Im Wellnesszeitalter hat Baden längst die Aura des Geheimnisvollen verloren. Ob ganz jung oder schon sehr alt, vom Spaßbad bis zum Heil- oder Kurbad mit textillosen Baderiten wird heute alles von jedem ohne Scheu in Anspruch genommen. Die Kunst reflektiert genau, dass dies bei weitem nicht immer so war und auch jetzt noch Bereiche existieren, die für öffentliche Blicke Tabu sind. Moralische wie sittliche Schranken beschränken sich auf sehr intime Vorgänge. Aber gerade diese Momente des verbotenen Hinschauens bieten für viele Künstler willkommene Anregungen. Schon Albrecht Dürer und seine Zeitgenossen des 15ten und 16ten Jahrhunderts benutzen profane Badeszenen zur Abbildung nackter Personen. Aus dem Jahr 1496 datiert Dürers Blick ins Männerbad. Sechs Jahre zuvor hält Israhel van Meckenem Szenen aus deinem Kinderbad fest. Wenige Jahrzehnte später inspirieren Agostino Veneziano, Hans Sebald Beham oder Heinrich Aldegrever im Bade agierende Frauen zu Motiven für ihre Kupferstiche. Dies sind die frühesten aus 156 Darstellungen von 92 Künstlern, die sich derzeit zu einer anspruchsvollen Schau im Ahlener Kunstmuseum versammeln.
Erstmals thematisiert eine Ausstellung den Blick ins Badezimmer. Den Besucher erwartet eine breit aufgefächerte Präsentation aus Gemälden, Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien, Skulpturen und Filmen, die sich in einem dialogisch ausgerichteten Parcours zeitübergreifend zu teils witzigen Konstellationen platzieren. Den Kupferstichen aus der Renaissance steht die mehrteilige Videoinstallation „Mens Bathhouse“ der Warschauer Künstlerin Katarzyna Kozyra gegenüber, die jüngst das Treiben in den grandiosen Jugendstilsälen des Budapester Gellert-Bades festgehalten hat. Ganz offen wird hier wie zu allen vorherigen Epochen über das Vehikel künstlerischer Freiheit ein seltener vertraulicher Blick hinter die Kulissen geworfen. Künstler und Betrachter werden zu Kollaborateuren der Schamkunst.
Im ersten Saal wird Eric Fischls unlängst gemalter, schwarz verhüllter Monsieur, der eine hellfarbene entblößte Frau in der Wanne partiell verdeckt, mit einem Großformat kontrastiert, auf dem der niederländische Hofmaler Gerrit van Honthorst um 1625 den Tod des Seneca darstellt. Dazu gesellt sich das 2005 entstandene Mixed-Media-Bild „Bambi“ der Wienerin Xenia Hausner mit einer in der Badewanne sitzenden Frau, die den Betrachter starr wie empört fixiert. Das macht schon deutlich, dass Badewannen und das Badezimmer gerne als Tatort Verwendung finden. In die Kategorie „Mord im Bad“ fällt der in mehreren Versionen vorhandene „Ermordete Marat“, präsentiert etwa von den Klassizisten Jacques-Louis David und Joseph Roques sowie den aus Rumänien stammenden Zeitgenossen Veron Urdarianu.
Der Frankfurter Maler und Städelschüler Emil Gies spitzte im vorletzten Jahrhundert die Szene der im Bade von zwei alten Männern bedrängten Susanna wie auf einer Theaterbühne zu. Anna Anders inszeniert im kapellenartigen Entree des Altbaus die Badewonnen in einer raumgreifenden Videoinstallation. Auf die milchige Flüssigkeit einer Badewanne projiziert sie eine waschende Person, umgeben von realen Utensilien aller Art. Louise Bourgeois Kaltnadelradierungen zeigen Kinder und Frauen beim Baden, Ernst Ludwig Kirchner hält das Baden von Kranken fest, Bettina Rheims versinkt in einem Rosenbad, und David Hockney entzückt sich für seinen Lebensgefährten Peter, den er mit nass herabhängendem Haar in der heimischen Wanne verewigt. Künstler des Impressionismus wie Gustave Caillebotte oder Edgar Degas stellen die Intimität der Körperpflege mit treffend beobachteten Rücken- oder Seitenakten dar.
Mal weiß gefliest und kühl, mal reich verziert und äußerst dekorativ – über die Jahrhunderte und abhängig von unterschiedlichen Kulturkreisen verändert sich das Erscheinungsbild des Badezimmers. Fotostrecken stellen exemplarisch Badezimmer vor, von dem der Bischöfe in ihrem Residenzschloss von Orléans aus dem 13ten Jahrhundert über die entsprechenden Räumlichkeiten Napoleons im Grand Trianon zu Versailles bis hin zum Badezimmer der Villa Tugendhat in Brünn. Die Kunst überführt deren Gestalt zuweilen ins surrealistisch Skurrile. So lässt William Nelson Copley in seiner „Seifenoper“ blumige Fliesenmotive voller Verstiegenheit auf den Hintern einer Frau überspringen, und bei Gregory Crewdson stößt ein junger Mann bei der Reparatur von Abflussrohren in die bizarr-schmierige Unterwelt unter dem Badezimmer vor.
Das Wasser an sich wird durchgängig symbolisch behandelt. Der Barockmaler Jan van Bijlert aus Utrecht lässt Pilatus seine Hände in Unschuld waschen, Joseph Beuys stellt eine Emailschüssel für die Fußwaschung bereit, Bill Viola erteilt in einem Videodiptychon „Absolutions“, der Schwarzwälder Bildhauer Tobias Venditti kreiert eine „evident“ plätschernde Wasserstele, und Hermann Pitz bestückt das Treppenauge des Museums mit überdimensionierten Wassertropfen aus Gießharz, die durch das gesamte Haus blinzeln. Und immer wieder sind badende weibliche Schönheiten präsent, in skulpturalen Ausprägungen von George Minne über Wilhelm Lehmbruck bis hin zu Stephan Balkenhol und in Gemälden vielfältig interpretiert von Félix Vallotton über Fernando Botero bis zu Ossip Zadkine. Bäder und ihre Ausstattungen, Badeutensilien, japanische und islamische Badehäuser und -riten verweisen begleitend auf viele weitere Facetten dieses schier unerschöpflichen künstlerischen Themas.
Die Ausstellung „intimacy! Baden in der Kunst“ ist noch bis zum 25. April zu besichtigen. Das Kunstmuseum Ahlen hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr. Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen, der an der Museumskasse 39 Euro kostet. |