| | Ken Goldberg | |
Am 15. August 1994 stellte der amerikanische Künstler Ken Goldberg zusammen mit einigen Kollegen an der Berkeley University einen Website ins Internet, mit der man einen alten IBM-Roboterarm und eine Kamera über das Netz bewegen konnte. Mit dem Web-Interface konnte man den mechanischen Arm bewegen und mit ihm in einem Sandkasten nach Gegenständen suchen, die im Sand vergraben waren.
Die Installation „Mercury Project“ (www.usc.edu/dept/raiders/) war noch in der Beta-Test-Phase, als die Wissenschaftler eine E-Mail von einem Fremden bekamen: „Ich glaube nicht, dass das echt ist“, schrieb ein Websurfer namens Don Patterson, der die Homepages zufällig im damals noch überschaubar kleinen WorldWideWeb entdeckt hatte. „Es wäre ganz einfach, so eine Site zu fälschen.“
Goldberg (www.ieor.berkeley.edu/~goldberg/) und seine Kollegen waren überrascht, mussten dem unbekannten Surfer aber recht geben: tatsächlich gab es für die Benutzer ihrer Netzinstallation keine Möglichkeit, herauszufinden, ob die ganze Angelegenheit nicht nur ein gut gemachter Schwindel war. Jetzt hat Goldberg ein ganzes Buch herausgegeben, das sich mit Fragen von Wahrnehmung und Glaubwürdigkeit im Internetzeitalter beschäftigt. „The Robot in the Garten“ (www.ieor.berkeley.edu/~goldberg/art/tele/index.html) handelt von Internet-Robotern und den philosophischen und erkenntniswissenschaftlichen Fragen, die sie aufwerfen. Goldberg hat für die Fragen, die sich aus dieser Art des Eingriffs ergeben, den Begriff „Telepistemologie“ geprägt – ein Kunstwort, das aus „Telematik“ und „Epistemologie“, Erkenntnistheorie, zusammengesetzt ist.
Das Buch handelt von Goldbergs künstlerischem Hauptthema: alle Internet-Projekte, die er realisiert hat, stellen skeptische Netznutzer vor dieselbe Frage. Ist sein „Telegarden“ (telegarden.aec.at), in dem man eigene Pflänzchen anbauen kann, real oder nur ein gut gemachter Fake? Gibt es den schwarzen Kasten tatsächlich, dessen Inneres man bei „Dislocation of Intimacy“ (dislocation.net/) angeblich auf verschwommen Bildern sehen kann? Und ist es wirklich die Bodenschwingung im Erdbebengebiet Kalifornien, die bei der „Memento Mori“ (memento.ieor.berkeley.edu/) als hübsche animierte Grafik auf einer Website zu sehen ist? Bei „Legal Tender“ (www.IEOR.Berkeley.EDU/~goldberg/art/tender/tender.html)
bekommen diese Fragen sogar einen problematische, rechtliche Komponente: bei dieser Arbeit kann man über das Internet angeblich Dollarscheine beschädigen oder verbrennen – was in den USA eigentlich verboten ist.
Diese Art von Fragen wird nicht erst gestellt, seit es das Internet gibt. Der Skeptizismus hat in der abendländischen Philosophie eine lange Tradition. Schon Platos Höhlengleichnis beschreibt eine Situation, in der der Betrachter nicht weiß, ob das, was er sieht, wirklich wahr ist. Doch im Internet mit seinen inzwischen unzähligen Webcams, die Leute bei der Arbeit oder Kaffeemaschinen beim Kaffeekochen zeigen, hat die Frage danach, woher wir wissen, ob das, was wir sehen, tatsächlich existiert, neu und mit einer verschärften Relevanz gestellt. Ken Goldbergs telerobotischen Arbeiten, gehen über die epistomologische Problematik der Webcams sogar noch hinaus. Während diese sich auf eine angebliche physische Wirklichkeit richten und Bilder von ihr in der ganzen Welt verbreiten, erlauben seine Installationen die distanzierte Interaktion mit der Wirklichkeit. Aus einem Blick auf die Dinge wird ein Eingreifen in die Dinge.
Baumgärtel: In Ihren Buch über Tele-Installationen (www.ieor.berkeley.edu/~goldberg/art/tele/index.html) führen Sie den Begriff "Telepistemologie" ein. Können Sie erklären, was Sie darunter verstehen?
Goldberg: Telepistemologie beschäftigt sich mit dem, was über eine Entfernung erkannt werden kann. Sie ist das Teilgebiet der Epistemologie, bei dem zwischen Ihnen und Ihrer Erfahrung eine Schicht Technologie liegt. Meine Installationen befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten davon, aber ich ringe immer mit diesem Problem der Vermittlung und der physischen Erfahrung. Die Herausforderung besteht darin, erst den Betrachter zu packen und dann Beunruhigung auszulösen.
Baumgärtel: Beunruhigung? Warum Beunruhigung?
Goldberg: Weil Beunruhigung Sorge um die Zukunft ist. Beunruhigung zu schaffen ist eine wesentliche Funktion zeitgenössischer Kunst. Ich interessiere mich für unsere eingestandenen oder unterdrückten Ängste im Bezug auf Technologie und Medien. Viele Leute verstehen den Unterschied zwischen virtueller Realität und Telerobotik oder Tele-Realität nicht. Virtuelle Realität erzeugt ein Abbild, Tele-Realität erzeugt Distanz. In seinem Beitrag in meinem Buch „The Robot in the Garden“ behauptet Lev Manovich, Telerobotik sei eine „viel radikalere Technologie“ als Virtual Reality. Dem stimme ich zu. Bei Virtual Reality weiß man, dass das, was man erfährt, falsch ist, bei Telerobotik ist man sich nicht so sicher. Weil es im Internet keine institutionelle Autorität gibt, kann man viel interessantere und doppelbödigere Situationen aufbauen.
Baumgärtel: Wann und warum fingen Sie an, im Netz zu arbeiten?
Goldberg: 1992 zeigte ich in einer Galerie eine Roboter-Installation. Es war ein enormer Aufwand, den Roboter an einem öffentlich zugänglichen Ort zu installieren, und am Ende sahen ihn nur ein paar Dutzend Besucher. Als der Mosaic-Browser aufkam, dachte ich: Statt das Publikum zu dem Roboter zu bringen kann man auch den Roboter zum Publikum bringen.
Baumgärtel: Wie sah Ihre künstlerische Arbeit aus, bevor Sie anfingen, im Netz zu arbeiten?
Goldberg: Ich habe 1982, als ich noch Student war, damit angefangen, Roboter zu bauen. Während der Achtziger experimentierte ich mit Robotern als Mal-Maschinen. Ich machte einige Installationen mit Robotern und den Bildern, die sie malten. Der Roboter stellte eine Möglichkeit dar, das materielle Objekt von der Hand des Künstlers zu trennen.
Baumgärtel: Ihr erstes Online-Projekt war das "Mercury Project" (www.usc.edu/dept/raiders/), eine Web-Seite, die mit dem Arm eines Roboters verbunden war, welche es räumlich entfernten Nutzern ermöglichte, in einer Sandkiste nach vergrabenen Gegenständen zu graben. Kannten Sie, als Sie mit diesen Arbeiten anfingen, irgendwelche ähnlichen Tele-Projekte?
Goldberg: In der Fachliteratur werden wir als die ersten genannt, die mit Internet-Robotern gearbeitet haben. Unser Projekt war der erste, das das HTTP-Protokoll verwendete, aber Eduardo Kac und Ed Bennett machten schon früher sehr interessante Telepräsenz-Projekte, bei denen sie Telefone verwendeten. In einem Fall verwendeten sie auch das Internet, aber nicht als öffentliche Schnittstelle. Ich beschreibe diese Geschichte im ersten Kapitel des Buches, und wir bauen auf den Web-Seiten, die das Buch begleiten, ein Archiv über Internet-Roboter auf.
Baumgärtel: Ihr bekanntestes Werk ist der "Telegarden" (telegarden.aec.at), der Internet-Nutzern erlaubt, via Netz Pflanzen zu züchten. Können Sie etwas darüber erzählen?
Goldberg: Die Arbeit ist eigentlich eine Kritik des Internets. Es war die absurdeste Internet-Anwendung, die wir uns vorstellen konnten. Ein Garten ist eigentlich ein Refugium, ein geschützter Ort, an dem man die Natur erleben kann. Also stellten wir einen Roboter hinein. Das Projekt ist bei Ars Electronica immer noch online.
Baumgärtel: Sie sagten, bei Ihrer Arbeit ginge es darum, Zweifel an den Dingen aufkommen zu lassen, denen man online begegnet. Der Garten ist sehr real, ich habe ihn selbst gesehen. Da er relativ am Anfang der Geschichte des Internets geschaffen worden ist, frage ich mich, ob er nicht selbst von der Begeisterung beeinflusst oder gar ein Ausdruck von ihr war, die viele damals im Bezug auf das Netz empfanden: ein neuer, weltweiter Raum ohne Regeln, ohne Grenzen für unsere Fantasie und Kreativität...
Goldberg: Ja, er war eine Reaktion auf genau diese frühe Begeisterung. Für mich war das immer eine dystopische Vision davon, wie wir einmal das Netz nutzen würden.
Baumgärtel: Glauben Sie, dass der Telegarden bis zu einem gewissen Grad auch eine "virtual community" war oder ist?
Goldberg: Der Ausdruck "virtual community" beruht auf einer falschen Verwendung des Wortes "virtual". Howard Rheingold, der den Ausdruck geprägt hat, spricht heute lieber von einer "online community". Heutzutage haben wir Tausende von Online-Communities. Was beim Telegarden anders ist: Dort handelt es sich um einen physisch tatsächlich vorhandenen Ort.
Baumgärtel: Sie würden also nicht sagen, dass das gemeinsame Bepflanzen eines Gartens eine Art von Kommunikation ist, die mit einer Mailing List oder einer anderen gemeinsam genutzten Internet-Umgebung vergleichbar ist, in der Menschen kommunizieren und interagieren?
Goldberg: Der Unterschied ist, dass es beim „Tele-Garden“ etwas Wirkliches gibt. Zumindest die Pflanzen sind echt – im wörtlichen Sinn ist es ein Gemeindepark.
Baumgärtel: Beim Ars Electronica-Zentrum, wo der Telegarden installiert ist, sagte man mir, der Garten müsse von Zeit zu Zeit neu bepflanzt werden, weil die Leute die Pflanzen vergessen und sich nicht mehr um den Garten kümmern. Enttäuscht Sie das oder ist das Teil des künstlerischen Experiments?
Goldberg: Wir schlugen es so vor. Wir wollen nicht, dass der Telegarden als eine Art sterile "Biosphäre" betrachtet wird. Ungefähr zweimal im Jahr wuchert er zu, und dann muss er gejätet und zurückgestutzt werden. Peter Lunenfeld wies darauf hin, dass das gesamte Projekt die "Tragödie der öffentlichen Parks" illustriert.
Baumgärtel: Sind Sie mit einigen der Leute, die im Garten gearbeitet haben, in näheren Kontakt gekommen?
Goldberg: Nicht wirklich.
Baumgärtel: Wie sehen die Leute, die sich daran beteiligen, ihrer Ansicht nach den Garten? Als technische Spielerei? Oder nehmen sie das Projekt ernst?
Goldberg: Ich vermute, dass die meisten ihn als Spielerei betrachten, als eine weitere Möglichkeit, sich im Internet zu amüsieren. Das ist in Ordnung, solange es ein paar gibt, die wenigstens einen Augenblick lang unsere wirkliche Motivation wahrnehmen. Vielleicht kommt an dieser Stelle die Beunruhigung ins Spiel.
Baumgärtel: Die beiden Kunstwerke von Ihnen, die am ehesten wie Fälschungen wirken, sind "Dislocation of Intimacy" (dislocation.net/) und "Legal tender" (www.IEOR.Berkeley.EDU/~goldberg/art/tender/tender.html). Wie ist es: Sind sie echt?
Goldberg: Tut mir Leid, aber dazu kann ich nichts sagen.
Baumgärtel: "Dislocation of Intimacy" verweist auf ein Werk von Marcel Duchamp. Können Sie zu diesem Bezug etwas sagen? Welche Rolle spielt Duchamp für Sie?
Goldberg: Ich zolle ihm Tribut. Heute ist es für einen Künstler die größte Herausforderung, das Kopieren von Duchamp zu vermeiden.
Baumgärtel: Sie halten eine Reihe von Patenten. Haben Sie eine technische oder Ingenieur-Ausbildung?
Goldberg: Ich habe einen Doktor in Informatik und arbeite weiter an der Erforschung geometrischer Probleme in der Automation. Zum Beispiel: Wie richtet man Teile aus, ohne sie zu ertasten?
Baumgärtel: Ich frage danach, weil die meisten Netz-Künstler sich ihren Lebensunterhalt anders als mit ihrer Kunst verdienen müssen. Sehen Sie sich als hauptberuflichen Künstler, der zufällig noch woanders arbeitet? Oder ist ihre Arbeit als Ingenieur Teil ihrer künstlerischen Tätigkeit?
Goldberg: Ich betrachte die Ingenieur-Arbeit und die Kunst als verwandte, aber doch sehr unterschiedliche Unternehmungen. Kunst und Forschung sind sehr ähnlich – außer in der Art, und Weise, wie sie vermittelt werden.
Baumgärtel: Das erste telerobotische Kunstwerk, das Sie schufen, war ein Sandkasten. Im Deutschen gibt es den Ausdruck "Sandkastenspiel", wenn jemand ohne Erfolg versucht etwas aufzubauen, das seine Möglichkeiten übersteigt. Dann haben Sie den "Telegarden" gemacht, der, nun ja, eben ein Garten ist, was einen an den Garten Eden denken lässt. Beide Werke haben diesen Aspekt, dass Sie eine Art Welt erschaffen. Das hat etwas von „Gott spielen“. Können Sie dazu etwas sagen? War es eine bewusste Entscheidung, mit diesen Themen zu spielen?
Goldberg: Ich wähle diese Metaphern sehr vorsichtig aus. Aber an dieser Stelle will ich nichts erklären, sondern die Arbeit für Spekulationen offen halten.
Baumgärtel: Der Begriff der Telepistemologie, wie er in dem Buch entwickelt wird, stellt sich mir als eine Art modifizierte Version des Turing-Tests dar. Während es im Turing-Test um die Frage geht, ob man mit einem menschlichen Wesen oder mit einem Computer kommuniziert, geht es bei den Installationen darum, ob man mit einer echten Maschine oder nur mit einer Fälschung interagiert. Ist das ein angemessener Vergleich?
Goldberg: Interessante Beobachtung. Turing entwarf seinen Test als funktionelle Definition der Intelligenz. Ein wichtiges Element in Turing-Test ist Distanz, also sind Fragen der Telepistemologie sicherlich von Bedeutung. Aber Telepistemologie betrifft auch Fälle, in denen es nicht um die Frage der Intelligenz geht: wenn man zum Beispiel fragt, woher man weiß, dass das Ding, das man da pflegt, ein Garten ist. Wenn man fragt, wie man weiß, dass das Ding, mit dem man spricht, intelligent ist, geht das viel weiter. Im Turing-Test geht es um die Epistemologie der Intelligenz: Auf welcher Grundlage kann man wissen, dass eine Maschine intelligent ist? Um Dialoge von anderen Dingen wie Körperlichkeit oder Körpersprache abzugrenzen, benutzt der Turing-Test einen engen, rein textlichen Kommunikationskanal. Das wirft komplexe Fragen besonders über die Rolle des Körpers auf, die auch für die Telerobotik im Mittelpunkt stehen. Wahrscheinlich spielen wir immer noch "im Sandkasten".
Baumgärtel: Glauben Sie, dass die telerobotischen Installationen ein eigenes Genre sind? Oder sehen Sie Ihre Kunst als Teil einer größeren Netz-Kunst, net.art oder Internetkunst?
Goldberg: Ich ziehe es vor, meine Werke „Installationen“ zu nennen. Wie Steve Dietz und andere sehe ich diese Arbeiten als Teil einer weiterghenden net.art. Wie Sie an anderer Stelle erwähnt haben, ist net.art, wie moderne Kunst überhaupt, auf vielen Ebenen "selbstreferenziell", und zwar ganz bestimmt im Hinblick auf ihr Medium. Auf net.art, die beansprucht, eine physische Komponente zu haben, trifft dieses Kriterium wohl in hohem Maß zu.
Baumgärtel: Wie unterscheiden sich Ihren Installationen von anderen Netz-Robotern, die nicht als Kunst gedacht sind?
Goldberg: Wahrscheinlich auf die selbe Weise, wie sich ein Readymade von einem Pissoir unterscheidet...
|