Losnummer: 1129
Ausstellung:
Michaelina. Baroque’s Leading Lady. Museum aan de Stroom, Antwerpen 01.06.- 02.09.2018. Im Ausst.Kat. Nr. 21.
Literatur:
Van der Stighelen, Katlijne: Michaelina Wautier 1604-1689. Glorifying a Forgotten Talent, Antwerpen 2018, S. 250ff mit Abb.
Provenienz:
- Auktion Phillips, London 24.06.1980, Lot 55 (als D. Ryckaert);
- Auktion Sotheby’s, London, 03.06.1981, Lot 87 (als Sweerts);
- Sammlung Sir Humhrey Wakefield & Partners, Ltd, London;
- Auktion Sotheby’s, New York, 30.01.2014 (als Umkreis Michael Sweerts);
- Sammlung Bijl-Van Urk, Alkmar, seit 2015.
Bereits im Frühjahr durften wir ein bislang unentdecktes Werk der Künstlerin Michaelina Wautier versteigern. Eine Künstlerin, die ebenso wie ihr Werk „Elk zijn meug“ aus dem Verborgenen herausgeholt und ans Licht gebracht wurde. “Michaelina. Baroque’s Leading Lady“ - unter diesem Titel widmete das Rubenshaus in Antwerpen in Zusammenarbeit mit dem MAS diesem bisher wenig erforschten weiblichen Ausnahmetalent des 17. Jahrhunderts im Sommer dieses Jahres die erste Einzelausstellung. Direkt von den Ausstellungsräumen des MAS kommt nun ein weiteres Werk in unserem Haus zum Aufruf. Michaelina Wautier zählt zu den Alten Meisterinnen der niederländischen Barockmalerei. Eine Nische, die nur ganze wenige Namen wie Clara Peters, Judith Leyster, Rachel Ruysch oder Maria von Oosterwijck bedienen können, denn zählen für gewöhnlich zu den großen Künstlern dieser Zeit nur Herren. Michaelina Wautier schaffte es jedoch bereits zu Lebzeiten, ihre Werke auf dem Kunstmarkt zu etablieren und so auch in der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm von Österreich vertreten zu sein. Nach ihrem Tod geriet der Name Wautier in Vergessenheit und trat erst in den letzten Jahren an Licht – erfolgreicher als je zuvor.
Das erstaunliche Talent der Künstlerin ist an dem hier vorliegenden kleinen Genrestück erneut erkennbar. Ein Knabe sitzt an einem Tisch - auf dem auf einem Holzbrett ein Messer, eine Tonpfeife und etwas Tabak liegen. Mit der Rechten führt der Junge den Tabak zur Nase, um daran zu riechen. Seine Augen sind dabei halb geschlossen, der Blick und der Kopf nach unten geneigt. Er scheint sich ganz auf den Geruch zu konzentrieren. Auch die Stofflichkeit kommt in diesem Werk zur Geltung. So sind hier der weiße Kragen, das braune Wams mit kleinen Knöpfen und Knopflöchern sowie die Ärmel mit Schlitzen durch die Abwechslung zwischen feinen und groben Pinselstrichen raffiniert in Szene gesetzt, durch die tabakbraunen Töne aber zugleich zurückhaltend gelungen.
Wautiers Oeuvre besteht aus mindestens 28 Werken, die viele Themen der Malerei abdecken. So finden sich unter den Gemälden Stillleben, Genreszenen, Historien und Porträts. Ein favorisiertes Thema scheinen jedoch junge Männer zu sein, meist einer oder zwei, der eine mit blond-rötlichem, der andere mit dunklem Haar. Beide Figuren sind ein wiederkehrendes Motiv in verschiedenen Darstellungen der Künstlerin. Diese Werke sind keine Porträts, doch sind sie zweifellos aus dem Leben gemalt. Obwohl Michaelina fast jedes Genre beherrschte, zeigen ihre porträthaften Genrestücke wie beispielsweise „Knabe mit Tabak“, „Elk zijn meug“ und „Die Seifenbläser“ eine Beobachtungsgenauigkeit und Frische in der Darstellung, die an große Namen wie Johannes Vermeer oder Michael Sweerts erinnert.
Welche Bedeutung haben die immer wiederkehrenden Jungen in den Werken von Wautier? Über das Leben der Künstlerin ist nicht viel bekannt. Es wird vermutet, dass sie ihr Leben lang unverheiratet blieb und somit auch keine ehelichen Kinder hatte, sodass es sich bei den beiden oft abgebildeten Knaben wohl nicht um ihre Söhne handelt. Doch nicht zu bestreiten ist, dass, betrachtet man Michaelinas Oeuvre, man den beiden Jungen beinahe beim Erwachsenwerden zusehen kann. Sie werden in ihren Werken älter, womit sich auch nicht datierte Werke zeitlich besser einordnen lassen. Unser dunkelhaariger „Knabe mit Tabak“ kehrt bei „Elk zijn meug“ wieder. Auf diesem Gemälde sind beide noch recht jung, etwa 9 oder 10 Jahre alt – der Knabe mit Tabak vermutlich noch ein oder zwei Jahre jünger. Einige Jahre später muss das Werk „Die Seifenbläser“ entstanden sein – hier sind wieder beide Jungen zu sehen - dieses Mal im jugendlichen Alter, also eindeutig älter als der „Knabe mit Tabak“ oder „Elk zijn meug“.
Die Physiognomie der beiden Jungen wiederholt sich im gesamten Oeuvre der Künstlerin. Man kann nach heutigem Forschungsstand nicht genau sagen, wer diese, für Michaelina so bedeutenden Kinder sind. Doch spricht die Intimität der Darstellungen, die gemalte Entwicklung der Jungen von Kindern zu Jugendlichen sowie die in den Werken erkennbare, liebevolle Zuneigung deutlich dafür, dass beide sich im nächsten Umfeld der Künstlerin befanden, wenn nicht sogar ein Teil der Wautier-Familie waren. Es bleibt ein Rätsel – doch ist es eines, welches den Betrachter fesselt und den Werken von Michaelina Wautier eine neue Bedeutung verleiht, die es noch zu entschlüsseln gilt.
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