Seit jeher gilt das Auge als das geheimnisvollste und ausdruckstärkste Sinnesorgan des Men-schen, oft auch als Spiegel der Seele bezeichnet. Die Augen von Melanie Wiora bilden zugleich Format und Motiv in der Fotoserie "Eyescapes", sie werden von der Künstlerin in den Bildraum umgewidmet, auf den die eigene Außenwahrnehmung im Moment des Sehens projiziert wird. Die Wimpern dringen gleich Speerspitzen von oben in das Foto, Pupille und Iris bilden den Untergrund der gespiegelten Landschaften, jedoch bleiben die Naturdarstellungen und Gebäude immer in der Unschärfe. Harte Konturen werden mittels digitaler Nachbearbeitung durch die Künstlerin "weichgezeichnet", natürliche Elemente wie Wolken, Flüsse und Berge werden zu malerischen Farbstrukturen, was die Wahrnehmung der realen Außenwelt mit einer eher subjektiven Innensicht verbindet und den Betrachter zu eigenen Assoziationen herausfordert. Beispielhaft hierfür ist das Foto "Wasserfall". Aus einem hellen klaren Himmel herabstürzend, durchbricht der Wasserfall die Pupille und strömt in die Iris. Intensives Blau verschmilzt mit dem unergründlichen Schwarz des Hintergrunds. Eine wildromantische Landschaft entsteht, die die Fotografie in ein malerisches Werk verwandelt. Ebenso in dem Foto "Bach": hier ist in der Horizontlinie ein Bergrücken mehr angedeutet als klar zu erkennen, aus dem sich ein Bach in den Bildvordergrund ergießt, der das Dunkel der Iris überlagert und fast zum Verschwinden bringt. Das Auge selbst wird Teil der Landschaft.
Naturphänomene sind das prägende Thema der neuesten Fotoserie "Natura" von Melanie Wiora. Dabei sind es vor allem die Urgewalten der Ozeane, die sie in den Vordergrund rückt. Es ist die Natur als archaische, wilde und unbeherrbare Kraft, die von ihr als Gegenentwurf zu unserer hochtechnisierten Lebenswirklichkeit wieder in unser Bewusstsein geholt wird. Die Natur wird jedoch nur mit technischen Mitteln (unseren Mitteln) abgebildet, dabei zeigt Wiora in jedem Bild die Wucht, Gewalt, aber auch Harmonie der Natur, der wir als Menschen mal erstaunt, ergriffen oder auch ratlos gegenüber stehen. In ihren Fotos zeigt sich kein strahlend blauer Himmel, der einen klaren Kontrast bilden könnte oder eine eindeutige Stimmung evoziert, sondern der Horizont ist meist wolkenverhangen, kühle Töne bestimmen die Farbpalette. Im Bildvordergrund der Fotoarbeit "Natura I" z.B. erkennt man Wellen, die im Rhythmus der Gezeiten ruhig an einen Strand schlagen, während dahinter in der rechten Bildhälfte eine Wasserfontäne explosionsartig in die Höhe schießt gleich einer Detonation. Häufig sind Vordergrund und Hintergrund verrätselt, so auch in "Natura XI", die die Künstlerin bewusst einsetzt, um einer dokumentarischen Wahrnehung von Landschaften entgegenzuwirken. Es ist das Gleichzeitige des Ungleichzeitigen, die Spannung zwischen steter Wiederkehr eines ewigen Rhythmus und brachialer Urgewalt der Meere, die Wiora ganz bewusst durch technische Verfremdungen erzeugt. So entstehen geheimnisvolle, durch Unschärfe verstärkte Bildmomente, die die Künstlerin der subjetiven Wahrnehmung des Betrachters übereignet. Alexander Hochreuther
Biographie
geb. 1969 in Waiblingen geboren, lebt und arbeitet in Köln
2001 - 2002 Aufbaustudium Medienkunst, Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, bei Prof. Ulay; 1997 Master of Creative Arts Programme, University of Wollongong, Studienaufenthalt in Sydney, Australien;1993 Eras-musstipendium: Studienaufenthalt, Ecole des Beaux Arts de St. Etienne, Frankreich; 1990 -1996 Studium an der Kunstakademie Karlsruhe, bei Prof. Stephan Balkenhol und Prof. Silvia Bächli
Stipendien und Preise: 2005/2006 DAAD-Stipendium, London, England; 2004 1. Preis, Digital New Art Award, "Plug Out" ; Stipendium Stiftung Künstlerdorf Schöppingen; 2003 DAAD-Stipendium, New York City, USA; 2002 2. Preis, Saar Ferngas Förderpreis "Junge Kunst 2002" etc.