Folgt man der Einschätzung eines wichtigen belgischen Kunstsammlers, dann steht es schlecht um die Internationalität des Berliner Art Forums. Wenn er zur Frieze, zur Armory Show oder nach Basel fliege, so seien die entsprechenden Flüge immer gut besetzt mit belgischen Sammlern, Kuratoren und Museumsleuten. Auf dem Flug Brüssel-Berlin dagegen, der am Mittwoch pünktlich zur Eröffnung des Art Forums einschwebte, kannte er niemanden. Ein flüchtiger Eindruck vielleicht, der sich jedoch beim Messerundgang bestätigte. Sei es die gelungene Konkurrenzveranstaltung Gallery Weekend, die alljährlich im Mai ein begeistertes internationales Kunstpublikum in die Hauptstadt lockt, sei es der unglücklich gewählte Messetermin ganz kurz vor den starken Messen Frieze in London und Fiac in Paris, sei es die allgemeine Kunstmarktmüdigkeit: Die diesjährige 15. Ausgabe des Art Forums wirkt wie der schlappe zweite Aufguss eines nicht besonders starken Kaffees.
Das altbekannte Manko der Berliner Kunstmesse schlug auch in diesem Jahr, dem zweiten unter der Leitung von Peter Vetsch und Eva-Maria Häusler, wieder voll durch: Viele wichtige Berliner Galerien, darunter Max Hetzler, Barbara Wien und Isabella Bortolozzi, verzichteten auf eine Teilnahme am Art Forum. Andere Platzhirsche zeigten zwar Präsenz, dann aber zum Beispiel in Form einer wenig aussagekräftigen Dreierkoje. Die Galerien Neu, Klosterfelde und Esther Schipper lieferten mit ihrer unentschieden daherkommenden Teilnahme ein eher halbherziges Bekenntnis zur Berliner Messe. Tim Ackermann nennt das in der „Welt am Sonntag“ ganz treffend: „Art Forum als Zweck-WG“. Wie die Messeleitung mitteilte, kamen „40.000 Sammler, Museumsdirektoren, Kuratoren und Kunstliebhaber aus aller Welt“ nach Berlin.
Neu in diesem Jahr auf der Messe: Im jungen Sektor Focus durfte jede Galerie eine Wunschgalerie als Gast einladen. Eine recht erfrischende Idee eigentlich. Führte dies doch zu ganz unerwarteten Neuentdeckungen und entlastete zudem Messeleitung und Selection Committee von der Qual der Wahl. Diese Stände präsentierten sich jeweils in einer offenen Architektur im Mittelteil der Hallen. Das Londoner Design-Büro Spread entwarf zu diesem Zweck eine Art Marktplatz mit leicht blitzförmigen Durchgängen. So sparte man komplett die dritte Halle. Insgesamt hat sich das Art Forum von 130 Galerien im Vorjahr auf jetzt 110 Teilnehmer verkleinert. Durch die vielen „Zweck-WGs“ wiederum präsentieren sich diese an lediglich 102 Ständen. Eine Konsolidierung, die wohl aus der geschwundenen Anzahl wirklich guter Bewerber resultierte. Messedirektoren sprechen dann natürlich gerne von „Konzentration auf Qualität“ und „Schärfung des Profils“ – so auch Peter Vetsch und Eva-Maria Häusler.
Was fällt auf dieser Messe auf? Vielleicht ein gewisser Hang bestimmter 1990er-Jahre-Künstler zur eitlen Selbstbespiegelung. So präsentierte Rirkrit Tiravanija bei Neugerriemschneider seinen alten Peugeot 205 XS, mit dem er – so die Legende – sieben Jahre durch Berlin gefahren ist. In einer schicken verchromten Glasvitrine mit orangefarbenen Scheiben wird das abwrackprämientaugliche Gefährt immerhin neubereift für schlappe 150.000 Euro angeboten. Tiravanijas britischer Altersgenosse Douglas Gordon hat bei der der erstmals teilnehmenden Pariser Blue-Chip-Galerie Yvon Lambert rund ein halbes Dutzend Holzvitrinen mit allerlei Memorabilia seines künstlerischen und privaten Werdegangs wie Konzertkarten, kleine Collagen, Polaroids, diverse Drucksachen, Spielkarten oder gefundenen Tierknochen aufgebaut. Mit dabei ist auch die Exmatrikulationsandrohung seiner Kunstakademie, die ihn 1989 tadelte, von einer Exkursion nach Bremen nicht rechtzeitig zurückgekehrt zu sein. Das bereits heute museal wirkende Ensemble wurde für 500.000 Euro an eine Schweizer Sammlung verkauft.
Der dritte im Vitrinenkünstlertrio ist Max Frisinger, Jahrgang 1980, der zur Zeit noch an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg studiert. Er wurde bereits jetzt von Contemporary Fine Arts unter die Fittiche genommen und zeigt große Vitrinen mit Anhäufungen und Arrangements von gefundenem Material aus Bauschuttcontainern und vom Sperrmüll für jeweils 35.000 Euro. Das Ganze erinnert ein wenig an die Akkumulationen der Nouveaux Réalistes der 1960er Jahre. Doch statt einfach nur etwas irgendwo reinzustopfen, bevorzugt es Frisinger, seine Fundstücke mit beschwingter Leichtigkeit zu arrangieren. Die meisten seiner trashig-eleganten Vitrinen waren bereits vor Ende der Messe verkauft oder reserviert.
Tanja Maka von der Produzentengalerie, Hamburg und Berlin, findet das Art Forum im Vergleich zu den letzten Jahren eher ruhig und vermisst das internationale Sammlerpublikum. „Man hat in diesem Jahr sofort einen Parkplatz bekommen“, sagt sie – auch das ein Indikator für ein abnehmendes Interesse. Ist der Hype um die Kunstmetropole Berlin zurückgegangen? Die Messe und Berlin, das geht einfach nicht zusammen. Vielleicht, weil Berlin eher ein Produktionsstandort für Kunst ist als der Ort, wo die großen Verkäufe gemacht werden. Auch wenn alle erdenklichen Anstrengungen unternommen werden, Kunst für den kleinen Geldbeutel und für das große Sammlerbudget anzubieten. So stellt die Produzentengalerie das Gemälde „Silbermond“ von Norbert Schwontkowski für rund 25.000 Euro, geometrisch organisierte, aber bewusst ins Unreine abdriftende Leinwände des jungen Hamburgers Michael Conrads für 3.000 bis 9.000 Euro vor. Ebenfalls am Stand: neuere Mobiles und Kleingemälde mit metallischen „Stardust-Effekten“ des Berliner Nachwuchskünstlers Malte Urbschat für 1.500 bis 3.000 Euro.
Der Kunstmarkt nimmt immer wieder gerne große Ausstellungen auf. So zeigt die Kopenhagener Galerie Bo Bjerggaard Gemälde des Dänen Poul Gernes, der seit vergangenem Freitag in einer großen Retrospektive in den Hamburger Deichtorhallen zugegen ist. Atelierfrisch wirkende Punktebilder von 1965 kosten je 26.000 Euro. Die Galerie verwaltet auch den Nachlass des 1996 verstorbenen Avantgardekünstlers. Die Kunst mit Füßen treten kann man in der Galerie Rodeo aus Istanbul. Die aus Griechischenland stammende Istanbuler Galeristin Sylvia Kouvali zeigt ihren Landsmann Eftihis Patsourakis. Er hat die Koje mit braunen Sisalfußmatten in freier Anspielung auf die Bodenarbeiten des amerikanischen Minimalisten Carl Andre ausgelegt. Die Bodenarbeit kostet 15.000 Euro.
Ein Hingucker dann bei Johann König: Die vor- und rückwärts zu lesende Textarbeit „Dreifache Verneinung“ von 2007 mit den Marken Nokia, Canon und Sony aus schwarzweißem Plexiglas von Johannes Wohnseifer wurde für 14.000 Euro angeboten. Wer will, kann dabei an Kapitalismuskritik ebenso denken wie auch nur an den Refrain „No, No, No“ aus Amy Winehouse’ Hit „Rehab“. Gleich ums Eck hing bei Motto für 400 Euro eine leicht genervt wirkende Tuschezeichnung des Hamburgers Stefan Marx an: „Berlin ruins my Nerves“ heißt es da in weißer Schrift auf schwarzem Grund.
Wer genug vom üblichen Messeeinerlei hatte, ließ sich mit einem weißen Golf-Caddy durch den Park ins gegenüberliegende Marshall-Haus fahren. Hier, im 1950 errichteten elegant-modernistischen US-Pavillon zur Deutschen Industrieausstellung findet die dritte Ausgabe der jetzt ins Art Forum Berlin integrierten Konkurrenzmesse „abc - Art Berlin Contemporary“ statt – Eintrittskarten sind auch hier gültig. Diesmal lautet das Motto „Light Camera Action“. Der Schwerpunkt liegt auf Film- und Videoarbeiten. Kurator dieser Konzeptmesse, die nach Stationen im Postbahnhof und in der Akademie der Künste in diesem Jahr auf das Messegelände zurückgekehrt ist, nur einen beherzten Steinwurf von den Messehallen entfernt, ist Marc Glöde, der gleichzeitig für das Art Film Programm der Art Basel zuständig ist.
Viele Besucher zeigten sich vom zwar soliden, aber routiniert abgespulten Art Forum eher gelangweilt, nahmen sich aber viel Zeit für die abc, die im architektonisch interessanten Marshall-Haus so manche Überraschung bot. Auch fand sich hier wieder eine nicht ganz unironische künstlerische Selbstbespiegelung. Erik Schmidt unterzieht sich in seinem stylish inszenierten 14minütigen Video „Bogged Down“ als einsamer Gast einer Bäderkur im ostwestfälischen Kurort Bad Driburg. Nach Kneippbad, Fangopackung, Wassergüssen und langen Rotweinabenden an der Bar endet er schließlich als bedauernswerte Moorleiche und muss von zwei dubios dreinblickenden Hotelangestellten entsorgt werden. Ebenfalls sehenswert war hier die rund 9minütige atelierfrische Videoarbeit „Sorry“ von Stefan Panhans. Der in Berlin und Hamburg lebende Foto- und Videokünstler präsentiert hier leicht derangierte wirkende Look-Alikes berühmter Stars wie Lady Gaga, Brad Pitt oder Karl Lagerfeld, die offenbar vor irgendetwas Unbestimmtem auf der Flucht in einem hoffnungslos überfüllten Hochgeschwindigkeitszug einer ungewissen Zukunft entgegenrollen. Die Arbeit ist für 8.500 Euro bei der Berliner Galerie Olaf Stüber erhältlich.
Kann die radikale Verkleinerung der Messe der Weisheit letzter Schluss sein? Sollte sich das Art Forum Berlin noch weiter minimieren, um überhaupt noch Akzente setzen zu können? Dieser Logik folgend könnte die Messe ja ganz einfach die 30 wichtigsten Contemporary Dealer der Welt einladen und damit auch international punkten. Egal: Sammler und Kunstbegeisterte werden immer einen Grund finden, in die Kunstmetropole Berlin zu reisen. Anlass muss aber vielleicht nicht unbedingt das Art Forum sein.
Das 16. Art Forum Berlin findet vom 29. September bis zum 2. Oktober 2011 statt. |