 |  | Horst Makus: Französische Kunst-Keramik 1860-1920 | |
Die hochformatige Postkarte zeigt ein zweistöckiges Industriegebäude. Davor stehen im Hof einige Männer, auch in den Fensteröffnungen sind undeutlich Personen zu erkennen. Ein dazugehöriger Text gibt an, dass es sich um das Atelier des französischen Töpfers Auguste Delaherche handelt. Durch diese auf der Postkarte zu sehenden Fenster der Fabrik Delaherche warf man nach dessen Tod am 27. August 1940 nahezu alle verbliebenen Töpferarbeiten, die man als wertlos erachtete. Damals ahnte man nicht, dass Liebhaber heute bereit sind, mehrere Tausend Euro für ein solches Objekt zu zahlen. Mit diesem dramatischen Ende einer großen Manufaktur, das den Wechsel der Moden und Geschmäcker markiert, beginnt Horst Markus die Einführung in seinen opulenten Band „Französische Kunst-Keramik 1860-1920. Ein Handbuch“.
Der 1934 in Frankfurt am Main geborene Horst Markus ist Spezialist für künstlerische Keramik. Seit 1981 publiziert er neben seinem Beruf als Psychologe sowohl Artikel in Fachzeitschriften als auch eigene Fachbücher zur Keramik des Jugendstils und der Fabrik- und Manufakturware der 1950er Jahre. Mit seinem jüngsten Handbuch, das 2015 im Tübinger Ernst Wasmuth Verlag erschienen ist, gelingt ihm eine Zusammenfassung der über Jahrzehnte gesammelten Informationen in einer umfassenden und ergiebigen Publikation. Der einleitende Überblick beginnt mit der bereits beschriebenen Szene, ehe er auf dem Zeitstrahl zurückspringt. Kurz und knapp schildert Markus die Entwicklungen in Frankreich, die mit der imitierenden Wiederholung der manieristischen Trompe-l’œil-Keramik des Bernard Palissy begannen.
Rasch kamen internationale Einflüsse hinzu, die die Künstler zu ihren eigenen Ideen verarbeiteten. Eine besondere Rolle spielten hierbei die seit 1851 stattfindenden Weltausstellungen, die bis 1900 fünf Mal in Paris, dem damaligen Kunstzentrum Europas veranstaltet wurden. Vor allem die Keramik Chinas und Japans mit ihren monochromen Glasuren inspirierte die Franzosen. Es folgten zahlreiche Experimente, die für das Schaffen der Epoche charakteristisch werden sollten. Man variierte bei der Zusammensetzung der keramischen Massen, bei den chemischen Rezepturen der Glasuren sowie bei den Temperaturen und Atmosphären beim Brand. Diese besondere Experimentierfreude zeigt, dass die französische Keramik gegenüber anderen Ländern sowohl einen technischen als auch künstlerischen Vorsprung besaß.
Der eigentliche Hauptteil des Handbuches enthält über 550 alphabetisch geordnete biografische und werkgeschichtliche Beiträge zu einzelnen Keramikern, ihren Mitarbeitern, den entwerfenden und ausführenden Malern und Bildhauern. Hinzu kommt die Dokumentation der Historie von Werkstätten, Manufakturen und Fabriken sowie Angaben zu Galerien, Handelshäusern, Ausstellungen und Salons. Dabei bedenkt Markus nicht nur die geläufigen sondern auch die abgelegenen Persönlichkeiten, wodurch es ihm gelingt, bislang unbekannte Informationen und neue Ergebnisse zu präsentieren. Genannt seien hier die Auflösung des Pseudonyms Henry-Léon Robalbhen, die vollständige Geschichte des Atelier de Glatigny und die genauen Lebensdaten des Keramikers und Glaskünstlers Amédée de Caranza. Unter die biografischen Beiträge mischen sich rund 100 Erläuterungen der wichtigsten Fachbegriffe, die durchweg leicht verständlich sind. Über 1200 farbige Abbildungen ergänzen das außerordentlich detailreiche Verzeichnis. Es handelt sich dabei um prachtvolle Aufnahmen der einzelnen Objekte, aber auch um historische Fotos, die einen einzigartigen Einblick in die Zeit geben können. Ein Großteil der Objekte aus öffentlichen und privaten Sammlungen veröffentlicht Markus in diesem Band zum ersten Mal.
An den akribisch recherchierten Hauptteil reihen sich ein Modellverzeichnis der 1909 unter dem Namen „Denbac“ gegründeten Firma Denert & Balichon, ein Katalog von Pierrefonds sowie eine Zusammenstellung verschiedener Marken und Signaturen. Bibliografische Angaben und ein Namensregister runden das Werk ab. Als eine Zusammenfassung des bisherigen Wissenstandes über die Kunst-Keramik Frankreichs zwischen 1860 und 1920 wendet sich diese Publikation an alle, die sich für die angewandte Kunst und insbesondere für die künstlerische Keramik aus dem Historismus und dem Jugendstil interessieren. Das umfangreiche alphabetische Verzeichnis macht die Publikation zu einem Nachschlagewerk für Wissenschaftler und gleichzeitig zu einem Hilfsmittel für Sammler und Liebhaber, die Dank der Kataloge samt Modellnummern eine zeitliche Einordnung der Objekte ermöglicht.
Horst Makus: Französische Kunst-Keramik 1860-1920. Ein Handbuch
Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen, 2015
584 Seiten mit circa 1200 farbigen Abbildungen, Hardcover mit Frenchfold-Umschlag, Preis 128 Euro |