Kirchner, Tanz zwischen den Frauen. Alpaufzug auf die Stafelalp, 1919 |  | Bronzeguss nach doppelseitigem Holzrelief. Guss 1968.
Unten links (Seite Tanz) und oben links (Seite Alpaufzug) jeweils nummeriert und mit dem Giesserstempel: 1/7 PASTORI-FONDEUR.
172 x 80 cm.
Provenienz: Privatsammlung Schweiz, direkt von der Giesserei Pastori erhalten, seither in Familienbesitz.
Literatur:
- Henze, Wolfgang: Die Plastik Ernst Ludwig Kirchners. Monographie und Werkverzeichnis, Wichtrach, 2002, S. 352, Nr. 1919/02ab (mit Abb. des Holzreliefs).
- Gabler, Karl-Heinz: E.L.Kirchners Doppelrelief: Tanz zwischen den Frauen - Alpaufzug. Bemerkungen zu einem Hauptwerk expressionistischer Plastik, in: Brücke Archiv, Heft 11, Berlin 1997/80, S. 3-12 (Holzrelief, mit Abb.).
- Schwander, Martin: Der Tanz zwischen den Frauen. Zu Ernst Ludwig Kirchners Kunst der frühen Schweizer Jahre, in: Pantheon, Jh. XLIV, München 1986, S. 104 (Holzrelief, mit Abb.).
- Goldwater, Robert: Privitivism in Modern Art, 3. Auflage, Cambridge/London 1983, S. 108 (Holzrelief, mit Abb.).
- Stutzer, Beat: Tanz zwischen den Frauen - Alpaufzug auf die Stafelalp, in: Bündner Kunstmuseum Chur, Gemälde und Skulpturen, Chur 1989, S. 124 f (Holzrelief und wohl anderer Guss, mit Abb.).
- Behr, Sulamith/ Fanning, David/ Jarman, Doulas (Hrsg.): Expressionism ressessed, Manchaster, New York 1993 (Holzrelief, mit Abb. S. 19).
- Kornfeld, E.W: Ernst Ludwig Kirchner. Dresden, Berlin, Davos., Bern 1979, S. 143 f. (Holzrelief, mit Abb.).
- Beloubek-Hammer, Anita: Tanz ist rythmisch im Raum bewegte Plastik, in: Tanz in der Moderne, Austellungs Kat. Kunsthalle im Emden und Haus der Kunst München 1996/7, S 190-199 (Holzrelief, mit Abb.).
- Hoffmeister, Titia: E.L. Kirchner: Der Tanz zwischen den Frauen, in: Werke der "Brücke"- Künstler, Bestandskatalog Staatsgalerie moderner Kunst, München 1997, S. 148-163 (Holzrelief, mit Abb. 10).
- Stutzer, Beat: Bildende Künstler in Davos, in: Davos. Profil eines Phänomens, Zürich 1997, S. 69-77 (Holzrelief, mit Abb.).
- Madesta, Andrea: Alle Kunst ist symbolisch. Kirchners Selbstinszenierung als Repräsentant der modernen Kunst, Dissertation Humbold-Universität zu Berlin 1998, Abb. 32 (Holzrelief, mit Abb. 32).
- Okusa, Osamu: Konkurrenz und Kameradschaft. Ernst Ludwig Kirchners Verhältnis zu Paul Klee., in: Klee, Winter, Kirchner 1927-1934, Ausstellungs Kat. Westfählisches Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte Münster und Pinakothek der Modernen München, 2001, S. 83 (Holzrelief, Abb. 2). |  |
| Losnummer: 3227
Der Einzug in das Haus „in den Lärchen“ in Davos im Herbst 1918 sowie die in Planung stehenden architektonischen Projekte mit Henry van der Velde führen zu einer Wiederaufnahme in Kirchners plastischem Schaffen, welchem er sich in den Folgejahren intensiv widmet. Bereits zu Beginn des Jahres 1919 schreibt Kirchner in einem Brief: „Ich habe jetzt wunderbares Holz für die Holzschnitzerei, das „Arvenholz“. Das schneidet sich so einfach wie ich noch keines gehabt habe. Die Arven (Ziebelkiefern) wachsen ganz oben an der Schneegrenze. Das Holz ist sehr widerstandsfähig trotz seiner Weichheit“. Er plant „aus ganz herrlichen Arvenbohlen eine Tür mit Reliefs zu schlagen“. (Kirchner an Gustav Schiefler)
Dieses doppelseitige und als Türe ausgestaltete Relief, welches er in nur wenigen Monaten vollendet, gilt heute als das bedeutendste Werk in Kirchners plastischem Oeuvre und zählt zu den Meisterwerken der expressionistischen Plastik. Einerseits besticht es durch die wunderbare künstlerische Arbeit, die präzise Ausführung der Schnitzerei, andererseits durch die wohl überlegten, gegensätzlichen und gleichzeitig persönlichen Motive, die Kirchner wählt, um die Seiten des Reliefs zu gestalten.
Auf der einen Seite ist der „Tanz zwischen den zwei Frauen“ dargestellt. Gezeigt wird ein nackter Mann, tanzend zwischen zwei mit den Händen gestikulierenden Frauen, ein Mond und zwei darüber liegende Sterne. Ein Thema, welches Kirchner bereits 1915 in einem Gemälde und einer Radierung festhält und auch später, Mitte der 20er Jahre erneut in einem zweiten Gemälde, einem Holzschnitt und einer Radierung aufgreifen wird. Ein nicht nur für Kirchner wichtiges Thema sondern darüber hinaus ist die Polarität, die Anziehung und Abstossung zwischen dem weiblichen und dem männlichen Geschlecht ein Hauptthema expressionistischer Kunst. Als Kirchner das erste Gemälde „Tanz zwischen den Frauen“ (Abb. 1) 1915 malt, befindet er sich in einer Krise. In dem Gemälde zeigt er sein hin-und hergerissen-Sein zwischen seiner Frau Erna, die er als Lebenspartnerin wählt und all den anderen Frauen, zu denen er sich hingezogen fühlt, unter anderem Ernas lebenslustige Schwester Gerda, die er bereits vor Erna kennengelernt hat. Das Holzrelief, welches rund vier Jahre später entsteht, greift dieses Thema wieder auf. Es ist eine Erinnerung an die damalige Zeit, als Gefangener seiner erotischen Spannungen und seiner kriegsbedingten Angstzustände.
Ganz im Gegensatz dazu zeigt das zweite Relief das Thema eines Alpaufzugs auf die Stafelalp. Unten stehend zwei Personen mit Ziegen, Kühen und einer Katze. Ein steiler Weg führt den Berg hinauf, auf welchem Bauern mit ihren Wagen, Sensen und Tieren gezeigt werden. Zuoberst die Sennerei auf der Stafelalp. Mittig die strahlende Sonne, flankiert von den Bergpanoramen der Zügenschlucht und des Tinzenhornes. Diese Szenerie kann Kirchner aus seinem Fenster heraus im „Lärchen“ beobachten und so als Vorzeichnung es in einem Skizzenbuch festhalten (Zeichnung Abb. 2).
Während der „Tanz zwischen den Frauen“ grosszügig gestaltet ist und die drei Figuren, Mond und Sterne die Fläche monumental beherrschen, sie gleichfalls in einen kosmischen Raum versetzen, ist die Darstellung des Alpaufzugs kleinteilig, vielfigurig und wird bis an die Ränder ausgefüllt. Bei der Türe stehen sich also sowohl stilistisch als auch thematisch zwei Seiten gegenüber wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Während „Tanz zwischen den Frauen“ Kirchners Krisenzeit während des Krieges und seine inneren Spannungen symbolisiert, soll der Alpaufzug ein Sinnbild des Aufstiegs und der wiederkehrenden Freude sein. Sein neuer Lebensabschnitt auf dem Land, in den Bergen, in der Abgeschiedenheit steht ganz im Kontrast zu seinem früheren städtischen Leben. Karlheinz Gabler beschreibt die Reliefs als eine „Synthese des Eins und Jetzt in grossen Sinnbildern wie zwei Seiten einer Medaille. Die Nachtwelt der Grossstädte Dresden und Berlin mit den wechselnden Geliebten und Modellen, dem eigenen Tanz zwischen den Frauen, lag hinter ihm (...) Das Bild des neuen Lebens unter der Sonne aber wurde zum Prototyp einer Form, die in die Zukunft weist.“
Die beiden Reliefs wurden erst später als Türe zusammengefügt und waren ursprünglich als Zugang für Kirchners späteres Atelier gedacht. In den „Lärchen“ stand zumindest die Seite mit dem „Tanz zwischen den Frauen“ als Dekoration im Haus (Abb. 3), wurde es aber weder dort noch in dem „Wildboden“ als Türe eingebaut, sondern erstmals durch Lise Gujer 1942 in der Eingangshalle ihres Hauses „Gruoba“.
Nach dem Ableben Lise Gujers 1967 wurde die Türe sowie der gesamte Nachlass Gujers am 15. Juni 1968 bei Kornfeld & Klipstein in Bern unter dem Titel „Sammlung Lise Gujer“ versteigert. Kurz davor, was die Wichtigkeit dieses Kunstwerkes nochmals unterstreicht, wurden die beiden Türseiten als Relief in je 8 Exemplaren (7 davon nummeriert) von der Giesserei Pastori in Genf in Bronze gegossen. Es freut uns ausserordentlich, dass wir in dieser Auktion das erste dieser sieben gegossenen Exemplare anbieten dürfen. Zuvor noch nie auf dem Markt gewesen, handelt es sich um ein außergewöhnliches Stück, welches dank persönlicher Beziehung zu Lise Gujer direkt nach der Herstellung in die Familie der heutigen Besitzer überging. Diese liessen - ganz im Sinne Kirchners - die beiden Reliefs direkt bei Pastori zu einer Türe zusammenfügen. Die wunderbare Arbeit Kirchners kann man an der Bronzetüre deutlich erkennen, ist doch die exakte Struktur des Holzes sowie jede einzelne Furche der Schnitzerei zu sehen.
Die Original-Holztüre befindet sich heute als private Leihgabe in der Staatlichen Kunstsammlung in Kassel. Die restlichen Bronzeabgüsse befinden sich unter anderem im Kunstmuseum Chur, im Kunsthaus Zürich und als Eigentum der Stadt Davos als Wandschmuck am Davoser Kongresshaus.
 |  |  |  Veranstaltungshinweise: Am 29.06.2018 Auktion A185: Impressionismus & Klassische Moderne |  | | Schätzpreis: 250.000 - 450.000 SFR
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