 |  | Heinrich Hoerle, Kölner Zeitgenossen, 1932 | |
Eine Fülle von Künstlergruppen durchzieht die Kunstgeschichte. Viele von ihnen konnten sich aus verschiedenen Gründen nur in einem geografisch begrenzten Wirkungskreis entfalten. Entsprechend bescheiden nimmt sich heute die überregionale Reputation aus. Dass diese Begebenheit jedoch keinesfalls gleichzusetzen ist mit einer Präjudiz für bescheidenere Befähigung oder Innovation, dafür geben die Werke der Kölner Progressiven eine sprichwörtlich leuchtende Darlegung. Das Kölner Museum Ludwig ruft mit einer sinnlichen Ausstellung die enorme künstlerische Kraftentfaltung der Zwischenkriegszeit vor Ort in Erinnerung. Vorgestellt werden mit 138 Ölgemälden, Linol- und Holzschnitten, Druckstöcken, Zeichnungen und Aquarellen die drei führenden Mitglieder der „Gruppe progressiver Künstler“, bezeichnet auch als „kölner progressive“: Franz Wilhelm Seiwert (1894-1933), Heinrich Hoerle (1895-1936) und Gerd Arntz (1900-1988).
Die drei Künstlerfreunde fungieren als führende Köpfe dieses Anfang der 1920er Jahre etablierten losen Zirkels, der ein neues wie eigenständiges Modell für die Vereinigung von Kunst und radikaler Politik sein will. Die imponierend klare Sprache ihrer Arbeiten nimmt den Besucher im Kölner Museum sofort in Beschlag, ohne jedoch in triviale Werbespots zu verfallen. Künstlerisch herausragender Exponent und theoretischer Vordenker ist Franz Wilhelm Seiwert. Er wie auch seine Mitstreiter sind Kriegsgegner, die als entschiedene Anhänger des Marxismus gelten. Die Beendigung von Ungleichheit und Gewalt oder die Abschaffung des Eigentums gehören zu ihren Vorstellungen einer idealen Gesellschaft. Die Kölner Progressiven wollen ähnlich wie die russischen Konstruktivisten politisches Bekenntnis mit künstlerischem Pogramm verschmelzen. Zu den Dreien gesellten sich noch weitere Mitglieder, unter anderem Otto Freundlich, Hans Schmitz, Stanislaw Kubicki, August Sander, Augustin Tschinkel oder Peter Alma.
Die künstlerischen Lösungen der Kölner Progressiven unterscheiden sich grundsätzlich von denen, die Dada oder die Gesellschaftskritik der Neuen Sachlichkeit verfolgen; deren Malweise stehen sie sehr skeptisch gegenüber. Dagegen zeigen sie sich offen für Impulse aus Holland, Frankreich oder der Sowjetunion, was Kontakte zur der De Stijl-Bewegung, Vertretern des Kubismus oder der russischen Avantgarde belegen. Die Progressiven suchen nach einer neuen formalen Sprache in einer Kunst, die keineswegs bloß Parteiprogramme illustriert. Seiwert formuliert als Hauptintention die Botschaft, ein Kunstwerk mit seiner Herstellungsmethode zu einer Synthese zu vereinen.
Trotz des zunehmenden künstlerischen und politischen Potentials der Fotografie während der Zwischenkriegeszeit bleiben die Progressiven den traditionellen Medien Ölmalerei und Holzschnitt treu. Zu allererst sollen strenge Kompositionen den Betrachter an den Klassenkampf heranführen. Die aktive Beziehung zum ihm wollen Seiwert, Hoerle und Arntz über die Vermittlung eines Gefühls für Handwerklichkeit und Arbeit durch einprägsam dicke Farbaufträge, sorgfältige Bearbeitung von Holzstöcken und Unmittelbarkeit des Dargestellten herstellen. Rückgriffe auf sentimentalisierende Formen und Zufälligkeiten lehnen sie ab. Form und Inhalt gehen ineinander auf mittels Reduzierung Einzelner auf Typen, die für bestimmte Situationen und Klassen stehen. Ins Auge fallen bei Seiwert die flächig aufgetragenen, kräftigen Farben der stark strukturierten Gemälde. In seinem frühen, 1920 entstandenen Gemälde „Kopf“, einem Selbstporträt, zeichnen sich diese Merkmale schon ab: 13 verschiedene Farben sind auf untereinander abgegrenzten Flächen verteilt, deren Farbklang und Auftrag einen Kopf ohne Gesicht markieren.
Wie Seiwert haben alle drei Künstler einst als Expressionisten begonnen. Er aber hält auch in seinen späten streng abstrahierten Kompositionen den dicken Pinselstrich bei, ein Kennzeichen des Expressionismus. Zudem waren Seiwert wie auch Hoerle Mitglieder des Kölner Dada und seinem Ableger, der Gruppe Stupid. Hoerles Entwicklung allerdings wurde hierdurch noch stärker geprägt. Vereinfachte Formen und klare Kontraste bestimmen sein Selbstbildnis „Arbeiter“ aus dem Jahr 1931, bei dem eine flächigere, helle Gesichtshälfte mit Fabrik und Schornsteinen sowie eine stärker schattierte Gesichts- und Bildhälfte mit einer Licht durchflossenen Waldlandschaft nach dem Gleichgewicht von Zivilisation und Natur sucht.
Die elementare Opposition zwischen Schwarz und Weiß, Männlich und Weiblich, Oben und Unten kennzeichnen die Holzschnitte von Gerd Arntz. Der Holzschnitt „Maschine“ aus dem Jahr 1921 präsentiert etwa die Rolle des Menschen im Industriezeitalter überraschend spielerisch, vereinfacht und elementar. Er demonstriert aber auch, dass bei allen Gemeinsamkeiten die einzelnen Mitglieder der Kölner Progressiven keinen einheitlichen Stil annehmen. Jeder ringt auf seine Weise um stilistische Mittel, die den Zustand des Leidens und der Unterdrücktheit visualisieren sollen. So verweist Seiwert mit der Fraktur des rhythmischen Pinselstrichs mehr auf den Herstellungsvorgang, Hoerle mit dem ihm eigenen illusionistisch angehauchten Duktus eher auf den abgebildeten Gegenstand.
Seit 1924 stellt Arntz vermehrt das Leben der Arbeiterklasse dar. Im Holzschnitt „Wasserturm“ hebt er 1925 durch spiegelverkehrte Widmung an Seiwert die Besonderheit des Mediums, die Umkehrung beim Druck, hervor. In seinem Zyklus „Zwölf Häuser der Zeit“ benutzt er zwei Jahre später den Gebäudeaufbau zur Betonung von sozialen Unterschieden in dessen Wohnbereichen. Das Blatt „Wohnhaus“ zeigt vielköpfige Arbeiterfamilien in Keller und Mansarde zusammengepfercht, während das Großbürgerpaar samt Dienstmädchen in der mittigen Belletage weilt. Später bemalt Arntz seine hölzernen Druckstöcke und stellt sie als eigenständige Kunstwerke aus, um eine neue haptische Beziehung zum Betrachter aufzubauen. Das Betrachten soll nun als eine neue, aktive, körperliche Aufgabe verstanden werden, die als nicht geringere Herausforderung gewertet wird als der künstlerische Herstellungsprozess und das im Werk Dargestellte.
Um 1930 beginnt Heinrich Hoerle dann mit der extremen Betonung der Bildoberfläche in der Form horizontaler und vertikaler Achsen. 1932 schwenkt er auf das Medium der Wachsmalerei um, mit deren sorgfältigem Auftrag er nun seine strukturierten Arrangements kreiert. Eines der letzten Bilder Seiwerts, bevor ihm der Tod 1933 wegen der anhaltenden Folgen einer Röntgenverbrennung ereilte, ist das grandiose, großformatige Ölgemälde „Der deutsche Bauernkrieg“. Eine fünf in gestaffelten Gruppen angeordnete Menschenmasse erzeugt eine schlangenartige Bewegung vom Hinter- zum Vordergrund. Das Gefühl der Vorwärtsbewegung soll die unaufhaltsame revolutionäre Kraft spiegeln, die Seiwert über die Macht der vereinigten Masse eindrucksvoll im Zusammenspiel von Abstraktem und Gegenständlichem in Szene setzt.
In den 1930er Jahren dehnt sich die Gruppe progressiver Künstler auf einen internationalen Kreis aus. In ihrer zwischen 1929 und 1933 monatlich erscheinenden Zeitschrift „a bis z“ schneiden sie eine Vielzahl politischer und künstlerischer Themen an. Der nationalsozialistische Herrschaftsbeginn setzt ihr sowie der Gruppe 1933 ein Ende. Hoerles und Seiwerts Werke werden als entartet aus öffentlichen Museen entfernt. Hoerle verstirbt 1936 in Köln an Tuberkulose. Nur Arntz, der seit 1936 in Den Haag lebt und erst 1988 dort stirbt, war es vergönnt, die Wiedergutmachung nach dem Zweiten Weltkrieg noch erleben zu dürfen.
Die Ausstellung „köln progressiv 1920-33. seiwert hoerle arntz“ ist noch bis zum 15. Juni im Museum Ludwig zu besichtigen. Geöffnet ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, jeden ersten Freitag im Monat bis 22 Uhr. Der Eintritt beträgt 9 Euro, ermäßigt 6 Euro. Zur Ausstellung ist ein informativer Katalog erschienen, der an der Museumskasse 25 Euro kostet. |