Berlin im Herbst 2008. Die Zeiten sind rauer geworden im Vergleich zum Vorjahr. Überall ist von der Finanzmarktkrise und der beginnenden Rezession die Rede. Zudem waren die vorausgegangen Kunstmessen in London und Paris weitaus weniger erfolgreich als in den Jahren zuvor. Hinter vorgehaltener Hand sprach man gar von Umsatzeinbußen von 60 bis 70 Prozent auf der Londoner Frieze Art Fair. Eigentlich keine guten Vorzeichen für das Berliner Art Forum, das zudem um vier Wochen nach hinten verschoben wurde und dieses Jahr nicht den Auftakt des herbstlichen Messereigens bildete. Dennoch war die Stimmung auf der Vernissage am Donnerstagabend ausgesprochen gut. Ein interessiertes Publikum wälzte sich langsam durch die übervollen Hallen. Der amerikanische Fotokünstler Tim Roda, 31, stellt begeistert fest: „Woanders, zum Beispiel in Chicago, geht es den Leuten bei der Eröffnung nur ums Biertrinken und Gesehenwerden. Hier trifft man auf echtes Interesse an der Kunst und kann gute Gespräche führen.“
Roda ist am Stand der Hamburger Galerie Art Agents zu finden. Auf seinen klassisch abgezogenen Schwarzweißfotografien inszeniert der New Yorker sich und seine kleine Familie in teilweise grotesken, bühnenartigen Situationen. Die Aufnahmen kosten bei einer Auflage von acht Stück zwischen 1.200 und 2000 Euro. 127 Galerien aus 26 Ländern nehmen an diesem 13. Art Forum Berlin in den denkmalgeschützten Messehallen unter dem Berliner Funkturm teil. Zu sehen und zu kaufen sind Werke von über 2000 Künstlern aus aller Welt. Die Messe versteht sich als Deutschlands Leitmesse für zeitgenössische Kunst. Damit grenzt sie sich auch von der Art Cologne ab, die von der Klassischen Moderne bis zur Gegenwart alles zeigt. Die scheidende Messechefin Sabrina van der Ley – sie wechselt zum 1. Dezember als Kuratorin an die Hamburger Kunsthalle – gab sich zweckoptimistisch: „Jede Papierarbeit ist eine bessere Anlage als ein Finanzmarktpapier“, so van der Ley. Kunst sei nicht nur eine Investition sondern etwas, das man brauche, und gerade in diesen unruhigen Zeiten viel mehr brauche als jemals zuvor.
Gerd Harry Lybke von der Berliner Galerie Eigen + Art konnte bereits in den ersten Stunden etliche Arbeiten verkaufen. Darunter kleinformatige und überwiegend grau gehaltene Gemälde des Leipziger Malers Tim Eitel mit Tauben, Müllsäcken und Grenzschützern für je 32.000 Euro. Drei davon gingen gleich in den ersten zwei Stunden weg. Der Eyecatcher am Stand war ein großformatiger Neo Rauch, der, einem Historienbild ähnlich, einen Kutschenunfall im 19. Jahrhundert zeigt. Das kapitale Gemälde ging für eine halbe Million Euro in die bereits gut bestückte Sammlung eines in Berlin ansässigen Industriellen. Drei großformatige Fotografien von Martin Eder, darunter die Aktaufnahme einer schwangeren Frau, waren noch zu haben. „Der Eder ist noch dran“, gab sich Lybke ganz entspannt. Von Krise war zumindest hier nichts zu spüren.
Business as usual auch bei der Hamburger Produzentengalerie. Hier wird an jedem Tag ein anderer junger Künstler gezeigt. Tanja Maka: „Wir wollten keine Patchworkkoje betreiben, sondern unseren Künstlern einen homogenen Auftritt verschaffen.“ Gleich die erste Präsentation mit Gemälden, Skulpturen und aquarellierten Radierungen des Hamburger Norbert Schwontkowski-Schülers Volker Hueller konnte erfolgreich platziert werden. Viele der teils surreal aufgeladenen Arbeiten im Grenzbereich zwischen Abstraktion und Figuration wurden zu Preisen zwischen 1.000 und 7.500 Euro verkauft.
Der Trend, hochwertige und besondere Papierarbeiten zu präsentieren, ließ sich an einigen Ständen ablesen. So zeigte die Frankfurter Galerie Eva Winkeler Blätter der an der Münchener Akademie ausgebildeten Claudia Wieser, 34, die jetzt in Berlin lebt. Wieser bearbeitet alte Buchseiten samt botanischen Darstellungen mit Blattgold und kombiniert sie mit feinen geometrischen Zeichnungen, die vom russischen Konstruktivismus inspiriert sind. Das Einzelblatt kostet 1.300 Euro, ein Viererset 5.200 Euro. Am Stand von Michael Janssen aus Berlin fanden sich Gemälde und kleinformatige Tuschezeichnungen des Walter Dahn-Schülers Christof Mascher, 29. Figurative Szenen und Landschaftsdarstellungen wurden zu Einsteigerpreisen von 650 Euro angeboten. Hammelehle und Ahrens aus Köln zeigten unter anderem interessante Collagen von Matthias Schaufler für 2.000 Euro. Schauffler collagiert und decollagiert Ausschnitte aus dem Feuilleton der FAZ und aus der Zeitschrift Vogue. Die Collagen dienen als Vorlagen für seine Gemälde und haben das berühmte Bild „Die Badenden“ von Ernst Ludwig Kirchner als Inspirationsquelle.
Die isländische Galerie I8 aus Reykjavik präsentierte die psychedelisch-poetische Arbeit „Happy Stones“ des 35jährigen in Berlin lebenden Isländers Egill Sæbjörnsson. Der Künstler und Musiker, der auch im Umfeld der Sängerin Björk agiert, hat zwei Lavasteine aus Island mit einer Videoprojektion kombiniert. So erscheinen in dem 7minütigen Loop faszinierende Farbspiele, die an Naturphänomene erinnern. Dazu hat Sæbjörnsson einen Soundteppich aus Sprache und abstrakten Klängen komponiert. Die Arbeit kostet 9.000 Euro.
Politisch aufgeladene und komplexe Arbeiten der Simon Starling-Schülerin Sarah Ortmeyer, 28, dann bei Figge von Rosen aus Köln. Die konzeptuelle Einzelpräsentation mit einem hölzernem Feldweihnachtsbaum der Bundeswehr und Tisch mit Karomusterdecke und Eiffelturmminiatur findet sich in der Freestyle-Halle, die vom Berliner Architekten Roger Bundschuh gestaltet wurde. Hier präsentieren 26 junge Galerien in einem offenen Standkonzept konzentrierte Soloshows ihrer Künstler. In der Mitte ist Platz für eine stylishe Gastronomiezone mit Sitzsäcken zum Lümmeln und Relaxen. Philipp Figge zeigt sich begeistert von diesem architektonischen Konzept: „Der Freestyle-Bereich funktioniert sehr gut“, findet er. „Man kann durch die Stände durchflanieren. Das schafft eine gewisse Leichtigkeit. Auch die Bar ist gut gelungen. Und die Stände sind alle vom Niveau ganz gut. Wir sind sehr zufrieden.“
Der Platz für die Freestyle-Halle konnte gewonnen werden, weil die diesjährige Sonderschau des Art Forums mit dem Titel „difference, what difference?“ in die Messe integriert wurde. Kurator Hans-Jürgen Hafner schmuggelte die ausgewählten, überwiegend konzeptuellen und historischen Werke in die normalen Kojen ein. Die ausgewählten Werke von Künstlern ganz unterschiedlicher Generationen sind durch ein bestimmtes Logo gekennzeichnet. Das Spektrum reicht von Bettina Allamoda bis Heimo Zobernig. Dazwischen taucht Marcel Broodthaers ebenso auf wie Andy Warhol. So will Hafner das Spannungsfeld zwischen Marktplatz und inhaltlicher und ästhetischer Aufladung von Kunst sichtbar machen.
Nach über acht Jahren Messeleitung wird das Team um Sabrina van der Ley nun von dem Basler Duo Peter Vetsch und Eva-Maria Häusler abgelöst. Die beiden Schweizer bringen langjährige Messeerfahrung und exzellente Kontakte von der Art Basel mit an die Spree. Die weitere Profilierung und Neuausrichtung des Art Forums als wichtiger Kristallisationspunkt, um den sich ein reiches Ausstellungsprogramm und viele neue Galerieeröffnungen in der Kunsthauptstadt Berlin konzentrieren, ist somit gesichert.
Das 13. Art Forum Berlin läuft vom 31. Oktober bis zum 3. November. Geöffnet ist täglich von 12 bis 20 Uhr, am 3. November ist Professional Monday. Der Eintritt beträgt 15 Euro, ermäßigt und Abendticket ab 17 Uhr 10 Euro. Der Messekatalog kostet 20 Euro, der Katalog zur Sonderausstellung 24 Euro, beide Kataloge im Paket 35 Euro.
Art Forum Berlin
Messegelände, Halle 18-20
Hammarskjöldplatz/Masurenallee
D-14057 Berlin
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