„Es ist alles ein Traum“, sagt Jonathan Meese, 35, strahlend, während er wohl zum hundertsten Mal kryptische Worte in einen Katalog kritzelt, den ihm ein glücklicher Ausstellungsbesucher hinhält. Die Schlange der Autogrammjäger in seiner Heimatstadt Ahrensburg erinnert an Szenen in Fußballstadien oder Rockarenen. Jonathan Meese, der zur Zeit omnipräsente Totalkünstler im Jesus-Look mit der wallenden dunkelbraunen Mähne und der unvermeidlichen schwarzen Adidasjacke als Markenzeichen ist der Robbie Williams des Kunstbetriebs. Neunjährige Jungen drucksen sich in seiner Nähe herum und verlangen schüchtern von dem Pinselberserker „Eine Unterschrift bitte“, als stünden sie vor Michael Ballack oder einem der Schumacher-Brüder.
Doch nicht nur Papier, auch Jonathan Meese ist geduldig. „Ritter Johnny“ hat bei seiner Eröffnung für jeden in Ahrensburg ein freundliches Wort. Der berühmte Sohn der Stadt, geboren in Tokio, aufgewachsen aber im schleswig-holsteinischen Kreis Stormarn, plaudert mit ehemaligen Lehrern, Mitschülern und Nachbarn, lobt die Stormarnschule als „schönste Schule der Welt“ und erzählt zwischendurch dem Reporter vom Lokalfernsehen, dass Humor der Schlüssel zum Überleben im Kunstbetrieb und letztlich alles nur ein Spiel sei. „Es ist alles ein hermetisches System. Das muss man begreifen“, erklärt Meese stirnrunzelnd und mit funkelnden Augen. Seine Fans schmunzeln etwas verunsichert und fragen den Künstlerstar dann doch lieber schnell nach seiner E-Mail-Adresse.
Jonathan Meeses triumphale Rückkehr in die 30.000-Einwohnerstadt Ahrensburg nordöstlich von Hamburg mit einer Ausstellung im frisch restaurierten Marstall des Schlosses wurde im Spätsommer 2005 eingeleitet. Im Gespräch mit dem Förderverein des Kulturzentrums Marstall entwickelte der rauschartig produzierende Künstlerstar das Konzept, das historische Gebäude in eine typische Meese-Welt zu verwandeln. Die Idee zur Ausstellung „Ritter Johnny“ in Ahrensburg war geboren. Historische Bezüge, ländliches Lokalkolorit, ein wenig Erntedank-Look und biografische Erinnerungsfetzen kennzeichnen die Meese-Schau in seinem Heimatort.
Zwei mit vielen Fundstücken angereicherte Installationen bilden den Auftakt in typischer Meese-Manier. Rechts ein alter Straßenkehrerwagen, links „Heidegger’s Trog“ mit alten Ackergeräten, gedrechselten Tischbeinen und einem Kinderstuhl, auf dem ein aufgeklapptes Zigarrenkästchen mit der Aufschrift „Le Tour du Monde“ steht. Einmal in die Welt hinaus und dann „back to the roots“. Die Wonnen des Provinzlebens – offenbar ein Trend im deutschen Kulturbetrieb. Die Band „Element of Crime“ besang erst jüngst die Vorzüge von Delmenhorst, und Florian Illies schildert in seinem neuen Bestseller „Ortsgespräch“ seine eher unspektakuläre Normalo-Kindheit im nordhessischen Schlitz.
Doch zurück nach Ahrensburg: Überall prangen wie in jeder Meese-Schau die typischen Meese-Sprüche, die permanent aus ihm heraussprudeln, egal ob mit oder ohne Stichwortgeber: „Kunst ist Ihr Orakeltum“, „Kunst ist Erzradikalität“ oder „Übe Demut“. Auf goldenes und silbergraues Tonpapier hat der berühmteste Sohn der Stadt jeweils zwei Selbstporträts geklebt, eine weiße Welle gemalt und eine Assoziation zu seiner Heimatstadt geschrieben. Da steht dann „Getreideahrensburg“, „Milchahrensburg“, „Naturahrensburg“ oder „Wahnahrensburg“. Eines der schnell produzierten, wilden Meese-Gemälde lässt eine Ahnung vom einstmals schüchternen Teenager Jonathan aufkommen. Es zeigt eine attraktive Frauengestalt und ist mit den Schriftzügen „Fräulein Meese in Ahrensburg“ und „Shy Lovey“ versehen.
Ahrensburg bedeutet für den eigentlich in Berlin wirkenden Meese so etwas wie eine Insel der Ruhe. Hier lebt seine innig geliebte Mutter, die nicht nur seine Finanzen regelt, sondern vor allem dem der Kunstwelt nahezu schutzlos ausgesetzten Bilderfinder Stabilität und Halt gibt. Mittlerweile ist Mutter Meese fast so berühmt wie ihr Sohn. Fotos von ihr integriert er in seine Installationen, und in den Hamburger Deichtorhallen trat sie sogar mit ihrem Sohn zusammen in einer Performance auf. Jonathan spricht offen über seine große Angst vor dem Tod der Mutter. Dann garantiert „Ritter Johnny“ für nichts. Lebenskrise, Psychiatrie, Selbstmord: Der Parallelkosmos Meese droht dann einzustürzen wie ein Kartenhaus. „Johnny be good“, möchte man ihm schon jetzt vorsorglich entgegenrufen.
Die Ausstellung „Jonathan Meese. Ritter Johnny“ ist noch bis zum 17. September zu sehen. Geöffnet ist Mittwoch bis Samstag von 14 bis 18 Uhr und am Sonntag von 11 bis 18 Uhr. Der 56seitige Katalog kostet 10 Euro.
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