 |  | Philipp Otto Runge, Selbstbildnis mit braunem Kragen, 1802 | |
Das Selbstporträt bietet dem Künstler vielfältige Möglichkeiten. Er kann sich seinen Zeitgenossen und der Nachwelt gegenüber stilisieren, idealisieren, aber auch durchaus kritisch befragen. Er kann seine gegenwärtige Gemütsverfassung oder seinen sozialen Status zum Thema machen, sich in der Pose berühmter Vorbilder inszenieren oder aber schonungslos all seine Selbstzweifel und inneren Zerwürfnisse auf die Leinwand bannen. Kurzum, er kann Held oder Märtyrer, selbstbewusst Schaffender oder exemplarisch Leidender sein. Der 1777 im pommerischen Wolgast geborene Maler und Zeichner der deutschen Frühromantik, Philipp Otto Runge, der 1810 im Alter von nur 33 Jahren an Lungentuberkulose verstarb, schien sich der besonderen Bedeutung der Selbstdarstellung durchaus bewusst zu sein.
Gleich zum Auftakt der als Hommage zum 200. Todestag gedachten umfangreichen Runge-Ausstellung „Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik“ in der Hamburger Kunsthalle sind etliche seiner Selbstporträts zu sehen. Sie zeigen einen zunächst offen und neugierig wirkenden jungen Mann, der jedoch im Lauf der Zeit von innerer Anspannung und Selbstbeherrschung angetrieben zu sein scheint. Zunächst dem klassizistischen Ideal verhaftet, inszeniert sich Runge später als Denker im blauen Rock und mit bedeutsam aufgestützter Hand. Auf einer kleinen Kreidezeichnung für Goethe, um dessen Gunst er sich lange Zeit eher vergebens bemühte, zeigt er sich in einer sehr natürlichen, fast verletzbaren Ungeschütztheit. Doch auf dem letzten Bildnis schließlich überwiegen bereits Krankheit und Vergänglichkeit: Halb abgewandt blickt Runge den Betrachter aus dem dunklen Bildgrund heraus an. Unter der papieren wirkenden Haut zeichnen sich bereits deutlich die Konturen seines Schädels ab.
Die Hamburger Ausstellung macht gleich zum Auftakt deutlich, dass es hier nicht nur um das mit rund 40 hinterlassenen Gemälden recht schmale malerische Œuvre Runges gehen soll, sondern aus Anlass seines 200. Todestages gerade auch um die Person Philipp Otto Runge. Neben seinem Zeitgenossen Caspar David Friedrich, der ihn um mehr als 30 Jahre überlebte, gilt Runge als wichtigster Vertreter der deutschen Romantik. Sein Werk, das die Hamburger Kunsthalle ganz programmatisch in ihrer Galerie der Gegenwart zeigt, mag zu Runges Lebzeiten äußerst modern und nach vorne drängend gewesen sein. Seinen Zeitgenossen bedeutete es jedoch nichts. Runge verkaufte so gut wie gar nichts und war zeitlebens auf die finanziellen Zuwendungen seiner Familie, namentlich seines ältesten Bruders Daniel, angewiesen.
Von permanenten Zweifeln an seiner künstlerischen Handfertigkeit geplagt, schrieb er 1798 in einem Brief an den Hamburger Verleger Johann Heinrich Besser: „Wenn ich doch nur so weit wäre, dass ich recht hinter die Handgriffe der Mahler und Zeichner kommen könnte ... Was die Phantasie, Ideen, überhaupt die Erfindung anlangt... denke ich... nicht stecken zu bleiben.“
Mit 35 Gemälden, rund 200 Zeichnungen und 50 Scherenschnitten und Schattenrissen ganz überwiegend aus den eigenen Beständen zeigt die Hamburger Kunsthalle Runge als einen Suchenden, einen Unvollendeten, hin- und hergerissen zwischen der Nachahmung akademischer Ideale und der Ausarbeitung eines eigenen visionären künstlerischen Ausdrucks. Runge war, ganz im Sinne der ihrem Wesen nach antiaufklärerischen Romantik, auf der Suche nach einem pantheistischen Gottesideal. Die Erscheinungen der Natur, aber auch die tiefe Empfindung des malenden Subjekts suchte er in seinen Werken kongenial zu verschmelzen. Berührungsängste zwischen angewandter „dekorativer Verzierungskunst“, so Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner im Katalog, und der von „Gedankenflügen und tiefen Gefühlen bestimmten Kunst“ kannte er dabei nicht. Das zeigt das breite Spektrum der in der Hamburger Schau versammelten Arbeiten. Runges wohl berühmtestes Gemälde „Die Hülsenbeckschen Kinder“ wird flankiert von eher unerwarteten Facetten seines Werkes. So führt die Hamburger Schau eindrucksvoll vor Augen, dass auch Runge, dem bewunderten Goethe durchaus nacheifernd, seine eigene Farbenlehre entwickelte.
Mit der Präsentation dieser Schau ausgerechnet in den Räumen der Galerie der Gegenwart will Kunsthallendirektor Hubertus Gaßner Philipp Otto Runge als einen Maler verorten, der den Strömungen seiner Zeit weit voraus war. Angesichts der im vergangenen Jahr von der Hamburger Politik immer wieder mit fadenscheinigen Argumenten versuchten Teilschließung gerade der Galerie der Gegenwart geht von der Ortswahl aber das falsche Signal aus: Die Gegenwartskunst des frühen 19. Jahrhunderts hat im akut von Sparbeschlüssen bedrohten Refugium des Zeitgenössischen eigentlich nichts verloren.
Die Ausstellung „Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik“ ist bis zum 13. März zu sehen. Die Hamburger Kunsthalle hat täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags zusätzlich bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 10 Euro, ermäßigt 5 Euro. Der Katalog ist im Hirmer Verlag erschienen und kostet im Museum 39,90 Euro, im Buchhandel 45 Euro. |