| | Vincent van Gogh, Ernte in der Provence, 1888 | |
Es sind Bilder von einer vollkommen unvergleichlichen Art. Den damaligen vorherrschenden künstlerischen Strömungen entsagend, maßgeblich von inneren Empfindungen geprägt, fesseln ausdrucksstarke Motive Vincent van Goghs ohne nachlassende Resonanz Scharen von Besuchern. Der heute hochberühmte niederländische Maler wurde zu Lebzeiten jedoch nur von wenigen Kritikern wahrgenommen, geschweige denn anerkannt. Zeitlebens schwer krank, blieb dem Außenseiter die Chance, die ihm eigene Intensität des Sehens talentiert auf Leinwänden zum Ausdruck zu verhelfen – grob emotional in gesteigerten Impressionen.
Es schien, als gäbe es für Vincent van Gogh keinen Platz auf der Welt: Der Pastorensohn versuchte sich als Kunsthändler, Student der Theologie, Laienprediger, jedoch verhinderten die schlechte körperliche wie psychische Verfassung sowie seine mangelnde Fähigkeit zur Einordnung in gesellschaftliche Strukturen kontinuierliches Schaffen und einen Abschluss seiner Ausbildung. Nur kurz studierte er an den Kunstakademien in Brüssel und Antwerpen. Im Jahr 1880 wandte er sich endgültig dem Beruf des Künstlers zu, gefördert und vollkommen finanziert von seinem Bruder Theo. Dieser war ein gewiefter, aber ehrlicher Kunsthändler. Die Landschaftsgemälde, die sich damals gut verkaufen ließen, gingen komplett an Theo, Porträts blieben in Vincents Besitz.
Landschaften und landwirtschaftliche Tätigkeit stellen von Anbeginn ein zentrales Thema in seinem Schaffen dar. Dabei blendet Vincent van Gogh die Industrialisierung aus. Erstmals beleuchtet nun das Kunstmuseum Basel in einer Übersicht von 71 Landschaftsgemälden aus allen Schaffensphasen die Kontinuität dieses Genres in der ganzen Breite. Ausgehend vom sechs Werke umfassenden eigenen Bestand vereint die sehenswerte Schau wohlbekannte Arbeiten aus berühmten Museen rund um den Erdball wie auch selten gezeigte Bilder.
Zarte malerische Anfänge des Niederländers orientieren sich in Farbigkeit und Komposition an der damals jungen Haager Schule. Um deren Künstler kennen zu lernen, geht Vincent van Gogh 1881 nach Den Haag. Hier verfolgt man die Erneuerung der Landschaftsmalerei und bezieht sich dabei auf die Niederländer des 17ten Jahrhunderts und die naturnahe Schule von Barbizon. Dörfer und Alleen, Mensch und Natur bilden in frühen Studien eine feste Einheit. Zimmerausblicke und Gärten, diese zwei Motivstränge bestimmen van Goghs Landschaften. Sie beginnen mit glatten Farbaufträgen, erdigen, dunklen Tönen und modulierten Grauwerten. Das mehrfach variierte Motiv des baufälligen Kirchturmes von Nuenen steht ebenso als Reminiszenz an eine abgelaufene Epoche wie die Bauern bei der Feldarbeit. Flächig strukturiert mit weiten Himmel- und Flusslandschaften erinnern sie im Kolorit sowie Farbauftrag an Charles-François Daubigny. Niedrig sind die Horizonte angesetzt, teils versehen mit perspektivischen Tiefen. In winzigen Details zeigen sich erste Ansätze des Simultankontrastes.
Die Landschaften, in denen Vincent van Gogh lebt, prägen durchgängig seine Malerei. Immer mehr jedoch spiegelt das reale Naturbild die innere Verfassung des Künstlers; es wird Resonanzraum seiner Seele, dient als Frei- und Schutzraum, wodurch sich seine Kunst von den Impressionisten absetzt. Im Jahr 1886 gelangt van Gogh über Antwerpen nach Paris. Zwei Jahre wohnt er in der damaligen Weltkunsthauptstadt bei seinem Bruder Theo. Bekanntschaften mit bedeutenden Impressionisten und deren allerneuste Kunst sollten ihre Wirkung nicht verfehlen. Sein Abbild des „Moulin de la Galette“, eines Vergnügungslokals mit historischer Bockwindmühle, gestaltet er noch in grauen und brauen Tönen bei geschlossenem Farbauftrag. Im Fokus steht der Bau, während Pierre-Auguste Renoir und andere Maler schon das gesellschaftliche Treiben thematisieren.
Doch in kürzester Zeit greift Vincent van Gogh impressionistische Tendenzen auf. Stadtansichten von erhöhten Standpunkten mit Fernblick und tief liegenden Horizonten entstehen. Immer leuchtender werden die vorwiegend verwendeten Primärfarben. Erst aus der Distanz ergibt sich die Wirkung des vermehrt angewendeten Komplementärkontrastes, hervorgerufen durch die Naturmotive. Auch die Flächigkeit verschwindet. Der Pinselduktus gibt sich locker. Kurze, markante, freistehende Pinselstriche folgen einer Richtung, deren Änderung Bewegung hervorrufen. Nach wie vor schildert er mit Vorliebe die Natur, während das moderne Leben oder Zeichen der Industrialisierung wie die Fabriken oder Eisenbahnbrücken bei Asnières erst langsam in sein Schaffen einfließen. Vincent van Goghs Szenen der Freizeitgestaltung fallen anekdotischer und melancholischer aus als bei den Impressionisten.
Vereinzelungen signalisieren die Sehnsucht nach intakter Natur. Stadt und Landschaft empfindet er als konträre Pole; die Großstadt schadet seiner Psyche. So nimmt es nicht Wunder, dass er sich an einem neuen, nicht städtischen Ort freier weiter entwickeln will. Im Jahr 1888 geht er nach Arles in Südfrankreich. Das Mehr an Sonne, der Einfluss des Lichtes steigert erneut die farbliche Intensität. Er malt die flache Topografie mit ihren blühenden, an japanische Sujets erinnernden Obstgärten, gelbe Butterblumenfelder, grüne Wiesen, aber auch Bauern, Stadtsilhouetten, Fabrikschornsteine und Eisenbahnzüge.
Einen Höhepunkt seines Schaffens markiert die „Ernte-Serie“ aus dem Jahr 1888, von der sechs Gemälde in Basel zu bestaunen sind. Ein goldgelb strahlendes Weizenfeld als nahezu monochrome, großen Raum beanspruchende Fläche steht im Zentrum der Kompositionen. Eine Pinselschrift aus Strichbündeln mit rhythmisiert eingefügten Halmen deutet Bewegungen an. Seebilder zeugen dann von Aufenthalten am Meer. Obstgärten ergänzen den Kreislauf der Natur, in den Vincent van Gogh den Menschen immer eingebunden sieht.
Trotzdem lebt der Künstler in der warmen Atmosphäre der Provence, die ihn zu über 200 Gemälden in frischen, hellen Farben anregt, sehr einsam und isoliert. Zusammenbrüche mehren sich, der psychische Zustand verschlechtert sich. Während eines Anfalls verletzt er sich selbst am Ohr. Den „rothaarigen Verrückten“ nannten ihn die Einheimischen. Sie internieren ihn kurzerhand in einem lokalen Krankenhaus. Nun fühlt sich Vincent van Gogh erst recht von der bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen und entscheidet sich zu einer Behandlung in der Nervenheilanstalt Saint-Paul-de-Mausole in Saint-Rémy.
Die Bilder „Der Irrenhausgarten von Saint-Rémy“ oder „Der Schnitter“ aus dem Jahr 1889 zeigen das neue Zuhause. Bewusst ins Blickfeld gerückte Grundstücksmauern signalisieren Eingeschlossenheit. Die Palette wird wieder dunkler, Motive quirliger. Wirbel und Strudel durchdringen sämtliche Elemente. Die Windungen der Bäume übertragen sich auf Böden, Berge und den Himmel. Wie züngelnde Flammen ragen Zypressen auf. Die Malerei entfernt sich vom Motiv, wird abstrakter. Windzerzauste Olivenbäume prägen van Goghs Bilder der rauen Landschaft, in die er nun auch biblische Assoziationen einbaut, wobei das Göttliche der Natur ohne Rückgriffe auf christliche Ikonografie beschworen wird. Mittels Farbaufträgen in kleinen, dezenten Strichen versucht er feierliche Naturstimmungen oder die Abenddämmerung einzufangen. Das Malen übt eine günstige Wirkung auf seine wechselnden gesundheitlichen Zustände aus.
Im Mai 1890 verlässt Vincent van Gogh Saint-Rémy in Richtung Auvers, einer idyllischen Gegend 20 Kilometer nordwestlich von Paris, um sich in Obhut des Arztes und Kunstfreundes Paul Gachet zu begeben. Kühlere, fast zarte Blau- und Grüntöne kommen auf. Über 80 Bilder malt er in dem 70 Tage währenden Aufenthalt. Kühne Perspektiven und Bildausschnitte sind zu beobachten: Hohe, teils wegfallende Horizonte, Felder mit starker Aufsicht. Doppelte Quadrate als Bildformate evozieren panoramaartige Weiten. Außer Staffagefiguren bleibt alles menschenleer. Einsamkeit und Angst lassen den Künstler in Verzweiflung stürzen. Am 27. Juli 1890 richtet er den Revolver gegen sich und verletzt sich tödlich. Im Alter von 37 Jahren scheidet er aus dem Leben, das durchsetzt war von Depressionen, Selbstmordgedanken, unzureichender Ernährung, aber auch geprägt war von einem wirkungsmächtigen Œuvre, das viele künstlerische Entwicklungen vorwegnahm.
Die Ausstellung „Vincent van Gogh. Zwischen Erde und Himmel. Die Landschaften“ ist bis zum 27. September zu besichtigen. Das Kunstmuseum Basel hat täglich außer montags von 9 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 28 Franken, reduziert 18 Franken, Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren zahlen 10 Franken, darunter ist der Eintritt frei. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog im Hatje Cantz Verlag erschienen, der an der Museumskasse 59 Franken kostet. |