 |  | Stiftung Arp Museum Bahnhof Rolandseck | |
„Der Träumer vermag häusergroße Eier tanzen zu lassen“. Manchmal werden eben doch visionäre Träume Realität. Die Reihe mittelalterlicher Burgen im Rheintal hat eine moderne Fortsetzung erfahren. Nicht häusergroße Eier, wie Hans Arp es 1955 formulierte, sondern eine Trias aus Bahnhof, Bergwerk und Burg sollen künftig in attraktiver Lage mit einzigartiger musealer Atmosphäre das Werk des großen Dadaisten dauerhaft zur Geltung bringen. In Verlängerung der Bonner Museumsmeile knapp hinter die Landesgrenze nach Rheinland-Pfalz wartet nun eine neue Attraktion, die in Minuten mit dem Zug erreichbar ist. Er hält auf dem Weg nach Koblenz mitten im Museum. Ein sehr teurer Zug. Wird sich die fragwürdige Marketingarchitektur im Stil der gläsern-weißen Ewigkeitsmoderne dauerhaft rentieren?
Seit seiner Inbetriebnahme 1856 bot der repräsentative klassizistische Bahnhof mit seinen flussseitig breit gelagerten Terrassen aus Gusseisen und prächtigen Blick auf die Stromlandschaft ein Treffpunkt für Prominenz aus Kunst, Politik und Gesellschaft. Heinrich Heine oder Friedrich Nietzsche lasen hier, Johannes Brahms, Clara Schumann oder Franz Liszt konzertierten in den prächtigen Sälen. Bis heute scheint der sagenumwobene Strom Künstler in ihrem Schaffen zu inspirieren, auch den 73jährigen Architekten Richard Meier, einen Amerikaner mit deutschen Vorfahren. Doch der Weg zu seinem neunten Bau in Deutschland zog sich über Jahrzehnte hin.
In den 1960er Jahren rettete der Kunstmäzen Johannes Wasmuth den Bahnhof vor dem Abriss, indem er ihn zum Kulturzentrum auserkor. Verstärkte Aufmerksamkeit bewirkte die Gründung der „Stiftung Hans Arp und Sophie Taeber-Arp e.V.“ im Jahr 1977, in deren Folge Teile des Künstlernachlasses im Bahnhof Rolandseck beheimatet wurden. 1990 stellt Richard Meier erste Entwürfe zu einem angrenzenden Museumsneubau vor, der fünf Jahre später von der Landesregierung zur Präsentation von Arps Werken beschlossen wird. Bis 2004 wird zunächst der Bahnhof denkmalgerecht restauriert und für museale Zwecke saniert, im selben Jahr der Grundstein für den Neubau auf den Rheinhöhen über dem Bahnhof gelegt.
Nach 17 Jahren Planungs- und Bauzeit kann Bundeskanzlerin Angela Merkel am 28. September das rund 3.000 Quadratmeter Nutzfläche bietende Ensemble einweihen. Von den 25,4 Millionen Euro für den Neubau stellt die Bundesrepublik 17,6 Millionen Euro im Rahmen der Bonn-Berlin-Ausgleichsförderung zur Verfügung; den Rest sowie die 7,4 Millionen Euro teure Altbausanierung zahlen die Rheinland-Pfälzer für das luxuriöse Vergnügen eines Museums mit Gleisanschluss samt professoralem Bahnhofsvorsteher! Wird bei den Schiffsreisenden die Neugier geweckt werden, was sich in dem großflächig lamellenverkleideten Haus mit starken Analogien zu einem technoiden Ventilatorkasten verbirgt, der den unteren Altbau erdrückt?
Nach wie vor liegt der Haupteingang in der unteren Eben des Bahnhofs. In verschiedenen Etappen, über eine Abfolge von Tunneln, Schächten sowie einem Pavillon, der das Erwartungsgefühl steigern soll, gelangt der Besucher in den Neubau. Nach der unmerklichen Bahnunterquerung führen Aufzüge den Gast in einem Schacht empor, der über eine Glasschürze viel Helligkeit hereinlässt. Soweit der vorgebaute Aufzugturm oder die wie ein Vorhang vor dem Haus die Sicht verschleiernden Bäume es zulassen, entfaltet sich vor dem Kunstinteressierten von den Terrassen das gewaltige Rheinpanorama mit Inseln, Ortschaften, Hügeln. Fast bekommt man den Eindruck, die Kunst sei zweitrangig.
Auch im Inneren dominiert dank großflächiger Verglasungen das Tageslicht derart stark, dass beispielsweise das Lichtdach des obersten Geschosses zum Schutz der Exponate abgedeckt werden musste. Die Konzeption selbst lehnt sich an den gängigen Duktus Richard Meiers an: Das geometrische Vokabular des rechten Winkels herrscht vor, simpel und raffiniert kombiniert zu gleichermaßen eleganten, funktionalen Variationen in fragmentarischer Anwendung im Rahmen eines Rastersystems. Durchschneidende Spaltungen durchbrechen die Struktur von weißen Wandscheiben und Glaszonen, die die immer wieder andere Inszenierung und Kombination des begrenzten Vokabulars strukturieren.
Als Raumfüller wählte der „Gründungsdirektor“, der 77jährige Professor Klaus Gallwitz, Werke von sieben Künstlern beziehungsweise Künstlerpaaren aus. Ganz oben angesiedelt im Neubau ist Hans Arp (1886-1966). Unter der Überschrift „Die Natur der Dinge“ versammeln sich 93 Collagen, Zeichnungen, Plastiken aus Holz, Gips und Bronze. Sie stammen aus dem 404 Stücke großen Fundes im Landesbesitz, internationalen Leihgaben und jenen vom Arp-Verein. In einer organisch-abstrakten Formensprache orientieren sie sich an naturgegebenen Entstehungs- und Wandlungsprozessen. Arp möchte nicht abbilden oder abstrahieren, sondern selbst bilden, weshalb er seine Kunst stets als konkret bezeichnet. Der Mitbegründer der 1916 ins Leben gerufenen Dada-Protestbewegung gegen Krieg, Willkür und herrschenden Normen legte mit seinem Aufbruch in die Moderne die Grundlagen nicht nur der Fluxusbewegung. Auch Happenings oder heutige Performances wurzeln hier. Sämtliche Arbeiten eines humorvollen und zeitkritischen Geists vereinen sich hier ideal mit der umgebenen Natur in einem transparenten Bau der fließenden Übergänge.
Unter dem Aspekt der Verbindung von Lokalität, persönlicher Biografie sowie Korrespondenzen zu Arps Kunst war Gallwitz nach eigenen Angaben bestrebt, die Eröffnungsschau zu inszenieren – die ganzen Exaltiertheiten über Geld, Gerichte, Gussrechte und dergleichen nun einmal außen vorlassend. Durch alle Räume ziehen sich Möbel von Yvonne Fehling (geb. 1972) und Jennie Peiz (geb. 1976). Ihre „Stuhlhockerbänke“ sind organische Verschmelzungen von Stühlen, Hockern und Bänken, die auf Entwürfen des „Amtes für Schönheit“ im Dritten Reich basieren, was ausgesprochen merkwürdige, ja befremdende Bezugnahmen zu Arps organischen Strukturen impliziert. Die Möbel sollen ebenfalls ständig weiter ausgestellt bleiben wie die Lichtspirale von Barbara Trautmann (geb. 1966) in der Tunnelröhre, eine 18 Meter lange, eigens für den Ort geschaffene Schraubenlinie aus 90 Neonringen. Ihr Name „Kaa“ basiert auf der Schlange in Rudyard Kiplings Dschungelbuch!
„Constellation“ nennt der 1941 in Dublin geborene Michael Craig-Martin seine Installation in der Lichtwand im Verbindungstunnel, eine Leihgabe der Sparkasse Ahrweiler. Sie besteht aus einer schwarzweißen Tapete mit dazugehörigen farbigen Gemälden. Die gesamte Eingangsetage des Neubaus samt Foyer zu den Verwaltungsräumen im Erdgeschoss nehmen Anselm Kiefers zwölf großformatige, auf Leinwand aufgezogene Holzschnitte mit voller Vehemenz und Geschichtslastigkeit in Beschlag. Das historische Panorama reicht von der Hermannsschlacht bis zur Maginotlinie des 20ten Jahrhunderts, ergänzt durch Einzeldrucke, Künstlerbücher sowie die 13 Bleibetten „Die Frauen der Revolution“ als französisches Gegenstück zu den deutschen Helden ein. Wie Arp ist der 1945 in Donaueschingen geborene Künstler schon seit langem in Frankreich beheimatet und zeigt in seinen Werken die Verbindung von Geschichte und Mythen beider Länder.
In den Pavillon zwischen den Hauptbauteilen unmittelbar parallel neben den Bahngleisen verpflanzte der Bildhauer Johannes Brus sein Atelier, das normalerweise in einem ehemaligen Essener Wasserwerk der Firma Krupp untergebracht ist. Brus installierte seine Werkstatt als eine Art Arche Noah, pogrammatisch unter dem Titel „Der ganze Eisberg“. Dem Künstler geht es dabei um eine Manifestation der Bildhauerei und Hommage an den Patron Hans Arp.
Der alte Bahnhofsbau, in dessen historischen Räumen auch weiterhin Literatur und Musik feste Pogrammbestandteile sein werden, versammelt nun auf der alten Eingangsetage erstmals das nach 1984 entstandene zeichnerische Werk sowie Skulpturen von Anton Henning (geb. 1964) in einem dichten Überblick. Henning gestaltete auch das Bistro im obersten Geschoss neben den Festsälen. Alle Ausstellungen vereinigen Bildhauerateliers, Naturformen, Mythen, Linien, Zitate, Poesie, Licht, Ironie und Alltag zu Wechselgesprächen. Das vielstimmige, kontrapunktische Sammelsurium schufen Künstler, die 90 Jahre in ihren Lebensdaten auseinander liegen.
Was nach der Besichtigung beim Besucher haften bleibt, ist der Eindruck eines bizarren Zwitters aus Bauhaus und Burg, vereint mit fragwürdigen Gegenständen aus Romantik, Dada, Surrealismus, Imitation. Dies alles mischt sich auf seltsame Weise in einer neuen Gralsburg der Kunst, auf dessen künftige Reputation man gespannt sein darf.
Die Eröffnungsausstellungen der Künstler Hans Arp, Michael Craig-Martin und Anton Henning sind noch bis zum 30. März 2008, die der anderen Künstler bis zum 28. September 2008 zu besichtigen. Geöffnet ist täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr. Der Eintritt beträgt 8, ermäßigt 5 Euro. Zu allen Ausstellungen sind Einzelkataloge erschienen.
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