Hans Michaelson bei Irene Lehr in BerlinEine echte Ausgrabung hat die Berliner Kunsthändlerin und Galeristin Irene Lehr derzeit zu bieten: Hans Michaelson. Der Maler wirkte im Wesentlichen im ersten Drittel des 20ten Jahrhunderts, geriet aber vor allem wegen des Schicksals seiner späten Jahre hierzulande in Vergessenheit. Geboren 1872 in Hettstedt bei Halle an der Saale als Sohn jüdischer Kaufleute, studierte er in den 1890er Jahren zunächst bei Ludwig Schmid-Reutte in Leipzig und anschließend bis 1909 an der Berliner Akademie vornehmlich bei Friedrich Kallmorgen. Seit 1912 bis 1930 nahm er regelmäßig an den Ausstellungen „Juryfreie Kunstschau Berlin“ teil, 1914 war er zusammen mit August Gaul und Benno Berneis sogar im renommierten Kunstsalon Paul Cassirers zu bewundern. 1916 und 1917 folgten Beteiligungen an drei Ausstellungen der Berliner Secession.
Als Michaelson also in den 1910er Jahren, schon um die vierzig Jahre alt, seine ersten öffentlichkeitswirksamen Arbeiten schuf, hatten längst neue künstlerische Strömungen die Maler erfasst. Vom Realismus seiner Lehrer ist in seinen Bildern daher nichts zu spüren. Eher sind es die Straßen- und Varietészenen der Expressionisten, die schillernde Farbigkeit der Fauves um Henri Matisse, der Neoimpressionismus eines Camille Pissarro, aber auch die besonderen Eigenheiten eines Edvard Munch und vor allem eines Vincent van Gogh, die sich in Michaelsons Malerei geltend machen. Dennoch blieb sein Stil zurückhaltend im Ausdruck, das pathetisch Schreiende der „Brücke“ oder das dämonisch Dräuende eines Munch waren ihm fremd. Er übertrag, was er sah, mit der nüchternden Präzision des stillen Beobachters.
Zum Eingang in die erste Reihe der Künstler seiner Zeit reichte es – vielleicht gerade wegen dieser Unauffälligkeit und Unaufdringlichkeit der Themen und der künstlerischen Mittel – schon zu Lebzeiten nicht. 1927 war er Mitbegründer der Künstlergruppe „Die Sieben“. Doch alle anderen sechs Malerkollegen teilen sein Schicksal: Oscar Oehme, Paterpaul Pilarski, Paul Speer, Else Wiegandt, Willi Maillard und Fritz Steinert kennt heute kaum ein Mensch. Wie viele andere Künstler war Michaelson seit der Machterschleichung der Nationalsozialisten in Deutschland dann endgültig abgeschrieben.
Dass vom „entarteten“ Künstler 1937 nur ein Bild beschlagnahmt wurde, zeigt jedoch, dass er in öffentlichen Sammlungen so gut wie nicht vertreten war. Der Maler ist dagegen noch heute dort angesehen, wo man es kaum vermutet: In Ecuador, wohin er 1939 flüchtete. An der Kunstschule „Juan José Plaza“ von Guayaquil unterrichtet er einige Jahre und führt den Expressionismus dort ein. 1954 stirbt Hans Michaelson im Alter von 82 Jahren in der südamerikanischen Ferne. Dreißig Ölgemälde aus den Jahren 1912 bis 1914 hat die Galerie Irene Lehr jetzt in ihren Ausstellungsräumen zu bieten. Hoffen wir für das Geschäft und den Ruf des Malers, dass aus der Ausgrabung keine Umbettung wird.
Die Ausstellung „Hans Michaelson 1872-1954“ läuft bis zum 28. März. Geöffnet ist Montag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung.
Galerie Irene Lehr
Sybelstraße 68
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