| | Jakob Philipp Hackert, Ideale Landschaft mit Tempelchen, 1789 | |
„Es ist beinahe nicht möglich, zu einem Grade der Vollkommenheit zu gelangen, wenn man diese Kunst der Landschaftsmahlerei nicht in ihrem ganzen Umfange studirt. ... Jetzt da ich 60 Jahr alt bin, fange ich erst an wahr zu sehen und die Natur richtig zu beurtheilen und nachzuahmen.“ Diese wenigen Sätzen, die Jakob Philipp Hackert 1797 in Italien niederlegte, formulieren gleichsam den Grundsatz seiner Kunst: Vielfältigkeit und Wahrheitstreue der Natur bildlich einzufangen. Die ganze Natur und die ganze Schönheit der vielseitigen italienischen Landschaften – auch die entlegenen Regionen abseits der Touristenroute – zu entdecken, war sein Ziel. In dieser mal wilden, mal idyllischen, mal ländlichen, mal städtischen Natur verbrachte der Künstler einen Großteil seines reich bewegten Lebens. Unverrichteter Dinge musste Karl Friedrich Schinkel während seiner Italienreise 1804 wieder aus Florenz abziehen: Herr Hackert war wieder mal für eine Woche aufs Land gefahren.
Dabei war dem Künstler der kometenhafte Aufstieg in die erste Reihe der deutschen Maler des 18ten Jahrhunderts und an die Spitze der Landschaftsmalerei durchaus nicht in die Wiege gelegt. Zwar wurde er 1737 in eine Künstlerfamilie hineingeboren, doch in der kargen Uckermark und an der heruntergekommenen Berliner Akademie, in die er 1758 eintrat, erwarb er seine Kenntnisse weitgehend autodidaktisch. Seinen Hang zur Landschaft konnte er nur mit Veduten der preußischen Hauptstadt befriedigen. Bereits 1765 verließ er seine Heimat und siedelte sich in Paris an. Seine Malerei wurde hier bald so populär, dass es ihm und seinem jüngeren Bruder Johann Gottlieb Hackert an Aufträgen nicht mangelte und es ihnen keine Mühe zu bereiten schien, von ihrer Kunst zu leben.
Doch auch Paris blieb nur eine Zwischenstation. „Ihre Studien der schönen Natur in Italiens reizenden Gegenden fortzusetzen und sich in Roms lehrreichem Aufenthalte völlig auszubilden“ – so schreibt Goethe später –, gingen sie 1768 nach Italien. „Rom übertrifft gänzlich meine Vorstellung“, schreibt Hackert im Januar des folgenden Jahres, doch was er meint, sind nicht primär die unermesslichen Kunstschätze der Stadt, sondern die Landschaft der Campagna, in die er nur gelegentlich die Reste der Antike oder die glorreiche Vergangenheit der Renaissance mit einfließen lässt.
Die in den kommenden Jahrzehnten entstandenen Landschaften begründen seinen Weltruhm. So „nachahmend“ sie nach Hackerts eigenem Bestreben auch sein mögen, so idyllisch, paradiesisch, ja unwirklich muten sie an in ihrer ausgewogenen, fast steifen Zusammenstellung. Ein kleiner, seichter Fluss strömt auf der rechten Seite eines Bildes von 1783, von Büschen und Bäumen gesäumt. Derweil die helle Sonne vom mattblauen Himmel herniederscheint, sammeln sich Menschen im Schatten eines Amortempels. Vorn sitzt ein Greis mit erhobener Hand und weist gleichnishaft einem jungen Paar den Weg.
Besonders gern weilte Jakob Philipp Hackert später im Englischen Garten von Caserta bei Neapel. In einem Gemälde von 1793 hielt er ihn fest. Hirten mit ihren Schafen, die fast wie Spielzeug wirken, lagern links und rechts auf einer glattgemähten Wiese, während der Blick in die dunstigen Weiten schweift. Am Ende, direkt in der Mitte dem Betrachter gegenüber ragt beinahe bedrohlich der Vesuv auf. Leise atmet er seinen Rauch in die Luft, der unbemerkt nach links verschwindet. Das Schloss stiehlt sich kaum sichtbar von der rechten Seite her ins Bild hinein. Große Bäume bilden den schützenden Rahmen dieser Idylle. Von der Wildheit eines englischen Parks mit verschlungenen Wegen und wild-romantischen Baumbestand ist auf diesem Bild nichts zu spüren. Alles hat seine Ordnung. Es ist vollendete Natur.
Als Hackert diese Inkunabel seiner Kunst schuf, war er bereits seit sieben Jahren Hofmaler in Neapel. Die Hochachtung ganzer Italienpilgergenerationen wurde ihm zuteil, er gehörte zu den meistgesuchten Künstlern seiner Zeit und bildete den Prototyp des sogenannten Deutschrömertums. Nicht zuletzt Goethe höchstpersönlich bekundete seine Wertschätzung des Malers und ersuchte ihn 1806 um eine „Selbstbiographie, so kurz oder umständlich, als es Ihnen belieben möchte“. Aus deren Fragmenten setzte er seinem Künstleridol 1811 ein kleines Denkmal, die „Biografische Skizze“. 1799 musste Hackert zusammen mit dem ganzen Hof vor den Truppen Napoleons fliehen. Auch das konnte ihn nicht aus der Bahn werfen. Er landete schließlich in Florenz und malte weiter in seinem Stil. Vor genau zweihundert Jahren, am 28. April 1807, starb Jakob Philipp Hackert in S. Piero di Careggi.
Der Maler gehört jedoch, so scheint es, zu jenen Opfern der Kunstgeschichtsschreibung, die mit allzu strengem Blick nur das anschaulich Qualitative von Werken bewertet und die Voraussetzungen vergisst, auf denen ein Künstler fußt. Bei Hackert waren sie bekanntlich nicht günstig. Dennoch wurde er fast zweihundert Jahre lang als belangloser „Ansichtenmaler“ geschmäht. Man ließ ihn nicht gelten, nachdem Genies der Romantik wie Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, die Nazarener und all die bedeutenden Meister des späten Klassizismus, Impressionismus, Expressionismus, Symbolismus und so fort mit ihren gehaltvollen und technisch brillanten Werken das Feld erobert hatten. Doch der Kunstmarkt behielt Recht und trägt sicher nicht geringen Anteil daran, dass des Meisters Œuvre heute noch so gut dokumentiert ist: Während die Wissenschaft leichthin über Hackert hinwegging, erfreute sich der Künstler unter Sammlern ungebrochener Beliebtheit und erzielt inzwischen sechsstellige Preise.
Nachdem Bruno Lohse 1936 zwar mit traditionellem kritischem Blick, aber gewissenhafter Systematik eine erste Aufstellung und Würdigung des Frühwerks vorgenommen und dafür auch zahlreiche wichtige Quellen erschlossen hatte, erfolgte die angemessene Aufarbeitung des „ganzen“ Hackert erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Grundlegend ist das zweibändige Werkverzeichnis, das Claudia Nordhoff und Hans Reimer 1994 im Berliner Akademieverlag vorlegten. Die Publikation gibt nicht nur eine biografische Skizze und wirft Detailfragen wie nach dem Verhältnis zu Goethe neu auf, sondern enthält vor allem ein sorgfältiges Verzeichnis aller bis dahin bekannten Gemälde und Zeichnungen nach den gängigen Regeln der Katalogisierung. Dies sind immerhin rund 1.300 Stück. Abbildungen in Schwarzweiß und bei besonders herausragenden Werken in Farbe ergänzen dieses reichhaltige und leicht benutzbare Kompendium.
Im selben Jahr erschien im Kölner Böhlau Verlag posthum ein Buch des 1992 verstorbenen Italienkenners Wolfgang Krönig, der – eigentlich aus der mittelalterlichen Architekturgeschichte kommend – sich während vieler Jahrzehnte seines langen Lebens intensiv mit Hackert und seinem Werk beschäftigt hatte. Bereits seit den 1960er Jahren veröffentlichte er in unregelmäßigen Abständen Aufsätze zu einzelnen Bildern oder Fragestellungen. Krönig versucht erstmals eine grundsätzliche Einteilung des Werkes Hackerts nach formalen Gesichtspunkten und klopft die Bildpaare und Bildzyklen hinsichtlich ihres Bezuges zueinander ab. Der zweite Teil des durchaus als Einheit zu sehenden, mit zahlreichen Farbtafeln ausgestatteten Buches wurde von Reinhard Wegner verfasst und liefert eine detaillierte Biografie des Meisters. Abschließend widmet sich Verena Krieger dem Thema „Hackert in der Kunstkritik“, wo sie eingehend der Frage nach der freilich nicht unumstrittenen Bewertung Hackerts zu Lebzeiten nachgeht, aber auch die karge wissenschaftliche Literatur der vergangenen zwei Jahrhunderte rekapituliert.
Angesichtes dieser geballten Hackertflut des Jahres 1994 muss die bisherige „Lebensleistung“ des 1963 geborenen Münchner Kunsthistorikers Thomas Weidner unglücklich erscheinen. Arbeitete doch auch er schon seit seinem Studium an einem Hackert-Werkverzeichnis. Nichtsdestominder ist seine 1995 vorgelegte und 1998 beim Deutschen Verlag für Kunstwissenschaft im Druck erschienene Dissertation ein wichtiger Beitrag zum Verständnis des Künstlers, weil hier detaillierter und umfassender als bei den anderen das Umfeld betrachtet wird und eine tiefergehende kunsthistorische Einordnung Hackerts erfolgt. Ein eigenes Kapitel ist in diesem Zusammenhang der Bedeutung Claude Lorrains gewidmet. Berücksichtigt und in einen größeren Zusammenhang gebracht werden darüber hinaus die wirtschaftlichen Aspekte seines Schaffens, beispielsweise in einem Vergleich mit Angelika Kauffmann, die wie Hackert Preislisten für ihre Werke in Umlauf brachte. Ein exorbitanter Anmerkungsapparat sowie ein umfangreicher Tafelteil auch mit Bildern anderer Künstler ergänzen den fortlaufenden Text.
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