Ein ausgetrocknetes Flussbett voller Kieselsteine mitten im Wald: Ein Mann mit Schutzbrille und Pelzmütze sitzt auf einem eleganten Bürostuhl mit schwarzem Lederpolster. Er trägt dicke, rote Arbeitshandschuhe, und in seinen Händen hält er zwei brennende Feuerwerkskörper, aus denen die Funken gleich mehrere Meter weit sprühen. Über der Szene liegt dichter Qualm. Zur Nachahmung in der Silvesternacht nicht gerade zu empfehlen. Der 1938 in Appenzell geborene Schweizer Bildhauer und Aktionskünstler Roman Signer liebt Versuchsanordnungen dieser Art. Ein bisschen Nervenkitzel und Gefahr sind fast immer mit im Spiel, wenn Signer mit Feuerwerk, Dynamit, Zündschnüren oder anderen Explosivstoffen hantiert. Dass es ihm dabei aber „nie bloß um den Knall“ geht, sondern vielmehr darum, poetische und oft auch hintersinnige Skulpturen für den Augenblick und das Davor und Danach zu schaffen, übersehen viele Beobachter.
Allzu oft wird der sensible Schweizer mit Etiketten wie „Explosionskünstler“ oder „Ostschweizer Sprengmeister“ belegt. Das ärgert ihn dann regelmäßig. „Es reicht nicht, um der Sensation willen mit einem großen Knall etwas in die Luft zu jagen und zu meinen, das sei dann Kunst“, hat er einmal gesagt und gleich hinzugefügt: „Ich mache auch stille Arbeiten – bloß wird nie davon gesprochen“. Dass Ausstellungsmacher, Journalisten und das Kunstpublikum in ihm dennoch in erster Linie den Pyromanen mit den Dynamitstangen unterm Arm sehen, liegt an den spektakulären Aktionen, mit denen der Künstler seit mehr als 30 Jahren bekannt geworden ist.
Roman Signer hat schon so ziemlich alles durch und in die Luft fliegen lassen, was man sich vorstellen kann: Einen handelsüblichen Weihnachtsbaum baute er zur Ultrakurzstreckenrakete um. Ein mit Raketenantrieb präpariertes Rennrad hängte er an einem Drahtseil auf und jagte es dann durch eine leere Fabriketage. Und einen schwarzen Herrenhut katapultierte er mit gehöriger Sprengkraft vom Bürgersteig aus ans Fenster seines Ateliers im zweiten Stock – bloß um ihn dann in aller Seelenruhe aufzusetzen.
Und für die Finissage der Documenta 8 in Kassel 1987 hatte er sich eine ganz besondere „Ereignisskulptur“ ausgedacht: Signer platzierte auf dem Rasen vor der Orangerie exakt 350 Papierstapel mit jeweils 1000 Blatt weißem Schreibmaschinenpapier. Nachdem er die zur Explosion gebracht hatte, entstand für kurze Zeit eine 15 Meter hohe und 300 Meter lange Wolke aus Rauch und Papierfetzen. Was vorher an die wohldurchdachten, minimalistischen Skulpturen von Künstlerkollegen wie Sol LeWitt erinnerte, verwandelte er mit einem Knopfdruck zu einem chaotischen Durcheinander.
Die Dimension der Zeit und die Methode der Transformation spielen eine große Rolle im Werk Roman Signers. Sowohl bei seinen Live-Aktionen als auch in seinen Videos lässt er den Betrachter an der wechselvollen skulpturalen Qualität seiner präzise vorbereiteten Installationen teilhaben. Nicht nur der singuläre Moment der energiegeladenen Explosion ist ihm wichtig, sondern auch die Ordnung zuvor und das Ergebnis danach. Signer nimmt das Ganze in den Blick, den Prozess. Die uralte Kunst des Bildhauens will er zu einem „beträchtlichen Teil einer anonymen Kraft oder einem Ereignis überlassen“. Dabei geht es ihm ganz und gar nicht darum, unberechenbare und spektakuläre Beinahekatastrophen auszulösen. Sein bester Freund ist der sorgfältig kalkulierte Zufall – schließlich hat er das Hantieren mit Schwarzpulver und anderen Sprengstoffen ausgiebig gelernt. Signer besitzt ganz offiziell eine schweizerische „Sprengbefugnis Klasse B“.
Doch tatsächlich gibt es auch die ganz ruhigen, enorm poetischen Arbeiten. So legte er 1989 entlang der Bahnstrecke von St. Gallen nach Appenzell eine 20 Kilometer lange Zündschnur aus und ließ sie 35 Tage lang ganz gemächlich abbrennen. Und während der Skulptur.Projekte Münster 1997 erregte seine „Fontana di Piaggio“ die Sympathie des Publikums. Einen nostalgischen, dreirädrigen italienischen Kleintransporter baute er zu einer verblüffend einfachen, mobilen Brunnenskulptur um und schloss sie an insgesamt 14 wechselnden Plätzen in der Innenstadt an Hydranten an. Typisch Signer eigentlich: Mit den einfachsten Mitteln gelingen diesem Künstler die verblüffendsten Effekte und skurrilsten Umformungen ganz banaler Alltagsgegenstände. Das gefiel auch der hochkarätig besetzten internationalen Jury, die ihm jetzt den mit 10.000 Euro dotierten Aachener Kunstpreis 2006 zuerkannte.
Die Ausstellung „Ausstellung: Roman Signer - Kunstpreis Aachen 2006“ ist noch bis zum 25. Februar zu sehen. Das Ludwig Forum hat Dienstag bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Der Katalog „Roman Signer, Reisefotos“ erscheint im Christoph Merian-Verlag und kostet im Museum 12 Euro, im Buchhandel 22 Euro.
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