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Journal

Kassel nimmt Kurs auf das UNESCO-Welterbe

Kunstvolle Machtinszenierung



Herkules mit barocker Wasserkaskade

Herkules mit barocker Wasserkaskade

Viele wollen hoch hinaus. Imponiergehabe und Expansionsgelüste war besonders Landesherren zueigen. So auch in Kassel. Landgraf Karl von Hessen-Kassel erkannte rasch die Möglichkeiten des weitläufig ansteigenden Habichtwaldes westlich des Kasseler Beckens. Angeregt von Eindrücken einer Italienreise um 1700 beabsichtigte er, die Naturlandschaft zur Nobilitierung seines Standes und machtvollen Demonstration politischer Größe in Dienst zu nehmen. Heute, 300 Jahre später, thront der Bergpark mit seinen Schlössern, Wasserspielen und dem Herkules als Gipfelpunkt wie eine grandiose Krone über der Stadt – eine topografisch beeindruckende und einzigartige Symbiose aus Technik, Kunst und Natur. Die langjährigen Bestrebungen, das Ensemble in die nahezu 900 Objekte umfassende UNESCO-Welterbeliste aufzunehmen, gehen derzeit in eine finale Phase. Bei erfolgreichem Verlauf wird die Eintragung im Jahr 2012 vonstatten gehen. Konstruktiv haben sich Vertreter von Stadt und Land unter Einbindung des Denkmalamtes, der Museumslandschaft Hessen Kassel sowie der Handelskammer zu eng kooperierenden Steuerungsgremien unter der obersten Führung der Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva Kühne-Hörmann, zusammengefunden. Unter ihnen gibt man sich optimistisch, das einmütig wie engagiert angepeilte Ziel zu erreichen.


Was prädestiniert den Bergpark für das Welterbe? Die differenzierte Parkgeschichte korrespondiert eng mit den jeweiligen Herrschern. Fußend auf einer klösterlichen Ansiedlung errichtet Moritz der Gelehrte um 1610 ein Jagdschlösschen im Renaissancestil als Vorläufer des heutigen Schlosses Wilhelmshöhe. Die neue, weit ausgreifende Dreiflügelanlage entsteht in Etappen zwischen 1786 bis 1829 auf einer Terrassenkante des sanft ansteigenden Bergparks. Ostwärts leitet eine sieben Kilometer lange Hauptachse zur Stadt über. Hier markieren zwei um 1805 errichtete Torgebäude mit mächtigen, von Sandsteinsäulen getragenen Altanen den Ausgangspunkt.

Westlich des Schlosses Wilhelmshöhe setzt sich die Achse hangaufwärts fort. Das obere Drittel zeigt sich mit Kaskaden und Grotten besonders kleinteilig. Über dreihundert Meter erstrecken sich dreigeteilte Wassertreppen, die von breit gelagerten Zwischenbecken in vier Abschnitte gegliedert sind. Sie stellen nur den zu einem Drittel ausgeführten Teil eines Gesamtprospektes dar, der nach Vorstellungen des Bauherrn, Landgraf Karl von Hessen-Kassel, ursprünglich vor dem Schloss enden sollte. Aus der Bergspitze erwächst auf grottenähnlichem Unterbau ein oktogonales Belvedere, dem nachträglich ab 1713 eine Pyramide samt Herkulesfigur aufgesetzt wird.

Zwischen 1701 bis 1717 arbeiten zeitweise über eintausend Menschen an der nach Plänen des römischen Architekten Giovanni Francesco Guerniero ausgeführten Anlage, die Johanna Schopenhauer als „Achtes Weltwunder“ würdigt. Unter Landgraf Friedrich II. geht zwischen 1760 und 1785 die Erweiterung zum sentimentalen Landschaftspark nach englischem Vorbild vonstatten. Zahlreiche kleine Staffagearchitekturen, Pavillons, Wasserfälle und Fontänen werden eingefügt. Unter seinem Sohn Wilhelm IX. entstehen zwischen 1788 und 1792 ein Aquädukt nach antikem Vorbild sowie die romantische, das Mittelalter versinnbildlichende Löwenburg im Stil des „gothic revival“ zwischen 1793 und 1801. Unter Kaiser Wilhelm II. als Sommerresidenz genutzt, gelangt auf dem Areal die „Teppichgärtnerei“, eine feldartige Beetformation, in Mode.

Überlappungen verschiedener Gestaltungsphasen bedingen die Einmaligkeit des großartig in die Landschaft implantierten Gartenkunstwerkes, das im Rahmen dynastischer Selbstvergewisserungen bis zum Ende der Monarchie über zwei Jahrhunderte fortgeschrieben wurde. Heute nimmt das Land Hessen Pflege und Unterhalt wahr. Besondere Aufmerksamkeit erfordert die kontinuierliche Freihaltung von Sichtachsen, deren End- und Ausgangspunkte Kleinbauten signalisieren. Die Grabstätte des Vergils in Pyramidenform, die Holzhütte der Einsiedelei des Sokrates als Ort der Zerstreuung oder eine unlängst restaurierte Pagode aus dem Jahr 1783 zählen dazu.

Die Löwenburg stellt die größte Baugruppe im Park dar, umgeben von einem Turnierplatz für mittelalterliche Reiterspiele, Wasserfall, Schlucht, Tiergarten, Obstgärten und einem Weinberg. Alles wird derzeit restauriert ebenso wie das inszenierte Landschaftsbild der porösen tuffsteinernen Burgkulisse samt den historischen Innenräumen. Die Restaurierung dieses Ensembles samt Wiederaufbau des kriegszerstörten Bergfriedes schlägt allein mit rund 30 Millionen Euro zu Buche. Zusätzliche elf Millionen Euro verschlingen die Instandsetzungsarbeiten an Mauern, Leitungen, Befestigungen und Abdichtungen der 21 Kilometer langen Wasserlaufsysteme und sieben Hektar großen Teichflächen.

Die große, bis zu 52 Meter empor schießende Fontäne vor dem Schloss Wilhelmshöhe ist das Finale der grandiosen Wasserspiele, die größte derartige mit Wasser betriebene Parkarchitektur weltweit. Über mehrere Stationen ergießt sich der tosende Wasserlauf talwärts. 15 Minuten sind pro Station vorgesehen. Wasserfälle, wie der unter der Teufelsbrücke oder der am Ende des 28 Meter hohen Aquäduktes, beherrschen den unteren Teil. Der höher gelegene Kaskadenabschnitt ist durchsetzt mit Grotten, in denen Sagengestalten wie Faun oder Zentaur Hörner blasen, und Geräuschen, die hinter den Kulissen der Wasserkünste erzeugt werden und im Getöse fast untergehen. In einer Nische am oberen Artischockenbecken sitzt ein Pan, dessen Flötenspiel mithilfe einer Wasserorgel erzeugt wird. Seitlich stürzen glatte, spiegelnde Wasserströme in sogenannten „Spiegeleisen“ hinab. Viele dieser Mechanismen, Figuren und Grotten hatte der Landgraf im Garten der Villa d’Este in Tivoli gesehen. Ein Durchlauf des Wasserspiels wird heute mit 2.500 Euro veranschlagt, Kosten für Wasser, Personal, Kontrolle und Reinigung.

Über allem schwebt das einst weiß gestrichene Oktogon, dessen komplexe Gestalt aus mächtigen Tuffsteinquadern, lebhaften Gesimsen und weiten Bogenöffnungen im Innern gigantische, tonnengewölbte Umgänge bereit hält, als wären sie für Riesen konzipiert. Seit Jahren ist durch statische und witterungsbedingte Zerfallserscheinungen der „Palast der Winde“ eine Dauerbaustelle. Über 30 Millionen Euro fließen in die derzeit laufende Sanierung, deren Abschluss für 2013 angepeilt ist. Bis zu acht Meter lange Stahlnadeln werden zur Stabilisierung eingebohrt. Die ausgeprägte Ästhetik der Räume und deren Möglichkeiten faszinierten schon den Documenta-Initiator Arnold Bode, der hier Kunstwerke präsentieren wollte – ein bis heute unerfülltes Begehren.

Abgeschlossen ist die Restaurierung mittlerweile an der Pyramide und der Herkulesfigur. Die über neun Meter hohe Figur besteht aus 21 genieteten, auf einem Stahlgerüst montierten, zwei Millimeter dicken Kupferblechen, die eine perfekt realistische Ausbildung mit Adern und Muskelsträngen aufweisen. Gestützt auf seine Waffe, die Keule, die drei von den Hesperiden geraubten goldenen Äpfel in der rechten Hand hinter seinem Rücken haltend, symbolisiert der Herkules Herrschertugenden wie Unbesiegbarkeit, Unsterblichkeit, Retter- und Beschützergeist der Menschheit. Unmittelbares Vorbild ist die Marmorfigur des Herkules Farnese, die der Landgraf in Rom gesehen hatte. Der Augsburger Goldschmied Johann Jakob Anthoni schuf für ihn eine originalgetreue Kopie, die größte einer antiken Skulptur überhaupt. Angeregt wurden dadurch wesentlich jüngere Denkmäler in vergleichbarer Technik: Das Hermannsdenkmal im Teutoburger Walt (1875) und die New Yorker Freiheitsstatue (1884-1887).

Die Wasserspiele sind aber mehr als nur die Zurschaustellung fürstlichen Kunstsinnes. Sie gelten als Denkmäler der Wissenschafts- und Technikgeschichte. Seit den späten 1680er Jahren beschäftigte sich Landgraf Karl mit der systematischen Erforschung von physikalischen und technischen Grundlagen zur Erzeugung von Wasserfontänen. Die Physiker Denis Papin und Petrus Wolfart erzeugten im Labor mit Hilfe diverser Vakuumpumpen und Dampfmaschinen Fontänen unterschiedlichster Ausprägung. Letztlich war die Natur stärker, und nichts dergleichen kam in Kassel zum Einsatz. Die schiere Größe der Anlage mit ihren enormen Höhenunterschieden gestattete es, den natürlichen Fall des Wassers auszunutzen. Mithilfe des Quellsystems in einem Sammelbassin oberhalb des Oktogons zusammengeleitet, bietet sich die Chance, ohne technische Hilfsmittel Wasserspiele samt Fontänen im Rahmen einer Gefälledruckwasseranlage, also durch Gravitation, zu betreiben. Genau dies unterscheidet die Wilhelmshöhe von allen anderen ähnlichen europäischen Anlagen. Umfangreiche technikhistorische Untersuchungen dienen derzeit der vollständigen Erforschung aller Systeme.

Der Park von Schloss Wilhelmshöhe gilt als großartigste Schöpfung italienischen Barocks nördlich der Alpen. Er dokumentiert barocke Lebensgefühle im Triumph über die Natur. Möge der Welterbestatus zu seinem konstanten Erhalt beitragen.

Kontakt:

Museumslandschaft Hessen Kassel - Schloss Wilhelmshöhe

Schloss Wilhelmshöhe

DE-34131 Kassel

Telefax:+49 (0561) 316 80 111

Telefon:+49 (0561) 316 800

Telefon:+49 (0561) 316 80 123

E-Mail: info@museum-kassel.de



19.09.2009

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Hans-Peter Schwanke

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Hendrick Goltzius, Herkules Farnese von hinten, um 1592

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Blick vom Oktogon auf den Park von Schloss Wilhelmshöhe

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Laufende Restaurierungsarbeiten am Herkules und Oktogon

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Die Teufelsbrücke mit dem Wasserfall

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Außenansicht von Schloss Wilhelmshöhe

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Pagode

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Halle des Sokrates mit Apolltempel

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Der mächtige Herkules von Johann Jakob Anthoni

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Die Löwenburg im Schlosspark Wilhelmshöhe

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